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Kultur: Landschaft der Seele

Warum in die Ferne schweifen? Mit dem "Gartenreich" im anhaltischen Wörlitz liegt das Gute doch so nah, nämlich eines der bedeutendsten Gesamtkunstwerke des 18.

Warum in die Ferne schweifen? Mit dem "Gartenreich" im anhaltischen Wörlitz liegt das Gute doch so nah, nämlich eines der bedeutendsten Gesamtkunstwerke des 18.Jahrhunderts vor der Berliner Haustür.Nicht, daß es unbekannt wäre; aber stärker ins Bewußtsein gehoben zu werden verdient es schon.Und es ist allemal wert, auch im Ausland vorgestellt zu werden.

So hat das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), eine der Mittlerorganisationen der Auswärtigen Kulturpolitik, sich die Schöpfung des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1740 - 1817, Regent seit 1758) zum Thema einer Ausstellung erkoren, die von Berlin aus auf gut fünf Jahre durch alle Welt reisen soll.Stiche, Fotografien, Kopien von Büsten und Reliefs und eine Reihe wunderschöner Architekturmodelle erzählen in der Galerie im Marstall von einer Zeit, da Deutschland - allein schon mangels staatlicher Einheit - das Land der Dichter und Denker gewesen sein mag.Es war, etwas prosaischer gesagt, zumindest ein Land mit starken bildungsbürgerlichen Bestrebungen; und es kennzeichnet die Mehrdeutigkeit des 18.Jahrhunderts im allgemeinen und die Rückständigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung hierzulande im besonderen, daß der Adel als Träger bürgerlicher Vorstellungen auftrat.Weimar ist nur das geläufigere Beispiel.

Im Fürstentum Anhalt-Dessau, runde 700 Quadratkilometer klein und von 30 000 Menschen bewohnt, wußte ein tatkräftiger Herrscher künstlerische Ideale und ökonomische Zwecke aufs schönste zu verbinden, gerade wie ein venezianischer Landedelmann der Zeit Palladios.Denn die Landschaft am Zusammenfluß von Elbe und Mulde, von steten Überschwemmungen bedroht, galt es zu kultivieren und zugleich in ihrer Eigenheit zu erschließen, ganz im Sinne des Rousseauschen Retour à la nature.Dem großen Franzosen ist natürlich auch ein Eiland in dem über Jahrzehnte hinweg entstandenen, 116 Hektar messenden Park gewidmet, mit einem Denkmal nach Vorbild von dessen Grabanlage im Park von Ermenonville mit der zitierten Inschrift.

Das war, in einem ganz praktischen Sinne, der Grundgedanke der englischen Landschaftsauffassung, die der französisch-barocken Naturbeherrschung diametral entgegengesetzt ist.Freilich meint freie Entfaltung nicht Wildwuchs; im Gegenteil sollten die empfindsamen Seelen in die Landschaft wie in einen Spiegel schauen, in dem die eigenen Gedanken und Gefühle zurückblinken.Sichtverbindungen, überraschende Blickpunkte, Anregungen zu geistvoller Kontemplation; in einer Umgebung, die gerade in Wörlitz mit einer Fülle landschaftsarchitektonischer Motive und Bauten angereichert und veredelt worden ist.Daß daneben Deichbau, Kanalisierung und Entwässerung ebensowenig zu kurz kamen wie die Anlage von Obstplantagen, versteht sich von selbst für eine Auffassung, die Schönheit ohne Nützlichkeit nicht denken mochte.

In Wörlitz hat sich die glückhafte Verbindung von Natur und Kunst weitgehend erhalten.Nicht nur ist Wörlitz das erste und vielleicht bedeutendste Beispiel eines englischen Parks auf kontinentalem Boden, hier stehen mit dem Schloß - der Sommerresidenz des Fürsten und typologisch ein Landhaus - und dem Gotischen Haus auch noch zwei Begründungsbauten von Neoklassizismus und Neogotik, auch dies ja eine aparte Polarität zweier im Grunde widerstreitender und nur in der ästhetischen Theorie der Zeit zu vereinbarender Stile.

Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, der Baumeister des Wörlitzer Schlosses, gebrauchte 1770 seinem Fürsten gegenüber den Begriff der "Simplicität".Zwar gibt es einen Portikus, aber die Diskussion um die "Schicklichkeit" einer solchen Tempelfront für ein Wohngebäude greift diejenige zu Zeiten Palladios auf.Es ist ein bescheidener, ein bürgerlicher Prunk, den Erdmannsdorff zitiert; und eingebettet ist das Haus des Fürsten in ein Ensemble von Tempeln, Grüften und Denkmälern, die das Bildungsprogramm des 18.Jahrhunderts inszenieren.

Aber auch die Ökonomie kommt zu ihrem Recht.Der Haushalt des kleinen Fürstentums profitierte von Einnahmen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, zum Beispiel von Obst, dessen damalige Artenvielfalt in Zukunft wiedergewonnen werden soll.Die Kulturstiftung DessauWörlitz (modisch ohne Bindestrich - wozu?), vom Bund unter die "Leuchttürme" gereiht und von ihm und dem Land Sachsen-Anhalt alimentiert, hat mit einem Jahresetat von 14 Millionen Mark das Ziel, den Wörlitzer Park, aber auch die weiteren Kleinodien wie das nahe Oranienbaum mit seinem chinesischen Garten zu erhalten und, wo nötig, in den Ursprungszustand nicht zuletzt auch der Bepflanzung zurückzuversetzen.Die Wanderausstellung mag zur Drittmittelwerbung wenig beitragen.Wer weiß? Vielleicht gibt es in der Ferne Gönner, die sich das so anrührende Arkadien an der Elbe zu Herzen gehen lassen.

Galerie im Marstall, Schloßplatz 7

bis 5.April.(Vorzüglicher) Katalog 30 DM.

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