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Kultur: Länge zählt eben doch nicht

Beim 19. Berliner Kurzfilmfestival triumphieren der hinterhältige Witz und die Regiestars von morgen

Wer einen Oscar gewinnt, der hat es geschafft. Der kann sich für den Rest seines Lebens vor Ruhm, Ehre und Geld kaum retten. Raymond Boy, zwischen Berlin und Köln pendelnder Regisseur und Drehbuchautor, hat einen Oscar und schüttelt den Kopf angesichts von so viel Naivität. „Der Oscar hilft, dass man bei Leuten Termine kriegt, aber geschenkt bekommt man nichts, wenn man nicht gerade das machen will, was sowieso gut läuft.“ Ein bisschen Enttäuschung schwingt da mit. Als er 1997 mit seiner Diplomarbeit „Ein einfacher Auftrag“, einer so skurrilen wie menschlichen Geschichte über eine Fee, die mit der schlichten Vorstellungswelt eines Bauarbeiters konfrontiert wird, als er also mit diesem pointierten Märchen „total überraschend“ den Oscar der Academy Of Motion Picture Arts And Sciences, salopp „Studenten-Oscar“, gewann, hatte er sich alles ein wenig einfacher vorgestellt. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße: „Kurzfilme zu machen und zu vertreiben, ist und bleibt Guerilla-Arbeit, eine Sache für Enthusiasten. Darum ist es wichtig, dass Kurzfilme gemacht werden, denn so kann man als angehender Filmemacher überprüfen, wie wichtig einem die Sache ist. Wer keine Befriedigung daraus zieht, dass dem Publikum sein Kurzfilm gefällt, der kann es gleich lassen. Wer sich aber da durchkämpft, der hat hinterher eine gesunde Einstellung.“

Eines der Hauptprobleme junger Filmemacher ist der Mangel an Foren. Neben Festivals wie dem heute startenden „interfilm Berlin“ gibt es eine ganze Reihe international renommierter Wettbewerbe in Oberhausen, Hamburg und Dresden. Und auch haben in den letzten zehn Jahren mehr deutsche Kurzfilmer Nominierungen, Preise und Oscars entgegengenommen als ihre Kollegen aus anderen Ländern. Aber das Genre führt ein Schattendasein.

Dabei ist es gerade die Not, die erfinderisch macht. Im Gegensatz zu europäischen Nachbarn wie Frankreich hapert es in Deutschland mit der Förderung: Die privaten Sender schielen auf die Quote, und selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen haben es ungewöhnliche Filmformate schwer: Es schaltet niemand den Fernseher ein, um einen 10-minütigen Film zu gucken. Im Kino einen Kurzfilm vor dem Hauptfilm zu zeigen, was lange schöne Tradition war, rentiert sich offenbar auch nicht mehr. Es würde zudem die Geduld des Publikums sehr strapazieren angesichts eines Trends zu dreistündigen Mammutproduktionen.

Für die meisten Filmemacher ist der Kurzfilm daher eine Art Bewerbungsschreiben, weil das Geld für einen längeren Film fehlt. Dass sich der finanzielle Aufwand für ein solches Filmchen in der Regel nicht auszahlt, wird wohl oder übel in Kauf genommen. Was tun? Als Trost bleibt die Erkenntnis, dass größere Budgets nicht unbedingt bessere Filmemacher hervorbringen. Und so heißt das Zauberwort Kleinstsponsoring: Sachspenden erbetteln, beim nahe gelegenen Copyshop zum Beispiel. Was dazu führt, dass der Abspann manchmal länger wird als der eigentliche Film: So kann man den Rolltiteln von „Ein einfacher Auftrag“ entnehmen, dass McDonalds ein Mittagessen für das Team spendierte und Veltins die für die Handlung unverzichtbaren Requisiten – 50 Kästen Bier – bereitstellte (es geht immerhin um einen Bauarbeiter), womit der Regisseur dann wiederum die Kamera-Crew bezahlte. „Wenn die Leute merken, du bist ganz begeistert von deiner Idee, dann unterstützen sie dich – nur niemals eine Erwähnung im Nachspann vergessen!“

Beim „International Short Film Festival Berlin“ werden die deutschen Oscar-Gewinner mit einem eigenen Schwerpunkt bedacht. Als Spitze des Eisbergs gewissermaßen für die über 3400 eingereichten Filme aus aller Welt, die trotz widriger Umstände immerhin eine Gesamtspiellänge von 590 Stunden ergeben. Gezeigt werden ab heute etwas mehr als 400 Werke.

In „Dangle“ beispielsweise findet sich ein verblüffter Berliner beim winterlichen Spaziergang vor einer roten Lampenschnur wieder, die direkt vom Himmel baumelt. Er zieht – und es wird Nacht. Er zieht wieder: Tag. An, aus, an, aus: So kann man Gott spielen – bis die Glühbirne durchknallt. Skurrile Einfälle wie dieser finden in Kurzfilmen ihren Platz, aber auch zarte Liebesgeschichten, wie sie der spanische Regisseur Aitzol Aramaio ohne Worte in „Terminal“ erzählt, einer Begegnung zwischen einem jungen Mädchen und einem älteren Herrn, die sich in einem Bus treffen, ein Beitrag aus der Reihe „Liebe und andere Desaster“. Rabiater geht es im deutschen Wettbewerb zu, wenn die eifersüchtige Gattin eines in einen Bahnhofslautsprecher verliebten Trickfilm-Täuberichs der Konkurrentin in den Allerwertesten beißt – wer hätte gedacht, dass sich in einem roten Taubenschnäbelchen werwolfsgleiche Reißzähne verstecken!

In öffentlichen Verkehrsmitteln spielten dieses Jahr so viele der eingereichten Beiträge, dass sie in einem eigenen Themenschwerpunkt namens „City Traffic“ zusammengefasst wurden. Zu sehen gibt es hier auch das kürzeste Mieterdrama der Filmgeschichte: ein nur 45 Sekunden langes Kürzest-Zelluloid, das einem rät: lieber bausparen, als im Aufzugsschacht wohnen.

Bis 9. November im Acud, Filmkunsthaus Babylon, Hackesche Höfe und in der Volksbühne. Infos unter: www.interfilm.de

Julia Büttner

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