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Kultur: Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht

Ein Comeback nach privaten Katastrophen: Herbert Grönemeyer präsentiert am Hackeschen Markt sein neues Album „Mensch“

Von Christian Schröder

Es ist okay. Kein Überschwang, aber auch keine Depression. Ein Zustand irgendwo dazwischen. Es ist okay: Vielleicht sagt das einer, der das Mitleid satt hat, auf die Frage, wie es ihm geht. „Es ist okay / Alles auf dem Weg / Und es ist Sonnenzeit / Unbeschwert und frei / Und der Mensch heißt Mensch. Weil er vergisst, weil er verdrängt / Weil er schwärmt und stählt / Er wärmt, wenn er erzählt / Weil er lacht, weil er lebt, du fehlst.“

Ein Refrain, von pulsierenden Elektrobeats angetrieben und eingebettet in sanfte Synthiestreicher. Am Mittwochabend hallt er als Endlosschleife über den Hackeschen Markt. Der Eingang zum Café „Zucca“ ist mit hölzernen Trennwänden abgeriegelt, deren Sprossen sonnenstrahlförmig auf die Inschrift „MENSCH“ zulaufen, in der Freiluftzone dahinter nippen Medienmenschen Prosecco. Man wartet auf den Beginn der so genannten „Albumpressekonferenz“, bei der Herbert Grönemeyer seine neue CD „Mensch“ (Grönland/EMI) vorstellen wird. Es ist das erste Album nach vier Jahren und ein Comeback. Grönemeyer, mit mehr als zwölf Millionen verkaufter Tonträger einer der erfolgreichsten deutschen Popstars und längst ein Markenzeichen wie Opel oder die AEG, hatte Ende 1998 innerhalb von einer Woche seine Frau und seinen Bruder verloren.

Eine private Katastrophe, nach der sich der heute 46-jährige Sänger nach London zurückzog. „Mensch“ ist ein Schritt heraus aus der Selbstabkapselung und ein Stück musikalischer Trauerarbeit. Die gleichnamige Single sprang sofort nach der Veröffentlichung an die Spitze der Charts, so erfolgreich war noch keine andere Auskopplung Grönemeyers. Das Interesse an seinem zehnten Studioalbum ist entsprechend groß. Auf einer Tribüne sind ein Dutzend Fernsehkameras postiert, ein, zwei Hundertschaften Reporter halten Aufnahmegeräte und Stifte bereit. Was sie zu sehen kriegen, ist erst einmal nur das Video zur Single. Darin stapft ein als Eisbär kostümierter Mensch aus einem Filmstudio, in dem er einen albernen Speiseeis-Werbespot gedreht hat, durch eine trostlose Vorstadt und einen endlosen Wald zum Meer. Die versonnene Selbstironie des Clips passt gut zur Trotz-alledem-Lakonie des Songs. „Es tut gleichmäßig weh / Der Mensch heißt Mensch / Weil er irrt und weil er kämpft / Weil er hofft und liebt / Weil er mitfühlt und vergibt.“

Alles bleibt anders

Auf der Bühne, wo ein leerer Barhocker den Platz markiert, den Grönemeyer später einnehmen wird, erscheint eine Mitarbeiterin der Plattenfirma und erläutert den Ablauf des Abends. „Wir beginnen mit einem Listening des Albums, an den sich ein Photocall und die Pressekonferenz anschließen. Danach wird das Büffet eröffnet. Während der Pressekonferenz ist das Fotografieren nicht erlaubt.“ Ein wenig erinnern die strengen Spielregeln an das Schröder-Stoibersche TV–Duell, nur dass hier die Wahl sozusagen schon entschieden ist. Für „Mensch“ gibt es mehr als 300 000 Vorbestellungen, damit hat das Album, das am Montag erscheint, bereits jetzt Platin-Status. „Mensch“, so viel lässt sich nach einem ersten Listening sagen, macht dort weiter, wo „Bleibt alles anders“, die letzte Veröffentlichung, aufgehört hat. Mit dem Vorgängeralbum, das mit Breakbeat-Gewittern und House-Rhythmen überraschte, erfand sich Grönemeyer vor vier Jahren neu. Der Deutschrocker, der jahrzehntelang zu altbewährtem Zwei-Gitarren-Keyboards-Schlagzeug-Bass-Backup seine Ruhrpott-Herkunft („Bochum“) beschworen und wacker gegen Kohl („Ein Lächeln liegt auf diesem Land“) und Rechtsradikalismus („Die Härte“) angesungen hatte, entpuppte sich plötzlich als digital versierter Club-Popper.

Dass in Grönemeyers Plattenschrank nun die Alben von Massive Attack, Leftfield und Groove Armada stehen, ist auch „Mensch“ anzuhören. Allerdings hat der Grad der Elektronisierung nachgelassen, die Anzahl der Beats per Minute geht zurück, Balladen und Midtemponummern herrschen vor. Grönemeyer hat es nicht länger nötig, gegen sein Image anzustürmen. Es gibt hart tackernde Minimal Music („Blick zurück“), Raggae-Anklänge („Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht“), bluresken Straight-Pop („Viertel vor“) und elektronisch verzerrte Gesänge wie aus einem Wasserrohr („Dort und hier“). Das E-Piano-Zwischenspiel in „Mensch“ erinnert sogar an „Geronimo’s Cadillac“ von Modern Talking. Massive Attack und Modern Talking: Irgendwo dazwischen ist der neue Grönemeyer musikalisch zu Hause. Einen „Mensch“-Remix von den Gorillaz gibt es übrigens auch schon.

