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Kunstmesse: Unter Göttern

Die Maastrichter Tefaf ist die Kunstmesse der Superlative – und ein Museum auf Zeit.

Es ist der Auftritt einer Königin. Ihr blaues Gewand und der karmesinrote Mantel sind mit feinsten Goldstickereien bedeckt. Ihr Schleier ist nur ein Hauch. Auch der Jesusknabe auf ihren Knien und der junge Johannes der Täufer vor ihr scheinen aus einem besonderen Stoff gemacht. Um 1493 malte Sandro Botticelli, der große Florentiner Meister elegischer Frauenschönheit, das kleine Andachtsbild der Madonna mit Kind und dem Johannesknaben. Nun bietet es der Kunsthändler Dickinson (London und New York) auf der diesjährigen Tefaf in Maastricht für 15 Millionen Dollar an.

Zum 23. Mal eröffnete am Donnerstag die Tefaf, neben der Art Basel die wichtigste Kunstmesse der Welt und ein Eldorado vor allem für Freunde Alter Meister. Nicht umsonst gehört Botticellis Madonnenbildnis zu den Highlights dieser mit 263 Ausstellern an ihre Grenzen stoßenden Supermesse. Das Gemälde bietet nicht nur die hier erwartete erlesene Qualität, sondern dazu auch eine Provenienz, die als Credo konservativen Kunsthandels gelesen werden kann. 50 Jahre lang, von 1931 bis 1981, gehörte der Botticelli der Familie Rockefeller und wird seither als „Rockefeller Madonna“ geführt. Zwei Dinge lassen sich daraus lernen: Das Investment in Alte Kunst braucht Kennerschaft und langen Atem. Und Sammlerpersönlichkeiten, die Millionen mit Visionen statt mit Spekulationen verbinden, sind nötiger denn je.

Oft war in den letzten Wochen zu hören, dass die Kunstmarktkrise, die 2009 beim Auktionshandel mit zeitgenössischer Kunst zu Umsatzrückgängen von 60 Prozent führte, beendet sei. Die Organisatoren der Tefaf haben der Rezession eine Studie gewidmet, in der die Kulturökonomin Clare McAndrew feststellt, die „Investitionen aus Leidenschaft“ in Alte Kunst profitierten von der Verunsicherung der Superreichen. Ein Befund, den der Schweizer Antikenspezialist Jean Louis Cahn bestätigt: Die Kundschaft goutiere wieder, dass Antiken wie der „Antinoos von Wilton House“, eine im 17. Jahrhundert ergänzte Kolossalstatue der römischen Kaiserzeit, die 300 Jahre den Landsitz der Earls of Pembroke in Wiltshire schmückte (1,4 Mio. SFR), Investitionen mit ästhetischem und kulturhistorischem Mehrwert seien.

Passé scheint die Spaß- und Schockkultur der Gegenwartskunst, auch wenn Haunch of Venison (London, New York, Berlin) die Chuzpe besitzt, eines der halbierten Schweine von Damien Hirst mit dem bezeichnenden Titel „this little Piggy went to market, this little Piggy stayed at home“ für unbescheidene zwölf Millionen Dollar anzubieten. Auch sonst fällt der Bereich der großformatigen Moderne auf der aktuellen Tefaf bescheiden aus, und man ist geradezu dankbar für die Selbstironie, mit der Rodney Graham bei Hauser & Wirth (Zürich, London, New York) sich selbst in den gefallenen Krieger eines französischen Historienschinkens von 1885 verwandelt (350 000 Dollar). Die Klassische Moderne hat einen starken Auftritt bei der Galerie Thomas (München) mit Edvard Munchs „Sitzender junger Frau“ von 1916 (9,5 Mi. Euro), bis zur Aktion „Entartete Kunst“ 1937 in der Städtischen Galerie Frankfurt, und Kees van Dongens strahlendem Porträt seiner Frau Augusta von 1906/07 (3,2 Mio. Euro).

Ein großartiges Museum auf Zeit, das neben vielen europäischen Museumsleuten nach der Abstinenz von 2009 auch wieder die Trustees der großen amerikanischen Museen anlockt, bleibt in Maastricht die Altmeistersektion. Direkt neben Botticelli hängen bei Dickinson Paul Gauguins „Deux Femmes“ aus seiner Südseeperiode (26 Mio. Dollar) und ein seltener früher Guido Reni. „Die nähende Madonna mit drei Engeln“ wurde 1606 von Papst Paul V. Borghese und 1685 von König Ludwig XIV. von Frankreich erworben. 650 000 Pfund kostet das brillante Kleinformat, dessen Pendant heute im Louvre hängt.

Das geheimnisvollste Altmeisterporträt der Messe präsentiert Agnew’s (London). Kurz nach 1550 malte Jacopo Tintoretto jenen unbekannten jungen Edelmann, der nun marktfrisch aus einer Schweizer Privatsammlung kommt (2,5 Mio. Euro). Die konservatorische Durchleuchtung des süffig gemalten Mittelformats ergab, dass sich unter der Malschicht ein weiteres Porträt befindet, das Pietro Aretinos Geliebte Caterina Sandella darstellte. Es spricht einiges dafür, dass das übermalte Bildnis von Tintorettos Lehrer Tizian stammt.

