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Lachen: Kichern im Gebüsch

Verb mit elf Vorsilben: Anmerkungen zu einem Berliner Symposium über das Lachen

Homerisches Gelächter, sardonisches Lächeln, wölfisches Grinsen: Unendlich sind die sprachlichen Kombinationsmöglichkeiten zwischen der Tätigkeit und den hinzugefügten Adjektiven. Das lässt die Naturwissenschaften nicht ruhen, da muss eine Ordnung rein. Willibald Ruch, Professor für Persönlichkeitspsychologie, hat herausgefunden, dass man 23 Arten des Lächelns unterscheiden kann, je nachdem welche Muskeln von Mund (M) und Augen (Au) dabei in Aktion treten. Das Zusammenspiel von M 6 und Au 20 vermittelt jedenfalls reine Freude. Auch eine neue Krankheit hat die Wissenschaft schon gefunden – böswillig gesagt: „erfunden“. Es ist die Gelotophobie: Das ist die ständige Scham, beim Lachen anderer sich selbst ausgelacht zu fühlen. Eine Tabelle weist die wenigsten Gelotophoben in Dänemark, Norwegen und Argentinien aus, Spitzenreiter weltweit ist Turkmenistan vor Malaysia und Gabun, Deutschland liegt im Mittelfeld.

Die Behauptung, Lachen sei gesund, harrt noch des empirischen Beweises; aber zur Abhärtung scheint es immerhin beizutragen. Bei einem Experiment tauchten Probanden ihre Hand in einen Kübel mit Eiswasser, so lange, bis sie den Schmerz nicht mehr aushielten. Eine andere Gruppe konnte vorher bei einem lustigen Film ordentlich ablachen – und siehe da, sie hielt es danach zwei Minuten länger im Eis aus. Zum Lachen? „Zum Lachen!“ gibt Thema und Richtung eines Symposiums der Deutschen Kinemathek und des Einstein-Forums an, das am Freitag im Berliner Filmmuseum stattfand.

Lachen ist eine ernste Sache. Lachen und Weinen sind ebenso wenig ein Gegensatzpaar wie Liebe und Hass. Der eigentliche Antipode ist die emotionale Nullnummer der Gleichgültigkeit. „Lachen, Weinen, Lust und Schmerz sind Geschwisterkinder“ (Goethe): Am reinsten zeigte das der Regisseur und Symposien-Referent Stefan Lukschy – er hatte es allerdings auch am einfachsten, weil sein Gegenstand das unerreichte Beispiel für Humor und Lächerlichkeit, gnadenlosen Ernst und absurde Komik ist: Loriot.

Die ehemalige Fernsehkritikerin der „Zeit“, Barbara Sichtermann, ging dann überraschend milde mit den heutigen Komikern um, dem „Ironiker“ Harald Schmidt, dem „dadaistischen“ Helge Schneider, dem „poetischen Schwadroneur“ Olli Dittrich. Selbst bei Mario Barth sei sie vor Lachen vom Sofa gerollt. Auf das erstaunte Schweigen der rund 50 Zuhörer hin räumte sie immerhin ein, dass sie weniger die intellektuelle Leistung als die körperliche Präsenz des „Proll-Clowns“ vor 50 000 Stadionbrüllern respektiere.

Die Emanzipation hat die Frauen dazu gebracht, Mund und Beine selbstbewusst zu öffnen: Das ist kein Macho-Witz, sondern die Ausgangsthese der Sexologin Barbara Merziger, die praktische Beispiele für Lachstile gleich vorführte: Lachsilben mit den verschiedenen Vokalen, das Spektrum der Melodien, auf- und absteigende Tonleitern, das „Lachsprechen“ zur inhaltlichen und formalen Gliederung und Strukturierung eines Textes, oder zur Betonung einzelner Wörter.

Auch die Garbo hat gelacht, Mona Lisa lächelt, Buddha kichert in sich hinein; von Jesus ist in der Beziehung weniger überliefert – Mohammed jedoch soll wohl gelacht haben. Er ist nicht der Gottessohn, sondern ein Mensch, mit Wut, Ärger, Leidenschaft; aber ob beim Ausbruch seines Lachens wirklich die Weisheitszähne aufblitzten, darüber streiten die Gelehrten noch. Harald-Alexander Korp, Religionswissenschaftler und LachYoga-Trainer, kann immerhin auf islamische Komiker von heute hinweisen, etwa eine Muslima, die sich so vorstellt: „Ich heiße Shazia Mirza, so steht es jedenfalls in meinem Pilotenpass. Keine Angst, ich sprenge euch nicht in die Luft.“

„Es muß nicht immer komisch sein“ – Julian Hanich, bekannt als Filmkritiker dieser Zeitung, eröffnete der Filmwissenschaft ein neues Feld: „Über die Formen des Lachens im Kino“. Es geht um die Rezeption des Zuschauers, um die Reaktion des Einzelnen im Publikum, um die Wechselwirkung zwischen Individuum und Kollektiv. Das Lachen wird in elf Kategorien geordnet. Die werden einerseits durch simple Vorsilben definiert: heraus-, weg-, herab-, be-, auf-, meta-, ver-, vor-, über-, aus-, mit-lachen; andererseits werden sie kompliziert beschrieben: „Humorvoll-eruptives Herauslachen als Reaktion auf etwas Witziges, von dem man leiblich überwältigt wird; zwanghaft ausbrechend, das Belachte ist witzig, positiv, lustig“ (I) – oder: „Verstehend-hinweisendes Vorlachen als selbstverliebter Hinweis, dass etwas verstanden wurde; altruistische Andeutung, dass es etwas zu verstehen gibt. Reaktion auf Nicht-Komisches, eher auf Anspielungen, Zitate; ein Connaisseur-Gelächter“ (VIII). Dabei gelingt Hanich die Balance aus einfachen Beobachtungen und gelehrten Beschreibungen, die Entwicklung eines elaborierten Systems in unterhaltsamer Darstellung. Der Beitrag über den „Trickster“ („Schelm“) von Marleen Stoessel, die persönlich verhindert ist, endet mit einem Zitat des Literaturwissenschaftlers Peter von Matt, das auch die Conclusio zu Hanich und der ganzen Veranstaltung formuliert: „Immer bleibt etwas übrig von den erledigten Mythen. Man hat die Arbeit getan, man freut sich und lässt sich loben. Da kichert es im Gebüsch ...“

Helmut Merker

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