Schon immer hat Grönemeyer in seinen Songs sein Seelenleben nach außen gestülpt, aber so tief wie auf dem neuen Album ging die Introspektion noch nie. Derlei Selbstentblößung könnte schnell ins Peinliche kippen, doch davor bewahren den Sänger die karge Spröde seiner Metaphern und die eigentümliche Eckigkeit seines Vortragsstils. Die Texte des Reimverweigerers sind Kaskaden von Halbsätzen, Alltags-Assoziationen und Redewendungen, über die anrührendsten Stellen nuschelt Grönemeyer hinweg. Man muss nicht lange nach Verweisen auf die zurückliegenden Schicksalschläge suchen, man findet sie in beinahe jedem Stück. In „Dort und hier“ sinniert Grönemeyer zu einer Lagerfeuergitarre: „Ist jemand da, wenn dein Flügel bricht / Der ihn für dich schient, der dich beschützt / Der für dich wacht, dich auf Wolken trägt.“ Und in „Der Weg“, einem posthumen Porträt der toten Gefährtin und dem vielleicht schönsten Lied des Albums, wird seine Stimme von Geigen emporgetragen: „Du hast jeden Raum / Mit Sonne geflutet / Hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt / Hast ihn nie verraten / Deinen Plan vom Glück / Das Leben ist nicht fair / Ich trag dich bei mir / Bis der Vorhang fällt.“

Ein Lächeln liegt auf dem Platz, sobald Grönemeyer die Bühne betritt. Er hält seine Platin-Auszeichnung ins Blitzlichtgewitter, scherzt mit den Fotografen („Bitte nicht zu sehr von unten“), plaudert. Grönemeyer auf dem Barhocker unterscheidet sich nur unwesentlich von Grönemeyer auf CD: Die Worte strömen nur so aus ihm heraus. Die Quecksilbrigkeit seines Gemüts, die scheinbare Unerschütterlichkeit seiner guten Laune war immer schon ein Problem. „Auf der Schule haben sie mich gehänselt, weil ich schon morgens um sieben immer so gut drauf war“, erinnert er sich. „Als dann später Zadek Frühlings Erwachen mit mir am Bochumer Schauspielhaus inszeniert hat, brüllte er: Nehmt ihn weg, ich kann ihn nicht mehr ertragen!“ Grönemeyers Selbstveräppelung funktioniert auch als Schutzschild. „Diese Platte war sicherlich einer der schwersten Berge, die ich zu erklimmen hatte“, erzählt er weiter und setzt dann doch eine Pause. „Ich hatte Angst, ich verliere den zweiten Schatz, den ich mit mir herumtrage, Musik zu machen. Diese Platte überhaupt fertig gestellt zu haben, ist für mich deshalb schon ein Anlass zu enormer Zufriedenheit.“ Als er seinen beiden Kindern die Rohversion seiner Trauerhymne „Der Weg“ vorgespielt habe, hätten sie gesagt: Du hast es so geschrieben, dann musst du es jetzt auch so singen. „Es macht mich glücklich, wenn ich meine Kinder sehe“, sagt Grönemeyer. „Wenn ich sehe, wie stolz und selbstbewusst sie werden, dann weiß ich, wieso ich lebe.“

Bekenntnisse. Zu Rundum-Leitartikeln wie in früheren Tagen setzt der Sänger nicht mehr an, aber er politisiert immer noch gerne. Die Einladung eines Fernsehsenders, das TV-Duell zu kommentieren, habe er abgelehnt, „weil ich beide für gleich flach halte, zusammen sind sie vielleicht halb flach, aber zu erzählen hat keiner von ihnen etwas“. Schröder und Stoiber gehörten der „Ich-AG-Generation“ an und hätten die Fernsehbilder von der Elb-Überschwemmung gebraucht, „um mitzukriegen, dass es im Osten Menschen gibt“. Grönemeyer redet sich in Rage und macht konkrete Verbesserungsvorschläge: Statt einer Verschiebung der Steuerreform sollte die Regierung lieber eine einkommensabhängige Abgabe zwischen 20 und 20 000 Euro von jedem Steuerpflichtigen erheben, das sei sozialer. In Grönemeyer steckt weiterhin ein kleiner Bundeskanzler, auch wenn er die hiesige Politik schon seit geraumer Zeit aus Londoner Distanz und mit abnehmendem Interesse betrachtet.

Alles wird gut

Das Gespräch springt im Zickzack zwischen den Themenblöcken, Grönemeyer verliert nie seine Schlagfertigkeit. Von der Entspanntheit der Engländer schwärmt er, die in einer „wesentlich härteren Klassengesellschaft“ lebten, aber dennoch nicht ihre Ruhe verlieren würden. Trotzdem will der Sänger vielleicht bald nach Berlin zurückkehren, schon „wegen des Riesenhimmels, der sich über diese Stadt spannt, und der Luft, die immer nach irgendetwas riecht“. Sein Lieblingsplatz in Berlin? „Meine Küche.“ Am Ende, ein Gewitter zieht auf und es donnert, spricht Grönemeyer noch auf den besonderen Wunsch eines einzelnen Journalisten einen Radio-Jingle: „Ich grüße alle Hörer von Hitradio RPR 1 und hoffe, dass ihr zu meinem Konzert kommt. Aber auch, wenn ihr nicht kommt, wünsche ich euch ein schönes neues Jahr.“

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