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Lana del Rey, 27.

©  Neil Krug/Universal

Lana del Reys neues Album "Ultraviolence": Schläge können Küsse sein

Lana del Rey knüpft auf ihrem neuen Album "Ultraviolence" an den nostalgischen Zeitlupen-Pop von "Born To Die" an - mit mehr Gitarren, etwas Selbstironie und in der Pose der genussvoll leidenden Frau.

Erst mal ist alles beim Alten: Im lasziven Anschmachtmodus singt Lana del Rey über einen Liebhaber, der deutlich älter ist als sie. Er spielt Gitarre in einer Band. Schrummschrummschrummschrumm macht es im Hintergrund und sie trällert mit. Nach etwas über einer Minute kommt ein Beat dazu, Streicher, ein bisschen Tempo. Und gerade als „Brooklyn Baby“ seine samtige Melancholie voll zur Entfaltung gebracht und den Kopf schon ein wenig weich gemacht hat, kommt es plötzlich zu einer Art Monster-Crash. Begleitet von einer männlichen Stimme singt del Rey: „Yeah my boyfriend’s pretty cool/But he’s not as cool as me/Cause I’m a Brooklyn baby/I’m a Brooklyn baby.“

Wie jetzt? Er ist nicht so cool wie sie? Das kann doch nicht sein. Im Universum der Kunstfigur Lana del Rey, die stets als eine unterwürfige Lolita modelliert war, ist diese Zeile ein krasser Bruch. Die beinahe affronthafte Wendung, mit der erstmals auch so etwas wie Humor und Selbstironie in der oft pathossatten Performance der 27-jährigen New Yorkerin aufblitzt, regt dazu an, die Geschichte des Songs im Kopf weiterzuspinnen: Die Frau klaut dem Typen die Gitarre, haut ab und gründet ihre eigene Band. Wird natürlich nicht passieren. Wir sind schließlich immer noch bei Lana del Rey, und die erfindet sich auf ihrem gerade erschienenen zweiten Studioalbum keineswegs neu. Sie verschiebt nur ein paar Parameter und Details, weshalb der als vierte Vorabsingle ausgekoppelte Song „Brooklyn Baby“ durchaus typisch für dieses rund einstündige Werk mit dem Titel „Utraviolence“ ist.

"Gangsta-Nancy-Sinatra" lässt es ruhig angehen

Verglichen mit dem Hype, der vor zwei Jahren ihr Debütalbum „Born To Die“ umtoste, geht die Veröffentlichung diesmal fast schon dezent über die Bühne. Das liegt zum einen sicherlich am fehlenden Neuigkeitsfaktor – die selbst ernannte „Gangsta-Nancy-Sinatra“ und ihr hypnotischer Zeitlupenpop sind nach über sieben Millionen verkauften Alben, unzähligen Medienberichten und einer großen Tournee eine bestens eingeführte Marke. Zum anderen lässt es die Sängerin diesmal betont ruhig angehen.

Vorab stellte sie nur ein einziges Video ins Netz, was schon deshalb bemerkenswert ist, weil ihre audiovisuelle Präsentation stets von zentraler Bedeutung für ihre Inszenierung war. So kann man das Filmchen zu ihrem Song „Video Games“ als ihren Ursprungsmythos sehen, der die Transformation der erfolglosen Sängerin Lizzy Grant zur strahlenden Ikone Lana del Rey markierte. Die geschmackvolle Collage aus Aufnahmen junger Skater, betrunkener Starlets, Skylines, US-Flaggen sowie Close-ups von ihr selbst beim Singen hat sie angeblich persönlich zusammengebastelt und bei Youtube hochgeladen. Bis heute wurde der Clip rund 57 Millionen mal angeklickt. In weiteren, aufwendiger produzierten Videos verfeinerte del Rey ihr Image der verruchten Femme fatale, das optisch auf eine Kombination des 50er-Jahre-Sekretärinnen-Styles und aktuellem Porn-Chic setzt. Eine recht einfältige Männerfantasie, doch als Sehnsuchtsfigur in einer retrofizierten Popwelt offenbar massenkompatibel.

Nach wenigen Takten entfaltet sich der Suchtcharakter

Im Clip zu „West Coast“, der ersten Single des neuen Albums, fährt Lana del Rey dieses Klimbim stark zurück. Die in schwarz-weiß gehaltenen Aufnahmen zeigen sie im schlichten T-Shirt mit einem blonden Mann beim Herumtollen am Strand. Er wirbelt sie herum, sie lacht ausgelassen – ein von ihr bisher eher vermiedener Gesichtsausdruck. Nur kurz zucken am Ende farbige Bilder auf, die sie in rotem Kleid zwischen übereinandergeblendeten Palmen und Flammen zeigen – es sieht aus wie ein Selbstzitat.

