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Retterblick: Helge Schneider. Foto: dpa

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Kurz und kritisch: Helge Schneider im Admiralspalast

THEATER Toller Jux im kahlen Wäldchen: Clavigo am bat Studiotheater Reißende Herzen, Tränenströme, übermeisterte Sinne – der junge Goethe hat an nichts gespart, um sein Trauerspiel „Clavigo“ (1774) so wirkungsmächtig wie nur möglich zu machen. Hemmungslose Liebe, Intrige und Verrat bietet er in immer neuen Steigerungen auf, bis zum Schluss-Seufzer über einer schönen bräutlichen Leiche: „Ich vergehe.

THEATER

Toller Jux im kahlen Wäldchen:

Clavigo am bat Studiotheater

Reißende Herzen, Tränenströme, übermeisterte Sinne – der junge Goethe hat an nichts gespart, um sein Trauerspiel „Clavigo“ (1774) so wirkungsmächtig wie nur möglich zu machen. Hemmungslose Liebe, Intrige und Verrat bietet er in immer neuen Steigerungen auf, bis zum Schluss-Seufzer über einer schönen bräutlichen Leiche: „Ich vergehe.“ Lilja Rupprecht vergeht nicht. Sie hat das Stück als Regiestudentin im 3. Studienjahr der Ernst-Busch-Hochschule im Studiotheater bat unverschämt veralbert.

Auf den ersten Blick. Denn was sie da auf die Bühne knallt, hat Witz und Tempo, ist unwiderstehlich gerade in aller Albernheit. Michael Ransburg und Sebastian Grünewald dürfen als Clavigo und Carlos zwei spanisch angehauchte Tunichtgute spielen, die fasziniert sind von sich selbst, im Wortsinn mit Kopf und Kragen für ihr lustiges Aufsteigerspiel einstehen. Und überhaupt mal durchprobieren, was man so alles machen kann, wenn Liebe scheinbar da, aber eigentlich doch im Wege ist.

Behaupten müssen sie sich gegen den „Rächer“ weiblicher Unschuld, Beaumarchais. Aram Tafreshian (Student im 3. Studienjahr) macht aus dem Fremdling eine Art Waldschrat, einen gutmütigen, langsam denkenden Tölpel. Aber das sind nur Oberflächen. Wie sich die Drei im Dialog verheddern, plötzlich in Musik und knallenden Tanz stürzen, selbstvergessen in andere Welten abdriften, den Goethe einfach beiseitelassen und doch in Körper und Kopf behalten, nimmt schon gefangen. Leider ist den Frauen (Katharina Behrens als Marie, Elena Nyfeller als Sophie, Schauspielstudentinnen im 3. Studienjahr) weniger Raum gegeben, sie stehen für das Sentimentale in der wilden Orgie aus Lust und Tempo und toller Akrobatik. Höhepunkt: eine Slapstick-Nummer mit schier hoffnungslos sich verhakenden Stühlen und einem Klapptisch, der nichts anderes kann, als eben immer wieder zusammen zu brechen (wieder am 23.3.). Christoph Funke

ULK MIT JAZZ

Skurrile Gutenachtgeschichten: Helge Schneider im Admiralspalast

Es hat Tradition: Jedes Jahr, wenn der Schnee geschmolzen ist und die ersten Krokusse blühen, kommt „die singende Herrentorte“. Helge Schneider gastiert bis Ostern wieder in seiner Berliner Wirkungsstätte, dem Admiralspalast, und gibt ein Versprechen ab: „Rettung naht – Superhelgi auf Tournee“. Begleitet von Schlagzeuger Willy Ketzer und – neu dabei – den Amerikanern Ira Coleman (Bass) und Tyree Glenn jr. (Saxofon) huldigt er seinen persönlichen Helden Thelonious Monk und Co, spielt sich routiniert wie eh und je durch alle Instrumente, die die Bühne hergibt. Die linke Hand am Klavier, die rechte an der Trompete untermalt der 56-Jährige seine Interpretationen mit einer Mimik, die das Publikum zum Prusten bringt, ohne dass er den Mund aufmacht – und berührt im nächsten Moment mit einem genialen Solo auf dem Vibraphon.

