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Emile Bernard: Die Haschischraucherin, 1900

© RMN-Grand Palais (musée d'Orsay) / Hervé Lewandowski

Kunsthalle Bremen würdigt Emile Bernard: Am Puls der Moderne

Emile Bernard stand an vorderster Stelle der Avantgarde. Die Kunsthalle Bremen widmet dem französischen Maler jetzt eine große Retrospektive - mit Bildern aus dem kaum bekannten Spätwerk.

Der Metropole den Rücken kehren! Das taten sie alle drei in jeweils entscheidendem Augenblick. Van Gogh war aus Paris nach Südfrankreich, nach Arles abgereist. Gauguin übersiedelte in die Südsee, nach Tahiti und auf die Marquesas. Und Emile Bernard lässt sich 1894, nach Zwischenaufenthalten auf Samos und am Bosperus, in Darb-el-Guenenah nieder, einem der nicht europäisierten Viertel von Kairo. Da war Vincent van Gogh, der Freund, bereits vier Jahre tot, und mit Paul Gauguin war Bernard längst zerstritten: Ursache waren nicht zuletzt die Einrichtung einer postumen van Gogh-Ausstellung, die Gauguin schlichtweg für "idiotisch" hielt, sowie eine folgenreiche Debatte um die Vorreiterschaft bei der Erfindung des Symbolismus: Die Pariser Kunstkritik hatte seinerzeit die eminente Rolle Bernards unterschlagen, und Gauguin, Profiteur dieser Sichtweise, hatte nicht widersprochen.

Acht Jahre zuvor, 1886, war Bernard schon einmal aus Paris aufgebrochen. Man sprach diffus von einer Auseinandersetzung des damals Siebzehnjährigen mit seinem Lehrer und Leiter einer Mal- und Zeichenschule. Jüngst hat nun Fred Leeman in einer faktenreich recherchierten Biographie nachgewiesen (erschienen bei Citadelles&Mazenod, Paris 2013), dass die amouröse Begegnung des Schülers mit einem Modell auf dem Podest im Zeichensaal den buchstäblich spektakulären Anlass gegeben hatte. Was folgte, war eine sechsmonatige Reise zu Fuß durch die Bretagne, deren Ergebnis jetzt erstmals in der Kunsthalle Bremen im Rahmen einer großen Emile Bernard-Ausstellung ausgebreitet wird.

Emile Bernard: Einer, der vor nichts zurückschreckt

Denn Bremen, wiewohl ein Großteil der Arbeiten schon zuvor im Musée de l’Orangerie in Paris gezeigt worden war, befindet sich in wahrhaft privilegierter Position. Vor einem halben Jahrhundert hatte der damalige Direktor der Kunsthalle, Günter Busch, von der Familie des Künstlers nicht nur das einmalige Stillleben mit emaillierter Kaffeekanne erwerben können, von dem schon Van Gogh befand, niemals sei Bernard "so sehr er selbst" gewesen wie hier, sondern auch ein Soll- und Habenbuch, vermutlich aus elterlichem Textilhandel, in das Bernard über 800 Zeichnungen überwiegend aus frühen Jahren eingeklebt hatte.

Unter diesen wurde während der Ausstellungsvorbereitungen eine der überaus seltenen Porträtdarstellungen van Goghs identifiziert. Zugleich konnten zahlreiche Skizzenblätter herausgelöst werden, die in der Bretagne entstanden waren und Bernards äußerst vielseitige Begabung sowie ungemeine Reife enthüllen, akademische und impressionistische Macharten zu überwinden. Gauguin, den er in Pont-Aven traf, mochte kaum glauben, wie eigenständig der um zwanzig Jahre jüngere Bernard ein Verfahren der "optischen Mischung" entwickelt hatte. Später musste er gar zugeben, hier sei einer, "der vor nichts zurückschreckt".

Emile Bernard: Eisenbrücken in Asnières, 1887
Emile Bernard: Eisenbrücken in Asnières, 1887Öl auf Leinwand, 45,9 x 54,2 cmThe Museum of Modern Art, New York, erworben mit Mitteln von Grace Rainey Rogers, 1962

© 2015. Digital Image: The Museum of Modern Art, New York / Scala, Florenz

In Europa entdeckte er die italienische Renaissance wieder

Das allerdings könnte sich als ein zweifelhaftes Lob herausstellen. Emile Bernard ist eben nicht nur ein Künstler, der sieben Jahre lang an vorderster Stelle der Avantgarde gestanden hat: Der wie kein anderer damals den Mut zum Einsatz bloßer, gegenstandsloser Farbflächen bewies. Der zusammen mit Gauguin wesentlich an den Bildfindungen des Symbolismus und des Cloisonismus teilhatte. Und der van Gogh die warmherzigsten, die impulsivsten und die um ästhetische Anliegen eindringlichst ringenden Briefe zu schreiben veranlasste, wovon die Originale in der Morgan Library in New York und der bei Rizzoli publizierte Band "Painted With Words" großartig Zeugnis ablegen.

Nein, Bernard hatte auch nach 1893 ein halbes Jahrhundert lang bis zu seinem Tod 1941 weitergearbeitet. Nicht allein in Ägypten, wo ihn das Bedürfnis nach psychologisch getreuer Wiedergabe der Wirklichkeit gelegentlich eine Art Hyperrealismus entwickeln lässt. Sondern dann auch, im 20. Jahrhundert zurück in Europa, wo Bernard die spanische Tradition und die italienische Renaissance wiederentdeckt und wo die Revitalisierung der überkommenen Bildmittel bisweilen reichlich trivial ausfällt. Man könnte von einem Spätwerk sprechen, das früh verstorbenen Kollegen wie van Gogh und Gauguin vergleichsweise nicht vergönnt war und das alle früheren Bernard-Ausstellungen vorzugsweise ausgespart hatten.

Warum das neue Interesse?

Warum dieses neue Interesse? Dass Kunstgeschichte nicht als stetiger Fortschritt, als unumkehrbare Abfolge von Höhepunkten dargestellt wird, ist zu begrüßen. Und dass sich die Protagonisten der Avantgarde dem Klassizismus oder gar reaktionären Impulsen verschreiben, ist gewiss kein Einzelfall. Noch in seinem letzten Lebensjahr hatte sich Bernard der Politik von Vichy andienen wollen. Zugleich stammen nicht wenige der ausgestellten späten Arbeiten aus dem Nachlass des Künstlers und sind jetzt in Privatbesitz. Die Nachkommen sind am Zustandekommen der Ausstellungen und jüngster Publikationen erheblich engagiert. Inwieweit die öffentliche Aufmerksamkeit den Bildern zugutekommt, wird sich zeigen.

Emile Bernard — am Puls der Moderne. Kunsthalle Bremen bis 31. Mai. Katalog im Wienand Verlag, 256 Seiten, 29 €, im Buchhandel 38 €.

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