Traditionell stark in Maastricht ist die Malerei der Niederländer, so bei Johnny van Haeften (London). Gerard Terborchs „Kartenspieler“, die bis 2009 im Los Angeles County Museum of Art hingen, sind mit 2,2 Millionen Pfund beziffert, Pieter Brueghels d.J. Darstellung von 95 flämischen Sprichwörtern kosten 3,5 Millionen Pfund. Der Bildersaal von Bernheimer-Colnaghi (London, München), die in diesem Jahr ihr 250-jähriges Geschäftsjubiläum feiern, wird von Joos de Mompers und Jan Brueghels d.Ä. riesiger Frühlingslandschaft dominiert (um 3 Mio. Euro).

Frühlingsgefühle erweckt auch Berthe Morisots Pastellzeichnung ihrer Tochter Julie, dem beliebtesten Kindermodell der Impressionisten, bei Emanuel von Baeyer (London) für 170 000 Euro. Der sympathische Zeichnungsspezialist, der sein Messedebüt vor zwei Jahren auf der Tefaf-Nachwuchsplattform „Showcase“ gab, lobt die neugeschaffene Sektion Tefaf on paper: „Arbeiten auf Papier sind ein eigenes Sammelgebiet. Dem wird hier Rechnung getragen.“ Die konzentrierte Präsentation im Obergeschoss der Messehallen versammelt 19 Papierspezialisten, vom niederländischen Buchantiquariat Forum bis zum Wiener Fotogaleristen Johannes Faber. Zu den Novizen zählt auch Jörg Maaß (Berlin), der mit dem wundervoll melancholischen Beckmann-Aquarell „Holzfäller“ von 1933 (580 000 Euro) und einem Konvolut bislang völlig unbekannter Fotografien von Lyonel Feininger (15 Vintage prints, 1929/30, zusammen 180 000 Euro) punktet.

Entdeckungen verheißt auch die traditionell umfangreichste Tefaf-Sektion der Angewandten Kunst. Georg Laue (München) hat zehn Jahre lang eine seit Jahrzehnten so nicht mehr verfügbare Kollektion von über 80 höfischen Ess- und Vorlegebestecks des 16. bis 18. Jahrhunderts zusammengetragen, dessen kunstvolle Einzelteile zwischen 3000 und 300 000 Euro kosten. Den opulentesten Skulpturenstand präsentiert Daniel Katz, dessen Bronzebüste Ludwigs XIV. von Francois Girardon – das Covermotiv des diesjährigen Tefaf-Katalogs – bereits für das St. Louis Art Museum reserviert ist. Anrührend das Marmorporträt des alternden Antonio Canova, 1795 von dessen Werkstattmitarbeiter Antonio d’Este geschaffen (945 000 Euro).

Bei den Möbeln und Einrichtungsgegenständen ragen auch zwei Stücke mit Berliner Provenienz hervor. Frank C. Möller offeriert einen Rollladenschreibtisch aus der Sammlung Gianni Versace, dessen Pendant Königin Luise im Jahr 1800 für das Potsdamer Stadtschloss erwarb und der dort 1945 verbrannte (195 000 Euro). Für den großen Schinkel-Kronleuchter aus dem Prinz-Carl-Palais (keine Preisangabe) interessiert sich bereits ein Privatsammler. Burkhard Görres, pensionierter Direktor der Preußischen Schlösserstiftung, kann sich nicht erinnern, dass ein so herausragendes Stück schon einmal auf dem Markt war. Auch in den Schlössern gibt es nichts Vergleichbares mehr.

Die Tefaf lebt von Enthusiasten und Spezialisten. Zu ihnen gehören der Messe-Chairman Ben Janssens (London) mit seiner „Oriental Art“, Bernard de Grunne (Brüssel), der an seinem Stand eine ganze Phalanx afrikanischer Skulpturen aufmarschieren lässt, oder Jacqueline Simcox (London), die mit Jahrhunderte alten chinesischen Seidentextilien handelt. Bei diesen Spezialisten kann man mit etwas Glück auch Stücke finden, die vergleichsweise wenig kosten und trotzdem das Tefaf-Qualitätsversprechen einlösen. Ulf Breede, der Berliner Juwelenspezialist, bietet für 900 Euro einen 1941 von der Kölner Goldschmiedin Lieselotte Treskow gefertigten Art-Decó-Ring mit Lapislazuli. Clou der Offerte: Man erwirbt ein Zettelchen der Künstlerin mit, auf dem sie Materialpreise und ihre Lohnkosten notierte. Das Gold für den Ring kostete damals 9,40 Reichsmark.

Tefaf Maastricht, Messezentrum MECC; bis 21. März, 11-18 Uhr. Eintritt inkl. Katalog 55 Euro p.P.

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