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Kunstraub: Paris bei Nacht

Picasso, Braque, Leger, Matisse, Modigliani. Fünf auf einen Streich: Der Diebstahl im Musée de l’Art Moderne könnte der teuerste aller Zeiten sein.

Er hat einen sicheren Griff bewiesen, der Dieb, der in der Nacht zum Donnerstag im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris am Eiffelturm fünf Bilder der klassischen Moderne erbeutete. Selten zuvor sind Gemälde von einem solchen Wert aus einem Museum entwendet worden. Es sind kanonische Werke aus den wichtigsten Schaffensperioden der Künstler.

Besser, kostbarer geht es kaum – auch wenn die zunächst angenommene Schätzung von fünfhundert Millionen Euro Gesamtwert zu hoch gegriffen sein dürfte. Das hieße, dass alle Werke über dem jeweiligen Weltrekord des Künstlers liegen müssten. Andererseits ist das Museum eine renommierte Adresse, was dem Marktpreis helfen dürfte. Am Abend wurden die Angaben auf einen Wert von rund hundert Millionen Euro korrigiert. Doch auch so ist unzweifelhaft, dass es sich um einen der schwersten Kunstdiebstähle handelt. Auf dem freien Markt sind die Bilder wegen ihrer Bekanntheit nach Ansicht von Kunsthändlern, Versicherungsexperten und Kriminalisten ohnehin unverkäuflich, wahrscheinlicher sind in solchen Fällen Lösegeld-Erpressungen.

Um 6.50 Uhr hatten Angestellte des an der Avenue du Président Wilson nahe dem Trocadéro im 16. Pariser Arrondissement gelegenen Museums den Einbruch entdeckt. Der oder die Täter hatten ein Fenster eingeschlagen, ein Vorhängeschloss zersägt und waren dann ins Museum eingestiegen. Nach den Aufzeichnungen einer Überwachungskamera handelte es sich um eine Person. Doch die Ermittler schließen nicht aus, dass es auch mehrere Täter gewesen sein könnten. Unbehelligt von Wachpersonal oder Alarmsystemen konnten sie in den Sälen der ständigen Ausstellung fünf Gemälde – und welche! – mitgehen lassen: „Le pigeon aux petits pois“ von Pablo Picasso (1912), „La Pastorale“ von Henri Matisse (1905), „L’olivier près de l’Estaque“ von Georges Braque (1906), „Nature morte aux chandeliers“ von Fernand Léger (1922) und „La Femme à l’Eventail“ von Amedeo Modigliani (1918/19).

Am wertvollsten dürfte wie immer der Picasso sein, der aus dem Museum entwendet wurde. „Le pigeon aux petits pois“, Taube mit Erbsen, ist ein klassisches Bild der kubistischen Periode, auf dem nur mit Mühe die Taubenkralle und die kleinen Erbsen erkennbar sind. Zuletzt hatte ein großformatiger Picasso von 1932, das Bild „Nackte, grüne Blätter und Büste“ Anfang Mai 2010 bei einer Christie’s-Auktion in New York mit 106 Millionen Dollar (85 Millionen Euro) einen Weltrekord aufgestellt.

Auch der Modigliani ist berühmt: Das Bild der schmalen Lunia Czechowska, die gemeinhin als „Frau mit dem Fächer“ firmiert, war 1991 in der großen Modigliani-Ausstellung in Düsseldorf zu sehen. Eine modiglianitypisch schmale Gestalt in gelbem Hängerkleid, die Haare zurückgenommen, die Augen veilchenblau, der Mund schmal, leicht geöffnet. Die enge Freundin des Künstlers ist von Modigliani in seinen letzten zwei Lebensjahren mehrfach gemalt worden – das Pariser Bild von 1918/19 gilt als das bedeutendste. Der Modigliani-Weltrekord von 2008 liegt bei 31 Millionen Dollar.

