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Kultur: La Ola in Löws Laptop

Ein Bericht zur Lage der Nation, 59 Tage vor der Fußballweltmeisterschaft / Von Moritz Rinke

Vor ein paar Tagen im Fernsehraum der Sauna am Europacenter. Da saßen etwa 30 Männer um die 60 in Bademänteln, tranken Bier und sahen das Spiel Kaiserslautern – Hertha, es war wirklich wie früher beim Fußball, als die Welt noch in Ordnung war, Fritz-Walter-Stimmung.

Plötzlich fing Christian Fiedler von Hertha eine Flanke ab. „Den Fiedler!“, schrie einer und sprang auf, „den Fiedler müssen wir nehmen für die WM, den Fiedler!“, dabei ging ihm der Bademantel auf, was er gar nicht merkte, und dann kam das Unvermeidliche: 30 Männer diskutierten erhitzt das deutsche Torwartdrama, alle in offenen Bademänteln, es war so schrecklich. Irgendwann stand ich auf in meinem Kimono und sagte: „Ruhe! Kahn hin, Lehmann her, ich freu mich auf die WM und den Sommer!“ Die Diskussion wurde sofort gestoppt, und alle blickten pikiert auf ihre Bierdeckel, während es draußen hagelte. Man hörte nur noch den Hagel.

Ich stellte mir jetzt vor, wie die Spieler von Costa Rica im Eröffnungsspiel in München frierend mit Handschuhen spielen und total verwirrt auf das Tor von Fiedler zulaufen, weil mit der Lehmann-Entscheidung ein Medienterror der „Bild“-Zeitung einsetzte, der noch schlimmer war als die Heinrich-BöllAffäre, so dass am Ende – nachdem Kahn mit seinem Audi zuerst Lehmann und dann Hildebrand überfuhr und selbst in U-Haft ging – nur noch diese Lösung blieb. „Warum redet ihr eigentlich permanent vom Torwart? Frau Merkel hat gesagt, wir sind eine Turniermannschaft, ich glaub’, wir gewinnen sowieso die WM, sogar mit Fiedler!“ Jetzt ging’s richtig los ...

Man kann es so zusammenfassen: Wir sind derzeit ein Land, das nicht mal einen linken Verteidiger hat, der mit links schießen kann. Noch nie hat es das gegeben! Und das bei der WM im eigenen Land! Freude kam jedenfalls keine auf in der Fritz-Walter-Sauna.

* * *

Die Italiener haben ihre Stadien für die Winterolympiade immer noch nicht fertig; in Athen bei den Olympischen Spielen haben sie noch während der Abschlussfeier herumgeschraubt, nur in Deutschland ist alles schon bereitet, und jetzt bleiben noch genau 59 Tage, um alles wieder geistig in Schutt und Asche zu legen. „Stiftung Warentest“, „Bild“, die deutschen Sportjournalisten, Deislers Knie und die deutsche Seele in der Fritz-Walter-Sauna – das wird wohl reichen, um uns pünktlich zur WM zu angsterfüllten, nur auf uns selbst blickenden, zwischen Panik und Größenwahn eingeklemmten Gastgebern zu machen.

Es wird oft gesagt, eine deutsche Nationalmannschaft spiegele bei großen Turnieren auch immer den Zustand des Landes wider. Sepp Herberger und Adenauer stünden für die Gründungsmythen und keinerlei Experimente; Willy Brandt und Helmut Schön für „Mehr Demokratie wagen“ oder Kohl und Berti Vogts für Höhen und Tiefen, beides behäbig hinnehmend („Das Spielfeld war zu lang für Doppelpässe“). Für was aber stehen Merkel und Klinsmann?

Vermutlich wäre es einfacher, Schröder und Klinsmann in einem Atemzug zu nennen, weil damit mehr über einen Zeitenwechsel gesagt wäre, der beide scheitern ließ und lassen wird. Schröder übernahm eine Politikkonzeption, die sich in 16 Jahren darin eingelebt hatte, dass Deutschland eben Deutschland sei und ewig so bleiben werde: Die sichere Rente ist eine sichere Rente und der rheinische Kapitalismus das ewige Modell, auch für die Weltwirtschaft. Und wenn sich mal etwas Dunkles, global Bedrohliches abzeichnete am Horizont, dann sollte das Deutschland nicht sehen, und Kohl warf sein riesiges Jackett einfach über den Horizont.

