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Fest im Sattel. Lady Gaga spielt auf ihrem Motorradkeyboard. Das Bild entstand in Sofia. Beim Berliner Konzert waren keine Fotografen zugelassen.

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Lady Gaga: Geist aus der Flasche

Glitzer, Trash und Aliens: Lady Gaga veranstaltet in der Berliner O2-World ein heiteres Spektakel.

Zwischen Dutzenden bunten Deosprays, Tuben und Fläschchen hocken fünf kleine Flakons mit schwarzer Flüssigkeit. Sie sehen aus wie Boten einer düsteren Parallelwelt, die auf irgendetwas lauern. Ob die schwarze Substanz gleich hinüberkriecht zu den anderen Parfüms, um sie mit ihren Duftstoffen zu infizieren?

In einem Lady-Gaga-Video wäre das ein durchaus realistischer Handlungsverlauf. Doch bei der auf zwei langen Tischen eingerichteten Flakoninstallation handelt es sich bloß um das Ergebnis der Tascheninspektion am Eingang der Berliner O2-World. Sie zeigt, dass Lady Gaga offenbar ein pflegebewusstes Publikum hat – und, dass ihre neueste Produkteinführung, das Parfüm „Fame“, ankommt. Vor ein paar Tagen erst hatte die 26-Jährige es mit einer spektakulären Aktion im New Yorker Guggenheim-Museum auf den Markt gebracht. Sie lag scheinbar schlafend am Boden eines Riesenflakons, in dem sich ein Loch befand, durch das die Gäste sie berühren konnten. Anschließend ließ sie sich live im Nacken tätowieren.

Nimmt man noch Lady Gagas Laufstegauftritt in rosafarbener Burka bei der Londoner Fashion Week vom Montag dazu, wirkt die Rückkehr zum Tagesgeschäft ihrer bereits seit April laufenden „Born This Way Ball“-Welttournee vergleichsweise lahm. Bilder und Berichte von der Show gingen bereits dreimal um die Welt, der Wow-Effekt ist weg, was bei einer auf derart auf bildmächtige Inszenierungen bedachten Gesamtkunstwerkerin sicher schwerer ins Gewicht fällt als bei ihren Kolleginnen.

Der Start des Konzerts ist denn auch eher enttäuschend: Die feierlich enthüllte Kulisse besteht lediglich aus einer Pappburg, die aussieht wie ein ausrangiertes Vergnügungsparkrequisit. Dazu passt der wenig mitreißende Einmarsch von Lady Gaga auf einer ruckelnden, zuckelnden Pferdeattrappe – immerhin ihre bizarre Drahtmaske ist ein Hingucker. Das Gesicht der Sängerin ist erstmals während des dritten Songs „Born this Way“ zu sehen, und hier zündet der Abend dann endlich richtig. Die elf Tänzerinnen und Tänzer hüpfen synchron mit Lady Gaga an der Bühnenrampe, die Band wummert machtvoll, und das Publikum in der ausverkauften Halle ist selbst auf Rängen aufgesprungen.

Eingebettet ist die Show in eine krude Rahmenhandlung, in der Lady Gaga eine Art Alien darstellt, das in einem „Government Owned Alien Territory“ (G.O.A.T.) im All unterwegs ist. Es wird gejagt und hat gleichzeitig den Plan, die Erde zu erobern – oder so ähnlich. Dass man der Sache nicht recht folgen kann, macht nichts, denn es geht ohnehin mehr darum, dass Lady Gaga ein abgedrehtes Kostüm nach dem anderen vorführen kann. Das reicht vom spacigen Brautkleid mit integriertem Fahrwerk über Miniröcke mit surrealen Ausbeulungen, ein Kostüm mit überdimensionalen Origami-Applikationen bis hin zur Rockerinnenkluft und einer Kriegerinnenmontur. Insgesamt 13 verschiedene Outfits trägt die New Yorkerin in der rund 130-minütigen Show. Weitere Kleidungsstücke präsentiert sie auf einem rotierenden Kleiderständer.

Die höllisch laute Musik zu dieser Modenschau stammt größtenteils aus Lady Gagas zweitem Album, wobei dessen nerviger Kirmestechnosound durch die Band etwas abgemildert wird. Das liegt vor allem an dem athletisch aufspielenden Schlagzeuger, der am Songende gern über alle Felle rollt. Ansonsten bleiben die in der aufgeklappten Burg postierten Musiker meist im Hintergrund.

Lady Gaga spricht zwischen den Liedern mal in ihrer Alienrolle zum Publikum und mal als Star, der sich inbrünstig bei seinen Fans bedankt und sie ermutigt, immer sie selbst zu bleiben. Dass sie dabei einen mittelgroßen Zeichensalat anrichtet, macht gar nichts. Sie ist ohnehin ein wandelnder Widerspruch. So inszeniert sie sich trotz 90 Millionen verkaufter Alben und über 50 Millionen Facebook- Freunden weiterhin als Repräsentantin der Freaks und Außenseiter. Sie feiert Natürlichkeit („Born this Way“) und ist gleichzeitig ein hoch artifizielles Produkt.

Hat Madonna ihre vielen verschiedenen Rollen noch nacheinander gespielt, scheint Lady Gaga alles gleichzeitig auszuagieren. Das funktioniert im Kontext ihres knallbunten, trashigen Showmixes erstaunlich gut, was auch daran liegt, dass sie auf der Bühne weniger Verbissenheit und Unnahbarkeit ausstrahlt als ihr Vorbild. Lady Gaga macht es nichts aus, auch mal ein bisschen dämlich auszusehen. Etwa als sie den halben Catwalk lang Anlauf nimmt und dann fünf Meter mit zurückgeworfenem Oberkörper auf den Knien schlittert – wie Fußballtrainer José Mourinho beim Siegtreffer für Real Madrid am Dienstag.

Besonders sympathisch kommt die Sängerin im Balladenteil rüber, den sie größtenteils ohne Bandbegleitung absolviert. Geschmückt mit Geschenken der Anhänger aus den ersten Reihen setzt sie sich an ihr Motorradkeyboard und bittet einen Fan auf den Sozius. Es ist eine junge, blonde Frau, die sich dem Star beherzt an den Hals wirft. „Oh, sie riecht so gut“, sagt Lady Gaga und vergräbt ihr Gesicht in der Achsel der Dame. Dass der Song „Princess Die“, den die beiden zusammen singen, totaler Kitsch ist, fällt nicht weiter auf.

Zumal man in diesem ruhigen Abschnitt einmal genau auf Lady Gagas Stimme achten kann, die sonst häufig durch unsichtbare Backgroundchöre verstärkt wird. Es ist ein kraftvolles, voluminöses Organ, mit dem sie in jeder Rockband mitmischen könnte. Das beweist sie auch am Schluss mit ihrer Bruce-Springsteen-Hommage „Edge of Glory“ noch einmal, bei der sie sich mit extrem viel Verve in den Refrain wirft. Nach dem Dance- Pop-Stampfer „Marry the Night“, für den Lady Gaga sich vier Fans zum Mithüpfen auf die Bühne holt, verlöschen die Lichter. Die Menge tänzelt beschwingt in die Nacht. Was die Parfümfläschchen wohl derweil erlebt haben?

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