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Guido Costa Projects zeigt Boris Mikhailovs Fotografie „Superimposition #0138“ von 2016.

© Guido Costa Projects

Kunstmesse Artissima: Stern und Leder

Die Turiner Messe Artissima für Zeitgenössisches ist so sorgfältig kuratiert, dass man sich wie in einer Ausstellung fühlt.

Netzwerke. Die richtigen zu knüpfen, heißt, an den Strömen des globalen Kapitals teilzuhaben und damit an seinen Inhalten. Wenn es um die kreativen Netzwerke der Kunst geht, sind deren Impulsgeber neben einigen Galeristen und Kunstexperten heute die Kuratoren. Für Sara Cosulich, seit 2012 Direktorin der Artissima, sind sie die eigentlichen Regisseure der Turiner Messe, die nun zum 23. Mal im ovalen Glaspavillon des Industrieareals Lingotto stattfindet. Selbst Kuratorin mit reicher Erfahrung, betont sie, wie elementar die Expertise dieser Scouts für die Auswahl der Galerien und künstlerischen Werke der Messe ist: „Kuratorische Arbeit besteht in gründlicher Recherche. Sie ermöglicht vergleichende Analyse, sie ist die Basis, Begabungen zu entdecken und experimentell zu arbeiten.“

Mehr als 50 Kuratoren bestimmen die Qualität der Messe mit

So zählt die Messe mehr als 50 Kuratoren, unter ihnen namhafte Museumsdirektoren, die als Juroren von insgesamt sieben Sektionen fungieren, darunter „Present Future“ für neue Talente, „PER4M“ für Performances und „Back to the Future“ für teils bisher vernachlässigte Künstler der Avantgarde. Das Moment der Historie wirkt wie der heimliche rote Faden der Artissima, in deren Gastgeberstadt Turin herrschaftliche Paläste die royale Geschichte bis zum Beginn der Industrialisierung um 1900 bezeugen. Diese wiederum verknüpfte Innovation mit Tradition – ein Mix, der bis heute unschlagbar ist und der auch die Messe prägt.

Man durchwandert den Parcours der insgesamt 193 Galerien aus 34 Ländern beschwingt als anregenden Rundgang durch Epochen, Regionen, Stile und Themen, bei dem Alt und Neu einander immer wieder auf subtile Weise spiegeln. Stärker als andere Messen reflektiert die Artissima die Erkenntnis, dass das Neue nur auf der Basis des Alten entstehen kann und erkennbar ist. Es mag ihr leichter fallen, weil Turin als eine Wiege der Arte Povera gilt, die um 1967 die Kunst mit „armen Materialien“ und installativen Arbeiten revolutionierte. Frühe wie jüngere Werke ihrer Protagonisten sind an zahlreichen Ständen zu finden, so bei Lia Rumma aus Neapel oder der Bologneser Galleria de’Foscherari, die mit „Stella“ von Gilberto Zorio (200 000 Euro) eine 2012 entstandene, typische Wandarbeit aus einer monumentalen schwarzen Lederhaut mit hölzernem Stern im Zentrum zeigt – Zorios kontinuierliches Symbol für Energie und Transformation. Der Preis markiert eher das obere Ende des Spektrums, dessen Mittelfeld sich zwischen 5000 und 35 000 Euro bewegt, was viele, auch jüngere Sammler und jede Menge Käufer aus Stiftungen, Museen und öffentlichen Institutionen anzieht. „Das Publikum hier ist ein intellektuelles, sehr kultiviertes“, stellt Isabella Bortolozzi fest, die nicht nur an den Flaggschiffmessen, sondern seit Jahren „besonders gerne“ auch an der Artissima teilnimmt. Die Wahlberlinerin vertritt neben Stars wie Oscar Murillo (von ihm zeigt sie eine Leinwandarbeit in monochrom hellen Farbnuancen für 280 000 Dollar) gefragte Newcomer wie Anne Imhof, die 2017 den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielt.

Allein aus Berlin sind 15 Galerien angereist

Über 15 Berliner Galerien sind nach Turin gereist, darunter Aurel Scheibler, Gregor Podnar, Daniel Marzona, KOW, Zak Branicka und Chert. „Für junge Galeristen ist es hier toll, man wird wahrgenommen“, meint Florian Lüdde, der die Galerie zusammen mit Jennifer Chert leitet. Auch andere Junggaleristen mischen die Messe auf, allen voran Vitrine aus London, die den 1985 geborenen Bildhauer Jamie Fitzpatrick zeigen, Absolvent des Royal College, dessen furiose Skulpturen die Bildrhetorik berühmter Plastiken von Bernini bis Paul McCarthy dekonstruieren (4000–12 000 Euro). Noch provokativer ist das Wandpanel „Fag Fighters“ des 1980 geborenen Karol Radziszewski bei BWA aus Warschau. Vor zehn Jahren entstanden, simuliert es in obszön direktem Graffiti-Stil eine homosexuelle Guerilla-Gang bei Gewaltaktionen – Kommentar des Künstlers zur homophoben Regierung Polens damals und heute.

Sehenswert ist übrigens auch die vom Turiner Galeristen Giorgio Galotti im barocken Palazzo Saluzzo Paesana initiierte neue Messe Dama. Sie besteht aus nur zehn internationalen Galerien, darunter Neumeister Bar-Am aus Berlin, und will, so Galotti, „einen Schritt weiter gehen in der Konsequenz der Auswahl der Teilnehmer. Wir setzen auf Künstler, die intensiv mit den Räumen arbeiten“. Gehört das klassische Messe-Layout mit seinen Kojen also bald der Vergangenheit an? Die Zukunft von Dama wird es zeigen.

Artissima, Corso Vittorio Emanuele II, Turin; bis 6. 11., www.artissima.it

Eva Karcher

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