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Golden Calf

© dpa

Kunstmarkt: Auf dem Bullenmarkt

Anderswo stürzen die Kurse ab, bei Sotheby’s in London versteigert Damien Hirst seine Kunstobjekte zu Rekordpreisen - ohne, dass er dafür die Dienste eines Galeristen in Anspruch nimmt. Ein neuer Trend am Kunstmarkt?

Am Ende ist er doch nicht erschienen: Der britische Starkünstler Damien Hirst, der mit seiner Megaauktion von 223 Losen nervenstark den Kunstmarkt durcheinanderbringen wollte und den „viktorianischen Gentleman’s Club der Kunsthändler“ auf die Hörner nahm, hatte für die Auktion am Montagabend bei Sotheby’s dann doch nicht die Nerven. Er spiele stattdessen im Groucho Club Snooker, ließ sein Manager Frank Dunphy mitteilen.

Dunphy, der eigentliche Erfinder dieser Aktion, verfolgte das Geschehen im eichengetäfelten Vorstandszimmer von Sotheby’s am Fernseher. Der 70-jährige Ire mit dem Bierbauch hat Hirst, unter Missachtung aller Spielregeln des Kunstmarkts, zum „größten Dollarverdiener der Kunstszene“ gemacht. Dann, als die Auktion genau in dem Triumph endete, den Dunphy, Hirst und die Kunstvermarkter von Sotheby's geplant hatten, schickte Hirst doch ein kleines Zitat für die Presse aus dem Club: „Der Markt ist größer als irgendjemand denkt. Ich liebe die Kunst und dies beweist, dass ich nicht allein bin. Die Zukunft sieht für uns alle großartig aus.“ So triumphierte bei Sotheby’s tatsächlich der Optimismus über die Realität. Noch nie wurden die Zweifler am Markt für Contemporary Art so umfassend zum Schweigen gebracht. 72 Millionen Pfund wurden allein in der Abendauktion für 56 Lose frisch aus Hirsts Kunstfabriken eingenommen. Insgesamt erbrachten die Auktionen am Montag und Dienstag 111 Millionen Pfund (fast 140 Millionen Euro).

Das Starlos, der tonnenschwere Charolais-Bulle mit den goldenen Hörnern, wurde mit dem Rekordpreis von 10,3 Millionen Pfund (13 Millionen Euro) zum Wappentier eines Bullenmarktes, der einfach nicht enden will. Während ringsum die Banken stürzten und in der Londoner City 4500 entlassene Lehmann Brothers-Mitarbeiter ihre Büros ausräumten, entbrannte bei Sotheby's eine Bietschlacht um das Vitrinenwerk „Fragments of Paradise“. Die Edelstahlvitrine mit säuberlich aufgereihten Industriediamanten, geschätzt auf 1 bis 1,5 Millionen Pfund, brachte 5,2 Millionen oder 3,7 Millionen Euro. Der Käufer war durch die Sotheby's-Mitarbeiterin vertreten, die sich normalerweise um die russische Klientel bekümmert.

Hirsts neu durchmischte, mit Blattgold und Diamantenstaub aufgewertete Glitzerkunst ist genau das, was jetzt gebraucht wird. Kunst für die Party auf dem Vulkan, farbenfroher, hektisch lebensbejahender Nihilismus, von Todes- und Untergangsangst unterfüttert. Und es sind nicht nur die Superreichen, die das spüren. Sotheby’s hatte nach eigenen Angaben 21 000 Besucher bei der Vorbesichtigung, „viele Familien mit Kindern“, beteuerte Sotheby’s Chef Bill Ruprecht. „Die schlichte Wahrheit ist, dass Menschen in der ganzen Welt diese Kunst unwiderstehlich finden.“

„Here today, gone tomorrow“ hieß bezeichnenderweise das Riesenaquarium mit toten Fischen, das für drei Millionen Pfund an Hirsts Dealer Jay Jopling verkauft wurde. Jopling gehörte vom ersten Los an zu den Stützen der Auktion. Waren es also die Händler und Sammler, die angeblich von Sotheby's herbeibestellt wurden, um den Markt vor der Hybris des Künstlers zu retten? War es eine Gelegenheit für Spekulanten, den Preis des Inventars noch etwas höher zu drücken? Oder flüchtete sich die Finanzwelt einmal mehr in die Kunst, weil sie sich wenigstens nicht, wie Wertpapiere, in Nichts auflöst? Der Kunstinvestor Philipp Hoffmann vom Art Investment Fund beteuert: „Die neuen Käufer aus China, Russland und dem Nahen Osten ignorieren das Geschehen an der Wall Street.“

Hoffmann rechnet gerne vor, dass der Kunstmarkt nur ein Zwerg ist, wenn man ihn mit den Märkten für Bleistifte, Bierflaschen oder Sojabohnen vergleicht. „Dies ist ein winziger Markt, in den Massen von Liquidität einfließen. Wir werden in den nächsten ein, zwei Jahren noch viele Rekordpreise sehen.“ Auch diejenigen hatten Unrecht, die fürchteten, Hirst werde diesen winzigen Markt durch die Flut von Werken zerstören. Kunst für hundert Millionen Pfund liege bei Jay Jopling noch im Keller, wird behauptet. Doch mag es inzwischen auch Hunderte von Spin-Dot- und Schmetterlingsbildern geben – Jopling rechnet vor, dass Hirsts Werk bisher nur einen Bruchteil der künstlerischen Hinterlassenschaft von Warhol oder Picasso darstellt. „Wir können die Ware eben schneller umschlagen“, frohlockte ein Sotheby’s-Mitarbeiter.

Mit diesen Auktionen wurde ein neuer Vertriebsweg für globale Markenkunst aus der Taufe gehoben. Schnell war die globale Reserve erreicht, die mit Hirst vereinbart war. „Ich kann verkaufen“, rief Auktionator Oliver Barker, als das Vitrinenwerk „Broken Dreams“ 300 000 Pfund erreicht hatte. Der abgesägte Kopf eines mit Narwal Horn zum Einhorn stilisierten Ponys war auf 600 000 bis 800 000 Pfund taxiert. Verkauft wurde es für 505 250 Pfund.

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