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Lax und verspult. Snoop Dogg am Dienstag in Berlin. Foto: Davids/Ecken

© DAVIDS

Kultur: Lässiger kann keiner

Der einzig wahre Hip-Hop: Snoop Dogg feiert mit seinen Fans eine nostalgische Westcoast-Party in der Columbiahalle

Man muss sich in Geduld üben an diesem hochsommerlichen Dienstagabend in der Columbiahalle. Snoop Dogg lässt auf sich warten, so lange, dass ungute Erinnerungen an den einmal kurzfristig verschobenen und beim zweiten Anlauf nach vier Stücken abgebrochenen Auftritt von Usher vor ein paar Monaten aufkommen. Oder, vor allem bei den Älteren, (die da noch nicht wissen können, dass ihnen eine Zeitreise in die goldene Ära des Westcoast- Hip-Hops bevorsteht): an die vielen angekündigten, aber oft nicht stattfindenden Shows US-amerikanischer HipHop- Bands in den neunziger Jahren. Bevor sie nach Deutschland kamen, machten die Rapper gern in Amsterdam Station, um sich nach Herzenslust zuzukiffen. Die Folge: Ihre Touren waren beendet, bevor sie angefangen hatten.

Doch Kiffen hin, eine nicht ausverkaufte Columbiahalle her: Snoop Dogg ist Profi. Nach seiner Ankunft in der Halle kurz nach zehn steht er eine halbe Stunde später auf der Bühne, zusammen mit zwei DJs und Beatprogrammierern, zwei Bassisten, einem Schlagzeuger und drei Frauen, die ihm in bunten Adidas-Anzügen das erste Geleit geben. Der groß gewachsene, schlaksige Snoop ist die Lässigkeit in Person, wie es sich für einen ordentlichen Hip-Hopper gehört in einem weiten, grauen T-Shirt und einer weiten Jeans, die seine dürre Statur mehr betonen als verdecken. Ein Intro, einige seiner typischen einschmeichelnden, superweich vorgetragenen Reime, die kurzen Sporteinlagen der drei Tänzerinnen, die dann aber erst einmal wieder das Feld räumen, um vier weiteren Rappern Platz zu machen. Schnell wird klar, dass das hier eine Hip-Hop-Show der guten alten Schule wird, mit wilden Gesangswechseln, „Hey-Ho“-Rufen und Aufforderungen ans Publikum, Hände und Arme in die Höhe zu werfen (denen es nach den Pfiffen und Buhrufen während des langen Wartens auf Snoop willig folgt).

Snoop Dogg mag inzwischen – nach dem einen oder anderen Tief in seiner Karriere – einer der erfolgreichsten Rapper aller Zeiten sein. Einer der schillerndsten Popstars auf dem Planeten ist er sowieso, einer, der die Neptunes zu seinen Freunden zählt, die Gorillaz, die Country-Legende Willie Nelson oder den Techno-Produzenten David Guetta. Und er mag problemlos zugleich Unternehmer, Hollywoodstar, Talentscout, MTV-Moderator, Pornoliebhaber, Gangster und Zuhälter sein. Doch wenn es um die Wurzeln geht, um den Hip-Hop, mit dem er aufgewachsen ist, der ihn erst zum Star gemacht hat, dann kennt er nichts. Also lassen er und die Seinen die gute alte „G-Funk- Era“ hochleben, so als schrieben wir nicht das Jahr 2011, sondern noch die frühen neunziger Jahre. Damals begründeten Snoop und sein Ziehvater Dr. Dre diese Ära mit ihren rollenden, funkigen Beats. Folglich gibt es mit „Gin & Juice“ oder „Who Am I“ die Hits von Snoops Debütalbum „Doggystyle“, die allerdings live keine wirkliche Kraft entwickeln und eher niedergerappt als fein ausgestellt werden. Und Snoop lässt es sich auch nicht nehmen, lange und intensiv an die ihm wichtigen Toten des Hip-Hops zu erinnern: Tupac Shakur, der 1996 in Las Vegas erschossen wurde. Sowie sein G- Funk-Kumpel Nate Dogg, der in diesem Jahr an den Folgen dreier Schlaganfälle starb, gerade mal 41-jährig. Kein Wort von Notorious B.I.G, der ja Mitte der neunziger Jahre ebenfalls erschossen wurde, kein Wort von Gang Starrs Guru, der vor einem Jahr einem Lungenkrebsleiden erlegen ist. Aber die beiden Letzteren waren ja Ostküstenrapper, und Ost- und Westküste waren in den neunziger Jahren in schwere, blutige Händel verstrickt.

All das ist lange her. Snoop in seiner großartigen Laxheit und Verspultheit kümmert das nicht weiter: „We Da West“ steht auf seinem Shirt. Zurück in die Zukunft. Politische Korrektheit interessiert ihn nicht, und übertriebene Sympathiebekundungen für Barack Obama sind seine Sache auch nicht. Trotzdem hat er Neues im Programm, worauf er sich bisweilen zum Glück immer mal wieder besinnt. Sein hochmelodiöses, supersanftes R&B-Meisterstück „Sexual Eruption“ zum Beispiel, für das er, als Ehrbeweis für alle Ladies in der Halle, sogar seine Sonnenbrille abnimmt. Oder den David-Guetta-Remix „Wet“. Oder „Drop It Like It’s Hot“, dieses geniale, ihm die Rückkehr in die Großpopwelt ebnende Stück, für das ihn die Neptunes seinerzeit einen toll abstrakten, kaum von der Stelle kommenden Beat geschneidert hatten. Schade ist nur, dass alle diese Stücke live nur halb so großartig klingen wie auf den Alben. Bei dieser Show geht es doch mehr um dauernde Action, auch Schlagzeuger und Bassisten spielen nur eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sind die drei Tänzerinnen, die ihren Meister, nun nur noch leicht bekleidet, hart an der Grenze zur Obszönität umschmeicheln. Oder der Rapper, der mit einem riesengroßen Hundekopf aus Stoff die Bühne einnimmt. Oder eben Snoop Dogg , der sich befeiert, der fragt, ob alle schön was zu rauchen haben, und der seinen Kollegen ab und an den Vortritt lässt, um vor einer der Boxen zu verschnaufen.

Von der funkelnden Eleganz, den vielen smoothen, abwechslungsreichen Hits auf Snoops jüngstem Album „Doggumentary“ (dem besten seit seinem Debüt), bleibt an diesem Abend wenig. Doch so ist das halt, wenn es um den ewig realen, wahren Westküsten-Hip-Hop geht, wenn ein Snoop Dogg mal wieder nur er selbst sein und seine Lieblingsrolle spielen will. Dann muss man Abstriche machen. Wie im richtigen Leben.

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