Er spart das „Katzeklo“ aus, scheut sich aber nicht vor steten Neuinterpretationen von „Meisen-“ und „Telefonmann“. Dazwischen: die gewohnten Plaudereinlagen, teils einstudiert, teils improvisiert. Die Geschichten dieses Jahres ließen sich etwa so betiteln: „Wie sich Johnny Klaus in ein Brot einbacken ließ und so aus dem Gefängnis floh“, „Wie der Kopf von Elton John auf den Körper eines Schabrackentapirs montiert wurde“ oder „Warum Hildegard Knef eigentlich Hildegard Kneif hieß“. Man möchte ihn mit nach Hause nehmen, ihn neben dem Bett unter die Nachttischlampe setzen und mehr hören von den Gefahren einer Brustverlängerung, von „Madonna, der alten Sektenschwuchtel“ oder von unheimlichen Begegnungen in Helges Geräteschuppen (noch bis 8.4.). Lydia Brakebusch

OPERETTE

Bissiger Jubel: „Berliner Leben“

in der Neuköllner Oper

Und die Welt ist doch eine Scheibe. Silbern schimmernd liegt sie in der Neuköllner Oper, ist Gepäckband, Prekariatswohnung und Themenhotel zugleich, eine Drehbühne, auf der alle immer nur um sich selbst kreisen. Jacques Offenbachs „Pariser Leben“ erzählt ja auch von der sinnentleerten Sucht nach Vergnügen, deren Hauptstadt im 19. Jahrhundert Paris war und die Hendrik Müller (Regie) und Kriss Rudolph (Text) jetzt, wie passend, ins partyverliebte Berlin des Jahres 2012 verlegt haben. Da wird aus dem Gare Saint-Lazare der neue Großflughafen, der falsche Fremdenführer Raoul de Gardefeu heißt hier Omar (smart: Janko Danailow), das schwedische Touristenpaar kommt aus der Ukraine, ausgestorbene prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Schuster und Handschuhmacherin kehren als Friseur und Tätowiererin wieder, natürlich in Neukölln. Autor Kriss Rudolph hat ein Händchen für knackige Pointen („Zehn Flaschen Wodka Gorbatschow bitte – gibt’s eigentlich schon Medwedew?") und holt die Operette mit zahllosen Anspielungen – etwa auf die Gentrifizierungs- und Ferienwohnungsdebatte – ins Heute, was dem Stück überraschend gut tut. Zwar hat die Inszenierung einen Hang zum Zotigen, aber sie hält die feine Balance zwischen Selbstironie und hirnlosem Klamauk.

Komponistin Barbara Rucha hat Offenbach für Klavier, Keyboard und Percussion arrangiert (Leitung: Hans-Peter Kirchberg) und dabei die grundlegenden musikalischen Strukturen größtenteils beibehalten, wobei sie sich auch von ihnen emanzipiert: Die Party auf den Can-Can „Jetzt geht’s los, ach famos“ im dritten Akt steigert sich in einem fulminanten Crescendo, um dann in ein repetierendes Schlagwerkmotiv überzugehen, zu dem Alexej, der ukrainische Tourist, nur noch fiebrig alleine tanzt. Er und seine Frau Natascha werden von Clemens Gnad und Sarah Papadopoulou gesungen, den einzigen klassisch ausgebildeten Sänger der Produktion, was sie zwischen Musicaldarstellern und singenden Schauspielern besonders fremd und freakig erscheinen lässt. Bei allem Witz ist diese Inszenierung mehr als schenkelklopfende Unterhaltung, nämlich die intelligente Adaption eines Operettenstoffs. Wenn am Ende alle ihr Loblied auf’s liberale Berlin singen, tun sie das nicht ungebrochen, die Stimmen werden immer aggressiver, die Bedeutung fängt an zu schillern, ist das wirklich noch Jubel? Wenn man es so macht – das Bissige, Kritische zu betonen, das zur Operette immer dazugehört hat – könnte man sie tatsächlich für die Gegenwart retten (wieder am 17./18./22./24./24.3.). Udo Badelt

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