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Kultur: Kurz und sündig

BERLINALE-SHORTS Von Nachtfischern und Grenzgängern

Zum ersten Mal seit 2002 werden die Preise für die Berlinale-Shorts wieder bei der Hauptzeremonie vergeben. Trotzdem bleiben Kurzfilme die unartigen Kinder des Festivals. Statt auserzählter Geschichten gibt es narrative Experimente, statt ausschweifender Darstellungen intensive Einblicke ins Innere der Protagonisten. Es dominiert die Kunst des Weglassens: Skizzen statt fertiger Gemälde.

Insgesamt 2800 Kurzfilme wurden eingesandt, 25 davon ausgewählt. Regisseure aus 21 Ländern können sich Hoffnungen auf den Goldenen und den Silbernen Bären machen. Wenn dabei alles, was man zum Erfolg bräuchte, ein paar außergewöhnliche Ideen in Verbindung mit prominenten Namen wären, hätten manche Shorts besondere Chancen, im Gedächtnis der Juroren zu bleiben.

So gibt sich beispielsweise Spike Jonze, Regisseur von Filmen wie „Adaptation“ oder „Wo die wilden Kerle wohnen“, die Ehre. Mit „Scenes From the Suburbs“ erweitert er einen Musikclip der Band „Arcade Fire“ zu einem dystopischen Film, in dem das Leben Jugendlicher vor dem Hintergrund einer zunehmend militarisierten Welt gezeigt wird. Freundschaften gehen zu Bruch, die Suche nach Sinn bleibt schwierig, statt neuer Möglichkeiten gibt es Zäune und Wachhunde. Dabei bleibt die Clip-Ästhetik erhalten. Jonze reißt Probleme nur an, zeichnet eine düstere Welt mit kaum fassbarer Bedrohung.

Optimismus sucht man auch im weiteren Programm vergeblich. In „Untying the Knot“ zeigt der im Iran inhaftierte Berlinale-Juror Jafar Panahi, wie vernichtend das System auf die Menschen in seinem Heimatland wirkt. Ein Teppich soll verkauft werden, um Geld für eine Mitgift zu haben. Doch selbst ein viel zu geringer Betrag muss erbettelt werden. Ohne Beziehungen geht nichts, seine Würde zu bewahren ist so gut wie unmöglich. Als filmische Experimente können „Paranmanjang“ von Park Chan-wook und seinem Bruder Park Chan-kyong und „Tomorrow Everything Will Be Alright“ von Akram Zaatari eingestuft werden. Die Brüder aus Südkorea haben ihren Film auf einem iPhone gedreht. Es geht um den Übergang vom Leben zum Tod, der einen Nachtfischer partout nicht loslassen will. Zaatari lässt eine Schreibmaschine einen Chat zwischen zwei seit Jahren getrennten Liebenden aufschreiben, verwirrend und anachronistisch.

Ein Wiedersehen gibt es mit dem unvergessenen Ulrich Mühe, den sein Sohn Konrad in „Fragen an meinen Vater“ durch seine unzähligen Rollen sprechen lässt. Ohne die Fragen auszusprechen, fasst der junge Filmemacher in elf Minuten sein Verhältnis zum Vater zusammen. Es ist, als würde er vom 2007 gestorbenen Schauspieler Abschied nehmen – ein kluger Film und einer der herausragenden Beiträge in diesem Jahr.

Wie aus der Zeit gefallen wirkt hingegen „Ashley/Amber“ mit seiner 68er-Optik. Zu Beginn sitzt ein Mädchen auf einer Couch. Sie lächelt gezwungen und dann macht sie einen Fehler aus der Kategorie „ich war jung und brauchte das Geld“. Als sie an ihrer Universität Harvard eine Friedensrede hält, erlangt sie durch diese mittlerweile im Internet verbreitete Jugendsünde Aufmerksamkeit für ihre Sache. Ein innerer Spießrutenlauf beginnt, trotz ihrer Aktivisten-Mitstreiter fühlt sich Ashley allein. Die US-Amerikanerin Rebecca R. Rojer hat auf 16 mm gedreht, ständig wähnt sich der Zuschauer in der Vergangenheit, damals Vietnam, jetzt Irak – geändert hat sich scheinbar nichts.

Aus der Reihe tanzt die rumänisch-deutsche Co-Produktion „Apele Tac“. Es ist 1986 an der Grenze zwischen Rumänien und Serbien. Zwei Menschen wollen über die Donau, dann weiter nach Deutschland. Weil einer von ihnen seine schwangere Frau nicht zurücklassen will, gibt es Streit. Anca Miruna Lazarescu verzichtet auf filmische Kniffe und Experimente. Stattdessen erzählt sie einfach eine klassische Geschichte. Mit Einstieg, Mittelteil und Ende. Nik Afanasjew

2800 Kurzfilmer bewarben sich, 25 sind dabei – unter anderem

Spike Jonze und Konrad Mühe

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