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Kurzkritiken: Lang Lang in der Philharmonie, ein bayrisches Musical und die "O-Ton-Piraten"

KLASSIKVollgas: Lang Lang in der PhilharmonieDer Zeichentrickfilm „The Cat Concerto“ von Tom und Jerry habe ihn als Kind zum Klavier gebracht, erzählt Lang Lang. Man glaubt es, denn auch bei seinem Soloabend in der Philharmonie spielt er so, als würde er die Geschichten von Katz und Maus begleiten.

KLASSIK

Vollgas: Lang Lang in der Philharmonie

Der Zeichentrickfilm „The Cat Concerto“ von Tom und Jerry habe ihn als Kind zum Klavier gebracht, erzählt Lang Lang. Man glaubt es, denn auch bei seinem Soloabend in der Philharmonie spielt er so, als würde er die Geschichten von Katz und Maus begleiten. Egal, ob gerade Verfolgungsjagd oder Ruhe angesagt ist, ob das Finale einer Prokofjew-Sonate oder ein Beethoven-Adagio auf dem Programm stehen – der 28-Jährige kostet immer nur den Moment aus. Das bekommt einem klassischen Stück wie Beethovens früher C-Dur-Sonate nicht: Obwohl Lang Langs Bemühen um klare Basstöne, um Balance und polyfones Spiel immer wieder aufblitzt, gewinnt sein Beethoven nie den Energieüberschuss, der das Formgerüst unter Spannung setzt.

Trotz der Ratschläge seiner Mentoren Barenboim und Eschenbach ist das Grundproblem von Lang Langs Klavierspiel spürbar: Es definiert sich nur von den Extremen her, ist entweder Vollgas oder Vollbremsung, ohne zu dem schlichten Ernst zu finden, den man für Beethoven bräuchte. So schnell Lang Lang auch spielen mag, so schön er Melodien ins Nichts auslaufen lassen kann – die Botschaft ist immer die gleiche: Da hat einer so viel Spaß am Klavierspiel, dass der Ausdruck der Stücke auf der Strecke bleibt.

Kein Wunder, dass Beethovens „Appassionata“ zur Karikatur wird, dass Prokofjews siebte Sonate hier nichts von galliger Schärfe spüren lässt. Selbst in den kleinformatigeren Stimmungsbildern von Isaac Albeniz’ wunderbarer „Iberia“ zerstört Lang Lang durch seine Temposchwankungen immer wieder die Wirkung, die er mit seinem leuchtenden Anschlag erzielen könnte. Ob der gerade verkündete Wechsel von der Deutschen Grammophon zur Sony eine künstlerische Neuorientierung bringen wird? Jörg Königsdorf

MUSICAL

Brechstange: „Die Alpenköniginnen“ im Tipi

Eigentlich müsste man erwarten, dass ein Stück wie „Die Alpenköniginnen“, das krachlederne bajuwarische Traditionen auf die Bühne bringt und sich zugleich über sie lustig macht, bestens nach Berlin passt – einer Stadt, in der Simulation und Inszenierung zum Lebensgefühl gehören. Doch bei der Berlin-Premiere im Tipi jubelt das Publikum nur zögerlich, es herrscht Irritation. Was ist passiert? Das Problem ist nicht die zotige Geschichte der zwei Sennerinnen, die mit ihrem Jodeln alle Männer verführen, sondern die Umsetzung, die über ein für das Tipi ungewohntes Schülertheaterniveau nicht hinauskommt (Regie: Uli Langguth).

Bayern ist nur scheinbar ein dankbares Thema für Karikaturisten. Wenn man wie die beiden Hauptdarstellerinnen Tanja und Susi Raith zu sehr auf Dialekt und dicke Brüste vertraut, rächt sich das. Denn Ironie ist ein scheues Wesen, wo man sie erzwingt, verschwindet sie. Das alte Spiel mit dem bayrisch-preußischen Gegensatz läuft zudem ins Leere, da sich niemand mehr in Berlin als preußisch empfindet. Trotzdem gibt es Lichtblicke: Das Orchester „Die Niedergeschnackselten“ (Leitung: Norbert Bürger) zitiert mit Tuba, Akkordeon und Posaune die Musikgeschichte von Richard Strauss bis „Titanic“, und Florian Simbeck macht sich mit eingefrorenem Dauergrinsen so charmant über seine Figur des schönen Hansi lustig, dass hier immer wieder aufblitzt, was an diesem Abend möglich gewesen wäre (bis 28. 2.). Udo Badelt

COMEDY

Pointenservice: Die O-Ton-Piraten in der Bar jeder Vernunft

Ein Mann trägt Fummel, bewegt Lippen und Mimik zur Stimme eines anderen, die übergeht in die Stimme einer Frau, in Chorgesang an der Seite auf- oder abgetakelter Männer, in Gespräch, Choreografie. Es gibt Kirmesboxen, in denen Rumpf und Glieder diverser Wesen komisch zu einer Person collagiert werden. Die Kunst der fünf O-Ton-Piraten besteht aus Playback-Travestie, Tingeltangel-Grotesken und surrealer Verfremdung, kombiniert mit kenntnisreicher Plünderung von Tonfilm- und Schlagerarchiven; Text- und Soundtrackfetzen werden nahtlos zu neuen Sketchen zusammengeklebt. „Sind Sie im Augenblick frei? Ich habe seit 23 Jahren keinen Verkehr mehr gehabt.“ Heilige Hegemann! Was diese Monteure aus Altmaterial zaubern, ist der lustigste Kommentar zum postmodernen Originalitätsdiskurs, eine Hommage an Synchronsprecher und Dialogschreiber. Es gibt die O-Ton-Piraten, sie sind einzigartig! Das ist die gute Nachricht.

Leider werden sie nicht besser. Ihre Shows „Liebe ist …“ und „Groß in Fahrt“ trauten sich noch, zwischen Gaga-Brechungen Liebesmärchen zu erzählen. Bei „Geschnitten am Stück“ (bis 28. 2., außer Samstag) expandiert das variationsarme Tuntenballett samt Pointenservice á la gay. Goldworte fürs Poesiealbum – von Scarlett O’Hara („Ich bin so traurig über alles“) bis zu Dieter Bohlen („Ich find das total unmännlich“) und Balus Mädchen-Phobie („Die machen nur Ärger“) – muss sich da jeder selbst herauspicken: „Diese Frau fängt erst an zu begreifen, was Einsamkeit wirklich ist.“ Thomas Lackmann

Jörg Königsdorf

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