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Entlang der Gleise. Rasel Chowdhury legte 181 Kilometer zu Fuß von Dhaka in seinen Heimatort zurück. Dabei entstand seine nun mit dem Samdani Art Award ausgezeichnete Serie "Railway Longings."

© Rasel Chowdhury, Railway Longings, 2015, courtesy of the artist

Kunstgipfel in Dhaka: Der Boom der Bastis

Vier Tage, 300 Teilnehmer, 138000 Besucher: Der Dhaka Art Summit hebt Bangladesch auf die Karte des internationalen Ausstellungsbetriebs.

Die Mädchen sind geradezu erschreckend perfekt: Zehn, elf Jahre alt, zierlich und klein, die langen schwarzen Haar hinter die Ohren gesteckt, treten sie eine nach der anderen in den Raum und beginnen ihre Geschichte zu erzählen. Dazu bewegen sie zeitlupenhaft die Hände. Jede ist Ann Lee, eine Manga-Figur aus einem japanischen Videospiel, die von der Animationsindustrie eigentlich schon ausgemustert war. Der Berliner Künstler Tino Sehgal rettete sie vor fünf Jahren aus dem virtuellen Dasein hinüber in die Realität und lässt sie seitdem immer wieder in Ausstellungen auftreten, jedes Mal verkörpert durch andere Darstellerinnen. Rekrutiert werden sie wochenlang vorher am jeweiligen Ort.

Diesmal sind es vier Mädchen aus Dhaka. Die Performance oder „Situation“, wie Tino Sehgal sein Stück nennt, gehört neben den Beiträgen von Dayanitha Singh, Haroon Mirza, Sandeep Mukherjee, Lynda Benglis zu den Soloprojekten des Dhaka Art Summit. Mit diesen Stars des weltweiten Ausstellungsbetriebs, die Wurzeln in der Region haben – Sehgals Vater ist Inder –, versichert sich der von Diana Campbell Betancourt in Bangladeshs Hauptstadt organisierte Kunstgipfel der internationalen Aufmerksamkeit. Es ist zugleich eine Referenz für den großen Markt.

Zur dritten Ausgabe des viertägigen Kunstevents, das wie eine Instant-Biennale, ein Pop-up-Museum funktioniert, sind nicht nur Kritiker, Kuratoren, Künstler eingeladen. Auch das Auktionshaus Christie’s hat seine Scouts entsandt. Bangladesh ist eines der ärmsten Länder der Welt, eine Kreuzung hinter der Shilpakala Akademie, wo der Kunstgipfel mit über 300 Teilnehmern tagt, wird das Elend greifbar. Zu Tausenden essen, schlafen, leben Menschen hier auf der Straße. Wenn sich ab fünf Uhr nachmittags die Dunkelheit über die Stadt legt und in vielen Vierteln das Licht nur noch von den permanenten Autostaus ausgeht, dann brennen zur Beleuchtung in den Müllhaufen offene Feuer.

„Railway Longings“: Rasel Chowdhury schuf einen fotografischen Reisebericht voller Wehmut und Humor, mit Bildern von desolaten Bahnwärterhäuschen, überfüllten Zügen, deren Passagiere auf dem Dach sitzen, vor sich hin rostenden Waggons.
„Railway Longings“: Rasel Chowdhury schuf einen fotografischen Reisebericht voller Wehmut und Humor, mit Bildern von desolaten Bahnwärterhäuschen, überfüllten Zügen, deren Passagiere auf dem Dach sitzen, vor sich hin rostenden Waggons.

© Rasel Chowdhury, Railway Longings, 2015, courtesy of the artist

Trotz der bedrückenden Armut, des permanenten Verkehrsinfarkts, der unsäglichen Bedingungen in den Textilfabriken, der dramatischen Umweltbelastung befindet sich die Stadt im Aufbruch. Kultur ist der beste Indikator dafür. Eine wachsende Mittelschicht geht in Konzerte, ins Museum, zeigt sich an zeitgenössischer Kunst interessiert, wie die vielen Besucher des Art Summit demonstrieren: 138000 insgesamt. In Dhaka gibt es nur eine Handvoll Galerien, von einer eigenen Verkaufsmesse ist Bangladesh weit entfernt. Sammler gibt es kaum. Die Ausnahme bilden Rajeeb und Nadia Samdani, ein Power-Paar – er Industrieller, sie Präsidentin der Samdani Art Foundation. In ihrem sechsstöckigen Haus in Dhakas Reichenviertel Gulshan präsentieren sie ihre über 2000 Objekte umfassende Sammlung in einer Art Privatmuseum, das alle 18 Monate umgehängt wird.