Ähnliches tat der Fußball. Er zehrte von großen Siegen, von alten Systemen, schlug noch Jahre Bälle aus dem 16er nach vorne, während andere Länder bereits mit Viererketten, Raute und OneTouch-Kombinationen im Mittelfeld spielten. Die Fußball-Gesellschaften wandelten sich in den letzten 15 Jahren fundamental, ohne dass es hier zu Lande zur Kenntnis genommen worden wäre, denn auch unsere DFB-Präsidenten hatten große, die Welt verdeckende Sakkos. Man stellte nach wie vor im Training Hütchen auf, ließ die Spieler durch deutsche Wälder rennen, während andere Länder und Vereine ausgeklügelte Fitnessprogramme entwickelten, um so genannte Laktat-Schwellen zu perfektionieren zwischen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffaufnahme. Rapider Wandel dort, das alte Beharrungsprinzip hier – und das alles im gnadenlosen WM-Rhythmus, der ja auch den politischen Legislaturen entspricht: je höher der Druck durch das Beharren auf deutsche Kontinuität, Tugenden und Hütchen, umso kleiner und winziger der Zeitraum der angstfreien Neugestaltung.

Rudi Völler war am Ende wie Kohl, wie aus einer anderen Zeit. Und Klinsmann wird am Ende sein wie Schröder. Wenn man die Reform nicht wagt, bleibt man stecken. Wenn man die Reform aber wagen will, bleibt man auch stecken.

Alle vier Jahre wollen die Deutschen sehen und hören, dass alles super ist und immer bleiben wird. Wenn man eine deutsche Wahl gewinnen will in globalen Zeiten, muss man lügen, was das Zeug hält und über alles Kohl-Jacken drüberwerfen, wenn möglich, sich sogar selbst als Reformer bekämpfen wie zuletzt Schröder. Wenn man aber eine WM gewinnen will, dann ist das mit dem Lügen schwieriger, denn die Wahrheit liegt bekanntlich auf dem Platz, und das ist auch das Einzige, was aus der guten alten Zeit noch geblieben ist. Diese letzte Otto-Rehhagel-Weisheit macht es Jürgen Klinsmann vermutlich ziemlich schwer.

Neulich war ich bei einem Spiel in Bremen, und ein paar Sitze weiter saßen Klinsmann und sein Kotrainer Jogi Löw. Löw schaute immer in einen Laptop und selten auf das Spielfeld, und auch Klinsmann Gesichtszüge erhellten sich eigentlich nur, wenn er zusammen mit Löw in den Laptop sah. Oliver Bierhoff, der Teammanager der Nationalmannschaft, hat kürzlich erklärt, dass ein Gespräch zwischen ihm, Jogi und Jürgen „Conference Call“ heiße und dass man Spiele heutzutage ohnehin ganz anders durchplane. Darum haben sie jetzt auch Decodierungsprogramme mit Analyse-Software, die jede WM-Mannschaft in ihre Einzelteile zerlegen. Klinsmann sagt, dass jeder Spieler auf Sardinien im Trainingslager eine persönliche DVD bekommt mit einem Film, der in 3-D-Animation zeigt, was ganz individuell gegen Ecuador oder Polen wie beim Ego-Shooter auf ihn zukommen wird.

Trainer sind heute vermutlich auch Videokünstler, auf jeden Fall arbeiten sie moderner, sagt Bierhoff. Fabio Capello, der Trainer von Juventus Turin, habe sogar eine Managementausbildung bei Berlusconi gemacht. Das sind die großen Vorbilder. Die Analyse-Software, LaktatSchwellen, Capello, nicht Gerhard Mayer-Vorfelder mit dem DFB-Verband voller Hütchen, schließlich hat Schröder auch lieber globale Märkte beobachtet als die SPD-Ortsvereine.

Trotzdem war das irgendwie ein komisches Bild, Klinsmann und Löw während des Spiels vor dem Laptop. So als plane man theoretisch etwas mit Powerpoint, was es in der deutschen Wirklichkeit auf dem Platz noch gar nicht gibt. Ja, es war, als sehnten sie sich Löw und Klinsmann danach, die ganze WM einfach per Mausklick in ihren Laptop zu verschieben und dort superdurchgeplant und mit einer besonderen Software stattfinden zu lassen, bis zum Finale und zum deutschen Sieg – und ohne Anwesenheitspflicht, Jürgen in Kalifornien, Oliver am Starnberger See, Jogi im Schwarzwald.

