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Kultur: Kurze Wellen

ALL THAT JAZZ Christian Broecking über das Zischen der Freiheit Der Jazz ist schlecht, schrieb Adorno in den Fünfzigerjahren, weil der Jazz die amerikanischen Schwarzen in die Schranken kollektiver Identität verweise. In der eher positiv gestimmten JazzBetrachtung von Seiten seiner Peers und Leser witterte Adorno einen Verfall des intellektuellen Niveaus, er wollte das autonome Kunstwerk und die Avantgarde gegen den Jazz verteidigen.

ALL THAT JAZZ

Christian Broecking über

das Zischen der Freiheit

Der Jazz ist schlecht, schrieb Adorno in den Fünfzigerjahren, weil der Jazz die amerikanischen Schwarzen in die Schranken kollektiver Identität verweise. In der eher positiv gestimmten JazzBetrachtung von Seiten seiner Peers und Leser witterte Adorno einen Verfall des intellektuellen Niveaus, er wollte das autonome Kunstwerk und die Avantgarde gegen den Jazz verteidigen. Den „St. Louis Blues“ bezeichnete Adorno als musikalisch niveaulos, die vermeintliche Autorität eines Louis Armstrongs, der ihm vollends als Star der Kulturindustrie erschien, war ihm suspekt, und vom musikalischen Material her gäbe es am Jazz eh nichts Modernes zu dechiffrieren.

Pierre Boulez wendet sich zwar gegen diese, wie er sagt, „arrogante Haltung“ Adornos, doch auch ihm ist der Jazz nicht radikal genug. „Der Jazz ist oder hat ein Problem“, sagt Boulez, „weil er hauptsächlich improvisierte Musik ist. Und um kollektiv improvisieren zu können, braucht man Schablonen. Bis auf wenige geniale Ausnahmen, die es unter den Jazz-Spielern gibt, sind die Schablonen immer da. Unsere Musik hingegen hat immer gegen solche Schablonen gewirkt, seit Ende des 19. Jahrhunderts wollen wir keine Klischees mehr. Diese Revolution hat in unserer Musik längst stattgefunden, während man im Jazz immer noch Variationen über Schablonen spielt. Die Balance ist immer in Gefahr. Es gibt die so genannte hochkultivierte Musik, die gedacht ist, und die es nicht ohne diese große Vorarbeit bezüglich einer grundlegenden Renovierung der Mittel gäbe. Jazz ist bestimmt nicht unkultiviert, es ist eben eine gute Gebrauchsmusik, und es gibt eine Menge von Klischees, die genial oder nicht genial gebraucht werden.“

Einen ganz anderen Zugang zum Jazz hatte der Komponist und Dirigent Peter Eötvös , der Ende der Siebzigerjahre von Boulez nach Paris eingeladen wurde und 13 Jahre lang das Ensemble Intercontemporain dirigierte. Mit den Berliner Philharmonikern führt Eötvös in dieser Woche seine Komposition „Atlantis“ auf. „Wenn ich privat Musik höre, dann ausschließlich Jazz. Klassische Musik interessiert mich immer weniger, weil ich schon zuviel gehört habe. Ich kenne das gesamte Repertoire, aber wenn ich Jazz höre, dann ist das für mich immer neu. Diese Musik zu hören gibt mir das Gefühl, dass ich irgendwie vorwärts komme. Das fing in den Sechzigern mit Miles Davis an, noch in Ungarn, als Kurzwellen-Radio zu hören bedeutete, etwas Verbotenes zu tun. Und seit meiner Kindheit verbinde ich Jazz und die typischen Zischgeräusche des KW-Radios mit einem ganz tiefen Gefühl von Freiheit. Ich würde auch gerne Jazz spielen, aber ich sehe meine Grenzen.“ Die Konzerte mit Peter Eötvös und den Berliner Philharmonikern finden von Donnerstag bis Sonnabend jeweils um 20 Uhr in der Philharmonie statt.

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