George Braques „L’olivier près de l’Estaque“, Olivenhain in der Nähe von Estaque, entstand 1906 in einem kleinen Hafenort in der Nähe von Marseille, während der Fauve-Periode des Malers, und bezieht sich stilistisch auf Cézanne. Ein ähnliches Bild war 1998 bei Christie’s in New York für 4,6 Millionen Dollar versteigert worden. Der Maler wurde in einer späteren Schaffensphase gemeinsam mit Picasso zum Begründer des Kubismus. Für Léger, dessen „Stillleben mit Kerzenleuchtern“ von 1922 entwendet wurde, wurde zuletzt 2008 ein Rekordpreis von 39 Millionen Dollar gezahlt.

Das kunsthistorisch bedeutendste Bild von den fünf gestohlenen dürfte jedoch die „Pastorale“ von Henri Matisse sein, ein südfranzösischer Sommertraum, zwei nackte Frauen, entspannt unter Olivenbäumen gelagert, sehen einem Kind beim Spielen zu, dazu bläst ein Junge Pan-artig die Flöte. Das Bild, das sich auf Cézannes „Badende“ bezieht, dürfte 1905 rund um Collioure entstanden sein, dem Fischerdorf in Südfrankreich, wo Matisse gemeinsam mit André Derain und Maurice de Vlaminck den Sommer verbrachte. Hier entstand die Gruppierung der Fauves, hier fand Matisse mit den locker hingeworfenen Sommerbildern aus seiner künstlerischen Krise wieder heraus und zu einer harmonischen Einheit von Mensch und Natur.

Ein dramatischer Verlust für das Musée d’Art Moderne, das neben dem berühmteren Centre Pompidou ohnehin einen schweren Stand hat. Das Museum, das im Ostflügel des zur Internationalen Kunstausstellung 1937 errichteten Palais de Tokyo untergebracht ist, wurde 1961 eröffnet. Nach seiner Totalrenovierung 2006 umfasst es heute neben den Beständen von Gemälden der klassischen Moderne aus dem Petit Palais etwa 8000 Werke von Picasso über Giacometti bis Soulages, die zum großen Teil durch Schenkungen an die Stadt Paris hinzukamen.

Das mit den Ermittlungen befasste Dezernat für Bandenkriminalität der Pariser Kripo übermittelte Fotos der gestohlenen Bilder an die Zentrale zur Bekämpfung des Handels mit gestohlener Kunst sowie an Interpol, die sie an andere auf dieFahndung nach gestohlenen Kunstwerken spezialisierte Dienste in der ganzen Welt weiterleitete. Wegen der Arbeiten zur Spurensicherung blieb das Museum gestern geschlossen. Mit „großer Betroffenheit“ teilte der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoe dem Direktor des Museums, Fabrice Hergott, seine „Trauer“ über diesen Verlust des „universellen Kulturerbes“ mit. Mehr konnten die Verantwortlichen offensichtlich nicht tun. Jedenfalls gestern, als es zu spät war.

Mehr denn je stellt sich nach diesem spektakulären Fall die Frage nach der Sicherheit in den Museen. Die Mängel der Sicherheitsvorkehrungen in französischen Museen mit ihren unschätzbaren Kunstwerten ist ein ständiges Thema. Erst in der Silvesternacht 2009 hatten Unbekannte aus dem Museum Cantini in Marseille die Pastellarbeit „Les Choristes“ von Edgar Degas im Wert von 800000 Euro von der Wand geholt. Im Juni 2009 stahlen Unbekannte während der Umbauarbeiten im Pariser PicassoMuseum ein wertvolles Skizzenbuch des Meisters. 2007 holten bewaffnete Täter Gemälde von Monet, Sisley und Breughel im Wert von einer Million Euro aus dem Museum für Moderne Kunst in Nizza.

Mit acht Milliarden Dollar gibt Interpol den „Umsatz“ an, den Kunsträuber pro Jahr erzielen. Neben Drogen- und Menschenhandel zählt der Kunstdiebstahl zu den einträglichsten Verbrechen. Vor allem Picasso ist begehrt. Mit 489 Werken führt er vor Miró die jedes Jahr von Interpol veröffentlichte Hitliste gestohlener Kunstwerke an. Nur zehn Prozent aller Kunstdiebstähle werden aufgeklärt.

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