Ich kann mir vorstellen, wie das in Löws Laptop aussieht: deutsche Abwehrspieler, die nicht nur in ihren Vereinen auf der Reservebank sitzen, sondern wirklich spielen! Eine Raute mit ausgezeichneten Laktat-Schwellen für die erhöhte Ballzirkulation und dazu deutsche Spieler, die noch nicht geboren wurden, aber in der Powerpoint-Präsentation schon so zaubern wie Ronaldinho und Deco. Alles ohne deutsche Tugenden, die werden nicht mehr gebraucht! An den Wald denken und rennen, bis die anderen zusammenbrechen, das gibt es nicht mehr im globalen Fußball, das weiß Löws Laptop.

Oh ja, wenn ich damit einfach mal zu meinen Freunden in die Fritz-Walter-Sauna gehen könnte! Sie würden alle mit offenen Bademänteln in Jogi Löws Laptop starren und mit verdrehten Augen sehen, wie sogar der deutsche Linksverteidiger plötzlich mit links schießen kann!

Wenn man allerdings jetzt im wahren, nicht-digitalen Leben ohne Software noch eine deutsche WM-Euphorie auslösen wollte, dann darf man nicht in die Zukunft visionieren. Nein, man muss die Vergangenheit beschwören, man müsste vermutlich ernsthaft ankündigen, die Rumpelfüßler Wörns, Carsten Ramelow oder gleich Jürgen Kohler wieder hinten reinzustellen. Und dann bloß keine Testspiele mehr bestreiten. Tatsächlich kann man sogar glücklich sein, dass Deutschland quasi nur noch gegen Luckenwalde und Japan spielt, sonst würde nämlich am 9. Juni eine Mannschaft auflaufen, die aussähe wie die Reform zur Pflegeversicherung. Zwei Schritte vor und drei zurück. Grauenvolle Vorrunde, Achtelfinale, und aus die Maus.

* * *

Die Deutschen freuen sich ja eigentlich nur dann auf etwas, wenn sie am Ende wahrscheinlich siegen werden. Im eigenen Lande zählen nicht Charme, Gastfreundschaft, der Blick auf eine offene, vielleicht gewandelte Nation, sondern der Sieg muss her. Wir müssen der Welt zeigen, wer wir sind! Wer man ist, zeigt man hier zu Lande irgendwie nur durch Siegen. Das ist eigentlich total schade.

Neulich hat der bedauernswerte Oliver Kahn in einem Interview erklärt, es sei ihm scheißegal, wie man gespielt habe, er wolle den Erfolg. „Scheißegal wie eure Ehe ist, wir wollen Enkelkinder“, diesen Satz habe ich in deutschen Familien auch schon gehört.

Statt dass man nun sagt, okay, wir haben mal wieder die Reform verpasst, verpassen wir jetzt bloß nicht vor lauter Selbstzerfleischung, den Gästen die Tür aufzumachen! Und dabei auch mal zu lächeln! Wenn ich mir etwas wünschen könnte für die WM, dann wäre das so eine Art Last-Minute-Fitnessprogramm fürs Lächeln in 3-D-Animation. Wir brauchen für die WM einfache bessere Laktat-Schwellen fürs deutsche Lächeln! Kein verstörtes, künstlich-optimistisches Klinsmann-Lächeln, in dem schon der ganze Zwang zum Siegen abzulesen ist, sondern ein entspanntes, ehrliches, tiefatmendes Lächeln. Dieser ganze „Du-bistDeutschland“-Mist müsste einfach nur einer nationalen Großentspannung weichen. Du bist Deutschland – ich bin entspannt ...

Und jeden Tag müsste „Bild“ diesen Satz drucken: LIEBE DEUTSCHE MITBÜRGER! WIR HABEN EINE UNREIFE, ABER NETTE B-MANNSCHAFT IM UMBRUCH UND FREUEN UNS AUF DIE ANDEREN NATIONEN! ZU GAST BEI FREUNDEN!

Ich glaube, wir können es schaffen. Noch 59 Tage.

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