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Festhalten. (Adele) Kate Winslet und Frank (Josh Brolin).

© Paramount

"Labor Day" von Jason Reitman: Kate Winslet und Josh Brolin verzaubern

Der Komödienfilmer Jason Reitman geht neue Wege: In „Labor Day“ erzählt er eine zarte Familienliebesgeschichte - mit zwei großartigen Hauptdarstellern.

Jason Reitman ist einer, der sein Publikum verwöhnt. Seit 2005 bringt der in Montreal geborene Sohn des rustikalen Komödienregisseurs Ivan Reitman alle zwei Jahre tempo- und geistreiche Filme heraus, die Kritiker und Zuschauer gleichermaßen begeistern: Den Anfang machten „Thank You For Smoking“, worin er die Tabaklobby aufs Korn nimmt, und „Juno“ mit Ellen Page als schwangerer 16-Jähriger, die mit ihrem Kind ein Adoptivelternpaar beglückt. Ebenso frisch im Gedächtnis sind George Clooney als manischer Vielflieger kurz vorm Karriereabsturz („Up in the Air") und zuletzt Charlize Theron: In „Young Adult“ will sie unbedingt ihren JugendLover zurückerobern, mag der unterdessen noch so glücklich anderweitig gerade Vater geworden sein. Verwöhnt hat Reitman, mittlerweile 36, sein Publikum, und ebenso zuverlässig hat er es an sein außergewöhnlich kluges Mainstreamkino gewöhnt - an die typisch würzige Mischung aus Sarkasmus und tiefer Emotionalität, aus scharfer Gesellschaftssatire und zarter individueller Glückssuche. Ja, offenkundig entwickeln seine realistischen Filme sogar die Kraft, einen mit der sperrigen Gegenwart zu versöhnen – und wenn sie denn, wie „Thank You For Smoking“ und „Up in The Air“ weltweit das Sechsfache ihres Budgets einspielen oder wie „Juno“ gar das Dreißigfache, dann sind auch die Produzenten bester Laune.

In den USA fiel der Film durch - zu Unrecht

Reitman ist also einer, der „liefert“, wie man heute so schön hässlich sagt. Reitman: eine Marke, ein Label. Und eine immergleiche Formel, da mögen sich die Filme thematisch noch so sehr unterscheiden: Humor plus Tiefgang gleich Erfolg. Insofern funktioniert Reitman auf dem Kinokonfektionsmarkt bislang bestens – in Serie. Nur dass seinen Filmen die Seriennummer am Ende des Titels fehlt.

„Labor Day“ nun funktioniert allerdings völlig anders: Absolut ironiefrei erzählt der Film eine ungewöhnliche Patchworkfamilienliebesgeschichte, angesiedelt 1987 in New Hampshire rund um den Tag der Arbeit, der in den USA Anfang September gefeiert wird. Ein entflohener Sträfling hält eine alleinerziehende Mutter und ihren halbwüchsigen Sohn gefangen – oder findet er Unterschlupf bei ihnen, weil sie diesen Fremden auf ihre Weise zu lieben beginnen? Und wenn schon nicht auf Humor, so scheint „Labor Day“ zumindest auf Sex & Crime zu setzen – nur dass er auf jedwede Bettszene verzichtet und kein einziger Schuss fällt. Anders gesagt: „Labor Day“ funktioniert nicht. Jedenfalls nicht beim US-Publikum. Mit gigantischen Erwartungen gestartet, verschwand der Film schnell aus den Kinos und wurde zum Top-Flop auch unter US-Kritikern: Laut rottentomatoes.com mochten nur ein Drittel der Sichtungsprofis ein paar gute Worte für den neuesten Reitman einlegen. Nur: Ist „Labor Day“ drum ein schlechter Film? Oder ist die Reaktion nicht vielmehr ein Beleg für unsere immer durchmechanisierteren Wahrnehmungsformen? Für die Konditionierung aufs Stereotyp selbst dort, wo wir Originalität zu rühmen meinen?

Wer sagt, dass ein Knasterfahrener sich nicht im Haushalt nützlich machen kann?

Festhalten. (Adele) Kate Winslet und Frank (Josh Brolin).
Festhalten. (Adele) Kate Winslet und Frank (Josh Brolin).

© Paramount

Josh Brolin spielt Frank: Der wegen Totschlags zu 18 Jahren Haft Verurteilte hat sich beim Fluchtsprung aus dem Fenster eines Krankenhauses verletzt. Plötzlich taucht er aus einem Verschlag im Supermarkt auf und schließt sich der einsamen Adele (Kate Winslet) und dem jungen Henry (Gattlin Griffith) an. Mutter und Sohn, seelisch so still wie tief beschädigt durch das Zerbrechen ihrer Familie, sind formal Franks Geiseln; zugleich übernimmt der Flüchtling in aller Ruhe und Freundlichkeit die vakante Rolle des Mannes und Vaters, indem er von Anfang an wie selbstverständlich dazugehört: ein Puzzlestück, das sich einfügt ohne jede Gewalt in ein schmales Ensemble. So fixiert Reitman in „Labor Day“ die Konstellation, nach Joyce Maynards gleichnamigem Roman (deutscher Titel: Der Duft des Sommers). Wer sie nicht hinnehmen will wie das Einbrechen von etwas durchaus Märchenhaftem in die übrige Realität, ist für diesen Film verloren. Wer aber sagt, dass derlei vollends unglaubwürdig sei? Dass ein Knasterfahrener sich nicht in einem Haushalt nützlich machen kann, oder dass er einem schüchternen Scheidungskind an Vaters Statt nicht behutsam Baseballtricks beibringt? Und warum soll die Hingabe an so jemanden allenfalls als Symptom für das Stockholm-Syndrom verzeihlich sein?

Je tiefer man in die überhitzte Spätsommerwelt dieses sachte progredierenden Films eindringt, desto stärker wirft er einen auf eigene Reflex-Klischees zurück. Die Distanz, die man zu ihm einnimmt: Sollte sie selber eine genormte sein? Schon möglich, dass manches – und damit ist jetzt nicht der Pfirsichkuchen gemeint, den das Trio gemeinsam backt – gelegentlich an den Rand des Süßlichen gerät, vor allem gegen Ende, als auch der subtile Soundtrack sich ein gewisses Crescendo nicht ganz versagen mag. Über weite Strecken aber ist die Zartheit ebenso genau beobachtet wie etwa die scharfe Ruppigkeit von Henrys Mitschülerin Mandy (Maika Monroe). Und erst recht die Zärtlichkeit: nichts atemberaubender als die zeitlupennahe Langsamkeit, mit der sich eine Schläfe an eine Schulter schmiegt.
Viel riskiert hat Jason Reitman mit diesem Film, den er ganz aus der Perspektive des Heranwachsenden erzählt – und offenbar viel verloren, da mögen die Schauspieler durchweg noch so brillant geführt sein. Zu unrecht. „Labor Day“ ist nur anders, weiter nichts. Umso aufregender die Zukunft dieses Regisseurs, dem der Vater ganz zu Beginn sagte: „Es ist nicht dein Job, komisch zu sein.“ Und: Viel mehr käme es auf die eigene Wahrhaftigkeit an.

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