Vor sechs Jahren haben die Samdanis den Dhaka Art Summit aus der Taufe gehoben, um ihre Stadt als Ort künstlerischer Produktion an den Rest der Welt anzudocken. Als Kommissionsmitglied der Londoner Tate Gallery für Ankäufe aus dem südasiatischen Raum sorgt Rajeeb Samdani auf diese Weise für einen Rückfluss an Information, Vernetzung mit seiner Heimatstadt. Mit der dritten Ausgabe ist es dem Sammlerpaar endgültig gelungen. Aus der ganzen Welt ist die Community eingeflogen: Documenta-Macher Adam Szymczyk stellt sein Magazin „South“ vor, Hans-Ulrich Obrist, Direktor der Londoner Serpentine Gallery, diskutiert über die Möglichkeiten eines Austauschs, Beatrix Ruf, die Direktorin des Amsterdamer Stedelijk Museums, spricht über die zunehmende Bedeutung südasiatischer Kunst in europäischen Sammlungen. Die Globalisierung wird greifbar, der Westen sondiert das Terrain, seine Repräsentanten sitzen auf den Podien.

Und doch zeichnet sich der Art Summit durch selbstbewusste Beharrung aus. Die teilnehmenden Künstler müssen einen biografischen, zumindest persönlichen Bezug zum südasiatischen Raum haben. So passt auch die Fotografin Germaine Krull hinein, die zwischen 1946 und 1966 in Bangkok ein Hotel unterhielt und anschließend in Dehradun bei tibetischen Mönchen lebte. Ihre Aufnahmen buddhistischer Tempel in Burma und moderner Architektur in Chandigarh sind in der Ausstellung „Rewind“ zu sehen, einer von elf Abteilungen des Summit, der außerdem Film, Performance, Vorträge, Workshops umfasst.

„Rewind“ gehört zu den Höhepunkten der gesamten Schau. Hier versucht sich die Region ihres modernen Erbes zu vergewissern, geprägt durch kolonialistische Einflüsse. Abstrakte Formen, reiche Muster, ob gezeichnet, gewebt, gemalt, sind hier in einer atemberaubenden Qualität zu entdecken. Eine Retrospektive des burmesischen Zeichners Bagyi Aung Soe oder des aus Sri Lanka stammenden Fotografen Lionel Wendt in einem europäischen oder US-amerikanischen Museum ist nur eine Frage der Zeit.

Die junge Szene Dhakas hat ihre Stärke auf dem Gebiet der Fotografie

Für den Samdani Art Award hat Kurator Daniel Baumann, Direktor der Zürcher Kunsthalle, 13 Finalisten in seine Ausstellung aufgenommen. Die Performer enttäuschen, zu banal sind ihre Stücke: Kabir Ahmed Masum Chisty schlägt mit einem Tennisschläger rot gefärbte Bälle gegen einen Spiegel, Ali Asgar lässt sich per SMS zu Kostümierungen mit Paillettenkleid und Federboa auffordern, einer allerdings gewagten Verwischung geschlechtlicher Grenzen. Auch Malerei und Skulptur bleiben eher akademisch konventionell, dafür hat die junge Szene eine besondere Stärke auf dem Gebiet der Fotografie.

Kein Wunder also, dass mit Rasel Chowdhury ein Fotograf den Samdani Art Award erhält. Der in Dhaka lebende Künstler machte sich für seine Serie „Railway Longings“ 181 Kilometer zu Fuß in seine Geburtsstadt Jamalpur auf, immer entlang der Gleise. Entstanden ist dabei ein Reisebericht voller Wehmut und Humor, mit Bildern von desolaten Bahnwärterhäuschen, überfüllten Zügen, deren Passagiere auf dem Dach sitzen, vor sich hin rostenden Waggons. Ebenso hätte den Preis Shumon Ahmed für sein Fotoessay vom weltweit größten Schiffsfriedhof in Chittagong verdient, wo die stählernen Leiber der Containerschiffe von Hand auseinandermontiert werden.

Chittagong bleibt als Ort künstlerischer Untersuchungen faszinierend. So ist in diesem Jahr von Berlin aus ein studentisches Projekt geplant, bei dem ein Absolvent der Kunsthochschule Weißensee die Weiterverwertung der verschrotteten Eisenteile verfolgt, die sowohl in den Wellblechhütten der Slums wie in den eleganten Hochhäusern der besseren Viertel landen.

Die Verbindung kommt nicht von ungefähr zustande, denn in Berlin hat das 1987 gegründete Forschungsinstitut Habitat Forum seinen Sitz, das sich seit Langem mit Bangladesh beschäftigt. Mit seiner Kartografierung des Basti Karail, einer gigantischen Hüttensiedlung inmitten Dhakas, gewann es 2015 den ersten Preis des Planetary Urbanism Wettbewerbs, den die Zeitschrift Arch+ und das Berliner Auswärtige Amt ausgeschrieben hatten. Das Basti Karail ist eine Stadt in der Stadt. Hunderttausend Menschen leben hier. Als jüngsten Erfolg werteten sie, der Kommune fließend Wasser abzutrotzen. Ein faszinierender Kosmos für Urbanisten.

Auch beim Art Summit kommt dieses Leben am Rande vor. Zihan Karim filmte in einem ähnlichen Basti in Chittagong. Zu seinem Video dröhnt der Beatles-Song „With a little help from my friends“. Zynisch? Im Gegenteil. Der Zusammenhalt der Bewohner rettet sie. Die Botschaft gilt auch für Dhakas Kunstszene.

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