zum Hauptinhalt

Kultur: Kuppel und Kokon

Schwindelerregende Panoramafotos von Martin Liebscher in der Galerie Wohnmaschine

Das Panoramabild ist der erste Schritt in die Virtualität. Mit der „Allschau“, die seit dem 19. Jahrhundert in aufwendig ausgemalten Rundbildern den Beobachter zum Mittendrin-Wesen macht, verwirklicht sich der Traum des Menschen, mehr zu sehen als seine Augen. In der Fotografie setzt sich dieser Wunsch nach der naturalistischen Rundumerfahrung fort. Es gibt spezielle Panoramakameras mit beweglichen Objektiven, die um ihre eigene Achse schwenken und dabei einen schmalen Filmstreifen belichten. Das Resultat ist ein verzerrtes, eigentümlich gekrümmtes Weitwinkelformat. Doch diese Swing-Lens-Kameras sind teuer. Martin Liebscher hatte das Geld nicht. So verfiel der Berliner Künstler auf die Idee, den konventionellen Fotoapparat, den er bereits besaß, umzubauen. Nun kurbelt er den Negativfilm manuell durch das Gehäuse, wahrend er das Gerät durch die Horizontale schwenkt eine etwas umständliche Methode. Aber mit faszinierenden Ergebnissen.

Indem der Fotoapparat in Liebschers Händen zur Kurbelkamera regrediert, der mechanische Automatismus gegen die Bewegungsintuition des Künstlers eingetauscht wird, entstehen Breitwandbilder von schwindelerregender Ungenauigkeit. Dabei bewegt sich Liebscher bei seinen auf diese Weise aufgenommenen Stadtansichten, auf traditionellem Terrain. Denn im Panorama gerinnt die Welt seit jeher zur Landschaft. So auch in den „Berlin“-Bildern, die der Kippenberger-Schüler seit sechs Jahren macht und nun in der Galerie Wohnmaschine zeigt. Darunter Ausblicke vom Berliner Dom. auf den im Bau befindlichen Hauptbahnhof, auf das Handelszentrum sowie in die Kuppel des Reichstags hinein. Wobei besonders dieser Blick aus den Berlinmotiven heraussticht: Die geschwungene Wendeltreppe im Glasei wirkt schon für sich wie das mechanische Zentrum eines Panoramagehäuses – in Liebschers verwischtem, unscharfem und wellenförmig verzerrtem Schwenkbild verschlingen sich die Rundungen. Plötzlich, im Kokon einer klassizistischen Architektur, die für sich reklamiert, Demokratie transparent zu machen, geht der Blick aufs Ganze verloren. Das Panorama existiert nur als gebrochenes fort.

Die Stärke dieses Motivs illustriert aber auch die Schwäche der anderen, Nicht nur hat Liebscher seine Technik seit den ersten Versuchen vor zehn Jahren, als Breitbilder im Licht des Dilettantismus noch an sich Aufsehen erregten, nicht wesentlich weiterentwickelt – sie ist allerdings geschmeidiger geworden. Enttäuschend ist: Der 43-Jährige spielt in diesem Werkzyklus mit einer urbanen Unübersichtlichkeit, Reizflut und einem Orientierungsverlust, die seine Bilder oftmals nur überhöhen. Und was sagt uns diese Gratwanderung zwischen Film und Fotografie über unsere Sehgewohnheiten. Werden sie konterkariert? Um was werden sie erweitert? Zur Raumerfahrung werden diese Panoramen nicht.

Galerie Wohnmaschine bis 10. März; Dienstag bis Sonnabend 11 – 18 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false