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Kunstschau: Die Documenta genießt ihre Pannen

Missglückter Reisanbau, ein umgestürzter Turm und Stadtreiniger, die Kunst wegputzen: Die Documenta scheint die kleinen Pannen und die entsprechende mediale Aufmerksamkeit zu genießen.

Von Barbara Munker, dpa

Die Besenmänner wussten, was sie taten. Mit Schaufeln rückten die Stadtreiniger den Aufklebern auf Kasseler Straßen zu Leibe, dann waren die weißen Streifen, die die Fahrbahnmarkierungen zu unzähligen Kreuzen ergänzten, wieder ab. Und ein Kunstwerk zerstört. Denn die Straßenkreuze sollten an eine Kunstaktion von 1979 in der chilenischen Diktatur erinnern. Zwei Tage vor Beginn der Documenta am vergangenen Samstag war das die erste Panne der "d12" - es folgten weitere.

Der Fall der Kreuze erinnert an die "Fettecke". Dafür hatte Joseph Beuys vor 25 Jahren aus fünf Kilo Butter eine Skulptur geformt. Vier Jahre später, kurz nach dem Tod des Meisters, rückte eine Putzfrau dem Werk nichts ahnend zu Leibe. Der Fall kostete 40.000 Mark Schadensersatz, war Grundlage einer höchst erfolgreichen Putzmittelwerbung und erheiterte die ganze Republik.

"Ich fühle mich missachtet"

Doch in Kassel wussten die Stadtreiniger (Eigenwerbung: "Die Dreck-Street-Boys"), dass sie gerade einem Kunstwerk zu Leibe rückten. "Ich bin persönlich wirklich verletzt. Es ist ein Akt der Gewalt gegen meine Kunst und ich fühle mich missachtet", hatte Lotty Rosenfeld gesagt. Die Chilenin hatte mit ihren Kreuzen als Zeichen des Todes 1979 gegen das Pinochet-Regime demonstriert und ähnliche Aktionen in der ganzen Welt wiederholt. Die Ausstellungsmacher bedauerten den Vorfall, aber: "Die Straßenverkehrsordnung gilt natürlich auch in der Documenta-Stadt."

Dabei kann Kassel für die Kunst sonst Berge versetzen. Direkt vor dem Schmuckstück der Stadt, Schloss Wilhelmshöhe, durfte der Thailänder Sakarin Krue-On den Park auf 7000 Quadratmetern aufreißen - um Reis anzupflanzen. Künstler und Ausstellungsmacher wollten so mit dem Kontrast aus klassizistischen Schloss und barfuß im Schlamm steckenden Arbeitern spielen. "Die Gegensätze der Globalisierung bis in unsere Wohnzimmer gebracht", wie Bundespräsident Horst Köhler es in Kassel ausdrückte.

Glitschige Terrassen

Spezialisten aus Fernost verwandelten den sanften Hang in glitschige Terrassen, damit der Reis auch in Nordhessen eine Chance bekam. Er nutzte sie nicht. Keiner hatte bedacht, dass der Hügel vor 300 Jahren aufgeschüttet worden war. Das Wasser versickert im lockeren Boden, und noch mehr kann Sakarin nicht bewässern lassen, weil sonst der ganze Hang abrutschen könnte. Der Künstler bleibt optimistisch: "Sakarin ist völlig gelassen, auch wenn er jetzt wohl von Nassreis auf Trockenreis umstellen muss", hieß es von der Documenta. Statt der traditionellen Methoden ist jetzt erst einmal die Gardena-Brause dran. Zudem flehten die Thailänder mittels Räucherstäbchen die Götter um Beistand an.

Auf dem Friedrichsplatz sprießt es zwar in vollem Grün - nur nicht in Rot. Eigentlich hatte die Kroatin Sanja Ivekovic den großen Platz in der Mitte der Museumsbauten in ein wogendes Meer aus Mohn verwandeln wollen. Erinnerung an Soldatengräber? Oder die Rauschgiftfelder Afghanistans? Die Diskussion erübrigte sich, weil wochenlang nur Unkraut, aber nicht ein Mohnpflänzchen zu sehen war. Besucher standen ratlos vor dem Sandplatz, bis sich jetzt das erste zarte Rot zeigte. Documenta-Chef Roger Buergel nahm das Pflänzchen sogar höchstselbst in Augenschein.

Gewitter lässt Turm einstürzen

Die Documenta scheint die kleinen Pannen und die entsprechende mediale Aufmerksamkeit zu genießen. Das gilt erst recht für den größten Knall: Am Donnerstag brachte ein kurzes heftiges Unwetter eines der populärsten Kunstwerke zu Fall. "Template" des chinesischen Künstlers Ai Weiwei war ein zwölf Meter hoher Holzturm, der aus Türen und Fenstern alter, dem chinesischen Bauboom zum Opfer gefallener Häuser bestand. Wenige Tage zuvor hatten noch der Bundespräsident unter dem Bau gestanden.

Doch Ai, vor allem durch seine Einladung an 1001 seiner Landsleute zur Documenta bekannt, denkt nicht an Wiederaufbau. "Das ist besser als vorher", sagt der 50-Jährige. "Jetzt wird die Kraft der Natur sichtbar. Und Kunst wird durch solche Emotionen erst schön." Ai ist auch Architekt und hat am Pekinger Olympiastadion mitgearbeitet. "Aber da war ich Architekt, hier bin ich Künstler. Keine Angst, ich mache da Unterschiede."

Documenta-Chef Buergel, barfuß in einer großen Pfütze vor "Template", sah den Einsturz als "nur konsequent". "Die Trümmer lassen jetzt jede Menge Assoziationen zu. Und genau das will Kunst ja: anregen." Für Köhler habe keine Gefahr bestanden. "Für den Einsturz war ein solches Unwetter nötig, bei dem selbst der mutigste Bundespräsident das Weite gesucht hätte." Für den nächsten Tag hatte sich ein Käufer für "Template" angekündigt. Ai Weiwei zeigte sich direkt nach dem Einsturz dennoch optimistisch: "Der Preis hat sich soeben verdoppelt."

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