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Spinnenbein statt Eisbein. Insekten – ein Überlebensmittel der Zukunft?

© prokino/Monika Nonnenmacher

Kinofilm „10 Milliarden - wie werden wir alle satt?“: Künstliches Fleisch und Insekten gegen den Hunger

Szenario 2050: Eine Begegnung mit dem Dokumentarfilmer Valentin Thurn, der in seinem neuen Film fragt: Wie sind 10 Milliarden Menschen satt zu kriegen?

Valentin Thurn hat seinen zweiten Kinofilm gedreht – im Auftrag seines Publikums. So erzählt er das selbst. Vor vier Jahren hatte der Dokumentarfilmer mit „Taste the Waste“ über den Skandal der Lebensmittelabfälle einen Hit gelandet – und einen Nerv getroffen. Bei mehr als 100 Veranstaltungen in den Kinos, die seinen Film gezeigt haben, hat Thurn sich seinen neuen Auftrag abgeholt. „Das begann fast immer mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Und endete beim Welthunger“, sagt Thurn. Um Welternährung geht es denn auch in seinem neuen Film „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?

Thurn stellt die Frage genauso naiv, wie sie im Titel steht. Wie soll das gehen? Zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050, und alle sollen satt werden. Die Frage hat ihn um die ganze Welt getrieben. Angefangen aber hat er mit seiner Recherche in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Heimatstadt Köln. Liam Condon, der Vorsitzende des Agrarkonzerns Bayer Crop Science, sieht die Lösung in der grünen Gentechnologie. Aktuell arbeite das Unternehmen an einem salzresistenten Reis, weil wegen des Klimawandels immer öfter Süßwasserbrunnen versalzen oder Sturmfluten über Reisfelder toben. Bayer gehört zu den zehn größten Saatgutherstellern der Welt, die sich 75 Prozent des Weltmarkts teilen. Der Konzern verdient sein Geld bisher vor allem mit Hybridsaatgut, also mit Pflanzen, die eine besonders hohe Ernte versprechen, deren Saatgut die Bauern aber nicht selbst vermehren können.

Ehrliches Interesse als Türöffner

Valenthin Thurn ist ein neugieriger Mann, er ist zurückhaltend und höflich. Weil er mit ehrlichem Interesse fragt, haben sich ihm wohl alle Türen geöffnet. Wobei sein ursprünglicher Plan, die industrielle Landwirtschaft genauso wohlwollend und die ökologische Landwirtschaft genauso kritisch zu betrachten wie die jeweils andere, dann doch gescheitert ist. Aber bei Bayer schafft es Thurn, einen Ton anzuschlagen, den er im Film durchhält: offene Lust an der Erkundung von Lösungsvorschlägen für die Welternährung im Jahr 2050.

In Indien schaut er auf die konkreten Folgen des Einsatzes von Hybridsaatgut. Eine Überschwemmung hat das Reisfeld eines Bauern komplett platt gemacht. In den Hülsen ist kein einziges Korn mehr übrig. Der Mann hat viel Geld ausgeben müssen, um sich das Hybridsaatgut zu kaufen. Die Reisfelder drumherum sind noch grün. Die Halme sind kürzer, aber nicht kaputt. Die Nachbarbauern haben traditionelle Saaten aus Indien angebaut, die in der Saatgutbank von Kusum Misra in Balasore erhalten werden. Die Kamera folgt der indischen Aktivistin in ihre Saatgutbank. Die Samen lagern in beschrifteten dunklen Tontöpfen. „Ich hege mütterliche Gefühle für diese Samen. Sie sind wie meine Kinder“, sagt Kusum Misra.

Lösungen und Scheinlösungen im Widerstreit

Valentin Thurn (51) ist Dokumentarfilmer. Seine Filmografie umfasst nahezu 50 Titel. Für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) hat er viele Filme gedreht, die mit Ernährung und Landwirtschaft zu tun haben. So hat er zum Ende der Milchquote in der Europäischen Union deutsche Milchbauern dabei gefilmt, wie sie versuchen, aus den wirtschaftlichen Zwängen auszusteigen und ihre eigene Vermarktung aufzubauen. Sein Kinofilm-Debüt Taste the Waste (2011) gilt als viel gerühmtes Standardwerk über die inzwischen weltweite Bewegung gegen die Verschwendung von Lebensmitteln.
Valentin Thurn (51) ist Dokumentarfilmer. Seine Filmografie umfasst nahezu 50 Titel. Für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) hat er viele Filme gedreht, die mit Ernährung und Landwirtschaft zu tun haben. So hat er zum Ende der Milchquote in der Europäischen Union deutsche Milchbauern dabei gefilmt, wie sie versuchen, aus den wirtschaftlichen Zwängen auszusteigen und ihre eigene Vermarktung aufzubauen. Sein Kinofilm-Debüt Taste the Waste (2011) gilt als viel gerühmtes Standardwerk über die inzwischen weltweite Bewegung gegen die Verschwendung von Lebensmitteln.

