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Kunststücke: Lockrufe

Kolja Reichert geht durch einen Wald aus Bronze und findet ein Varieté

In einer frühen Arbeit umschlang Guiseppe Penone den Stamm eines Baumes und schloss die Augen. „Er wird sich der Umarmung erinnern“, nannte er das Werk voller Vertrauen. Penone wuchs auf dem Land auf, südlich von Turin. Die Natur ist für ihn das große Gedächtnis, in dem die Zeit langsamer schlägt. Bei Buchmann (Charlottenstraße 13, bis 27. 6.) ist gerade die erste Berliner Einzelausstellung des Künstlers zu sehen, der Ende der Sechziger als gerade 20-Jähriger die Arte Povera mitprägte und mehrfach auf Documenta und Biennale Venedig vertreten war. Wunderschön, wie sich Penone Strukturen aus der Natur anverwandelt und mit dem eigenen Körper verbindet. Im Zentrum der Ausstellung steht die Arbeit „Propagazione“ von 1995, ein Daumenabdruck, dessen Linien sich per Filzstift zu den Jahresringen eines Baumes auffächern. Hier sind die Ringe fortgeführt zu einer wandfüllenden Zeichnung von achteinhalb Metern Breite. Die Skulptur „Proiezione“ überführt das Konzept in den Raum: In einem Gestell aus Ästen hängen drei Teile einer Kegelform, an einen Projektor oder eine Schießvorrichtung erinnernd. In die Spitze ist wieder des Künstlers Fingerabdruck geprägt, der sich nach hinten wie in einer Explosionszeichnung plastisch auffächert. Guiseppe Penone ist kein Idealisierer. Der Zauber seiner Werke rührt aus einer vornehm Distanz wahrenden Mimesis: Die täuschend echten Äste sind aus oxidierter Bronze, wie auch das Kürbisblatt, in das der Künstler seine Nase drückte (Preise auf Anfrage).

Die närrischen Objekte, die Saâdane Afif unter dem Titel „Varieté“ bei Mehdi Chouakri (Invalidenstr. 117, bis 13. 6.) auf einer Bühne präsentiert, suchen ebenfalls Kontakt zu etwas, das außerhalb von ihnen liegt. Auch wenn sie weniger der Natur entsprungen sind als surrealistischen Fantasien. Ein weißer Kubus ruht da auf eckigen Füßchen, vier hintereinander sich verjüngende Kreisöffnungen locken ins Schwarz. Wie Ohren liegen Lautsprecherchen obenauf, aus denen Anti- Kriegslieder klingen, umgekehrt und verlangsamt, als nehme sich der weltverändernde Impetus in einem zähen Würgen selbst zurück (20 000 €). Ein Mikrofon überträgt das Ticken von zwölf Uhren aus einem Polyeder an einen Gitarrenverstärker, so dass es klingt wie marschierende Zeit. Schafft Penone Anmut und Konzentration, erzeugt Afif fortwährend flirrende Kommunikation, die nie zur Ruhe kommt. „Gesellschaft und Kunstsystem drängen heutzutage zur Subjektivierung“, sagt der Künstler. Dabei zählten doch Offenheit und Dialog.

Kolja Reichert

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