Das Gute daran: Kaum etwas lenkt von dem großartigen Song ab, in dem Lana del Reys zunächst fast introvertierter Gesang so kongenial von Schlagzeug und E-Gitarre umschmeichelt wird, dass „West Coast“ bereits nach wenigen Takten einen süchtigmachenden Charakter entfaltet. Als sich del Rey bald darauf höher und drängender singend in die Bridge hineinsteigert, leitet die Gitarre mit einem Surf-Motiv die starke Tempoverschleppung des Refrainteils ein. Und mit einem Mal ist das Lied atmosphärisch wieder auf vertrautem „Born To Die“-Territorium. „Ohh, baby, ohh baby, I’m in love“ haucht del Rey, was ein bisschen nach einer schläfrigen Version von Stevie Nicks „Edge Of Seventeen“ klingt.

Lana del Rey arbeitete mit Dan Auerbach in Nashville.

Lana del Rey, 27.
Lana del Rey, 27.

©  Neil Krug/Universal

„West Coast“ – es gibt auch noch eine ungebremste, etwas langweiligere Radioversion – ist ein Hit und der stärkste Song auf „Ultraviolence“. Mit dem Album schließt Lana del Rey äußerst geschickt an den Vorgänger an. Sie lässt den Kern ihres mollfreudigen Schleich-Sounds unangetastet und verändert gerade so viel, dass man ihr keine Stagnation vorwerfen kann. Die schleppenden Rhythmen sind geblieben, etwas dezenter wirken die nostalgischen Streicherarrangements, dafür spielen Gitarren diesmal eine prominentere Rolle, was insgesamt zu einem klassischeren Klangbild führt. Der zeitgenössische R’n’B-Touch, den „Born To Die“ noch aufwies, ist weit abgedrängt.

Verantwortlich für dieses ziemlich gelungene Re-Design ist Dan Auerbach, Sänger und Gitarrist der Black Keys, der den größten Teil des Albums produziert hat. Wie bei seinen beeindruckenden Arbeiten für Kollegen wie Valerie June oder Dr. John ist sein Einfluss zwar erkennbar, aber nicht aufdringlich. Dabei kam es laut Lana del Rey eher zufällig zu ihrer Zusammenarbeit. Nachdem die Sängerin in den New Yorker Electric Lady Studios bereits wochenlang mit ihrem Songwriting-Partner Rick Nowels an den neuen Stücken gearbeitet hatte, lernte sie Auerbach kennen: „Wir trafen uns in einem Club, schauten einander an und wussten gleich: ,Hey, wir sollten ein Album zusammen machen’“, sagt sie im Interview mit dem Magazin „Intro“. Eine Woche später reiste Lana del Rey zu Auerbach nach Nashville, und sie begannen mit seinen Musikerfreunden an den Demos zu arbeiten. Dass sich Lana del Rey dabei im selben Raum wie die Band befand, dürfte ein Grund für den recht organischen Sound des Albums sein.

Schläge wie Küsse

Der steht beispielsweise dem eleganten Cinemascope-Walzer „Shades Of Cool“ sehr gut, mit dem Lana del Rey sogar gegen Conchita Wurst beim Eurovision Songcontest Chancen gehabt hätte. In dem mit einer Stop-And-Go-Dynamik arbeitenden Titelstück wird ihr ätherisch verhallter und verdoppelter Gesang von E-Piano, Uhh-Chor, Streichern und zwei dekorativ agierenden E-Gitarren begleitet. Dass ein Schlagzeuger und keine Drummachine den bollernden Takt schlägt, passt zum Text in dem es um Gewalt geht. Die Zeile „He hit me and it felt like a kiss“ hat sich del Rey bei dem gleichnamigen Song der Crystals ausgeliehen. Hier möchte sie wohl ihre Vorliebe für „a little hardcore love“ zum Ausdruck bringen, von der sie jüngst in einem Interview sprach.

Noch auf drei weiteren Stücken wirft sich die Sängerin in die Pose der genussvoll leidenden Frau: in der etwas unterinspiriert vor sich hinplätschernden Ballade „Sad Girl“ sowie in dem darauf folgenden „Pretty When You Cry“, das die Schönheit einer weinenden Frau feiert – adäquat vertont durch ein Wettheulen von Lana del Rey mit der E-Gitarre. Eine ähnlich tränenreiche Funktion hat das Saxofon beim jazzigen Abschlussstück „The Other Woman“, in dem sich eine „einsame Königin“ in den Schlaf weint. Dieser Schmerzensfrau-Dreh ist tatsächlich ein neuer Aspekt von Lana del Reys Persona, der sich allerdings leicht aus dem in ihrem Universum von jeher zentralen Wertepaar „Unterwürfigkeit und Verruchtheit“ ableiten lässt. Sorgen muss man sich natürlich nicht um sie machen, wie sie in „I Fucked My Way Up To The Top“ gleich klarstellt: „This is my show/go, go, go“ feuert sie sich im Refrain an. Sex als Waffe. Auch nicht sonderlich originell. Aber in angeblich postfeministischen Zeiten wahrscheinlich massenkompatibel.

„Ultraviolence“ erscheint bei Vertigo Berlin/Universal. Konzert: 20.6., 19 Uhr Zitadelle Spandau.

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