© Horst Galuschka/imago

Der Film folgt durchgehend diesem Erzählprinzip. Immer wieder konfrontiert Thurn die Lösungen miteinander. In Mosambik besucht er einen weißen „kommerziellen Farmer“, wie sich die Großbauern in Afrika selbst nennen. Er baut Soja als Futtermittel an und beschäftigt etwa 100 Tagelöhner, die auf seinen Feldern Unkraut zupfen. „Wenn wir erfolgreich sind, gewinnen alle“, sagt er. Diese Felder seien „eine Jobmaschine“. Um Jobs gehe es doch. Der Regenwald musste seiner Farm weichen. Andere haben ihre Farmen direkt in die Felder der Kleinbauern gesetzt und diese vertrieben.

In Thailand probiert Thurn frittierte Heuschrecken. In Indien hat er eine Kopie der deutschen Massenproduktion von Eiern und Hähnchen aufgespürt. Der Fabrikleiter einer indischen Hühnchenschlachterei berichtet stolz, dass man täglich „eine Million Hühnchen“ produziere und auch alle verkaufe. Dabei ist Indien immer noch das Land mit dem welthöchsten Vegetarieranteil. 40 Prozent der Inder ernähren sich pflanzlich. Der Jahresverbrauch von Hühnchen liegt dort bei vier bis 4,5 Kilo pro Kopf. Zum Vergleich: In den USA sind es 65 Kilogramm. Thurn staunt – und die Zuschauer tun es ihm nach.

Essen aus dem Labor?

In den Niederlanden und in Japan hat Thurn „völlig abgedriftete Lösungen“ gefilmt: Fleisch aus dem Labor, eine Salatfarm auf 24 Etagen ohne Sonnenlicht. Eine Lösung für die Welternährung kann Thurn darin nicht erkennen, weil diese Produktionstechnik für die Armen der Welt viel zu teuer ist. Und das sind die, die hungern. Nach einem Ausflug über die Agrarbörse in Chicago landet Thurn in Malawi bei Fanny Nanjiwa Likalawe. Die Kleinbäuerin hat vor etwa zehn Jahren gelernt, dass man Gemüse anpflanzen und auch selbst essen kann. Davon berichtet sie grinsend. Zuvor habe sie gedacht, Gemüse sei nur etwas für die Weißen. Jetzt baut sie nicht nur Mais an, sondern auch Maniok und Süßkartoffeln. Und Gemüse. Erbsen, Hirse, Bohnen, Kohl. Mit den Stickstoffpflanzen – Bohnen oder Erbsen – bewältigt sie die Düngung für die anderen Feldfrüchte. Ihre Überschüsse verkauft die Bäuerin auf dem Markt. Sie ist stolz auf ihr Unabhängigkeit. Thurn ist es auch.

Was tun? Was tun!

„10 Milliarden - wie werden wir alle satt?“ hat gute Chancen, wieder ein Erfolg zu werden. Wie bei „Taste the Waste“ hat Thurn die Stimmung in einem Teil der Bevölkerung gut erfasst: „Es gibt ein Unbehagen an der industriellen Landwirtschaft. Nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt.“ Deshalb hat er sich auch entschieden, etwas zu tun und sein Publikum zum Mitmachen einzuladen. Mit dem Internetportal „Taste of Heimat“ baut er gerade eine digitale Plattform für seit Langem existierende Regionalinitiativen auf. Wer mehr darüber wissen will, wie unser Essen hergestellt wird – und vor allem: wie es hergestellt werden könnte, kann das Buch lesen, das Thurn gemeinsam mit Stefan Kreutzberger geschrieben und Anfang des Jahres veröffentlicht hat. „Harte Kost“ heißt es. Und das ist es auch.

Der Film läuft in folgenden Berliner Kinos: Cinemaxx, FaF, Kant, Kulturbrauerei und Yorck; OmU in den Hackeschen Höfen.

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