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Kultur: Lange Haare, kurze Songs

Jack White gräbt mit seiner Band The Raconteurs den Bluesrock der siebziger Jahre aus

Anzeichen von Größenwahn sind bei Rockstars nichts Ungewöhnliches. Heftigere Symptome können versuchsweise gruppentherapeutisch behandelt werden. Selbst Bob Dylan (Traveling Wilburys) und David Bowie (Tin Machine) zogen sich in die relative Anonymität temporärer Bandprojekte zurück, um ihre Egobalance wieder zu finden. In der jüngeren Rockgeneration dürfte kaum jemand ein ausgeprägteres Selbstbewusstsein besitzen als Jack White. Als singender, songschreibender und diverse Instrumente beherrschender Alleskönner hat der Dreißigjährige gemeinsam mit seiner vermeintlichen Schwester Meg White eine erstaunliche Pop-Erfolgsgeschichten geschrieben: Die White Stripes haben mit ihrem archaischen, hochartifiziellen Zweipersonen-Konzept-Bluesrock Millionen Tonträger verkauft. Auf der Bühne schwingt Jack White im rot-weiß-schwarzen Farbdresscode ein diktatorisches Zepter. Wer ihm privat in die Quere kommt, hat nichts zu lachen, wie Jason Stollheimer, Sänger der Garagenrocker The Von Bondies, erfahren musste, den White bei einer Schlägerei schwer verletzte.

Vielleicht ist es nur Zufall, dass Jack White und seine drei Mitstreiter auf dem Cover des Debütalbums der Raconteurs so aussehen, als hätten sie gerade eine Kneipenprügelei hinter sich. The Raconteurs sind eine Art Feierabend-Projekt mit Brendan Benson (Gesang/Gitarre), Jack Lawrence (Bass) und Patrick Keeler (Schlagzeug), das White in ungewohnter Rolle als gleichberechtigtes Bandmitglied präsentiert. Die Musik auf „Broken Boy Soldiers“ profitiert von einem Geist des Teamworks, der bislang nur selten mit White assoziiert wurde. Die zehn Songs hat er gemeinsam mit Benson geschrieben, einem ebenfalls in Detroit lebenden Singer/Songwriter, dessen Album „Lapalco“, 2002 erschienen, zu den schönsten Genre-Werken der vergangenen Jahre zählt. Den Gesang teilt sich Jack White brüderlich mit Benson, so dass entweder dessen harmonische, am britischen Sixtiespop geschulte Stimme oder Whites gepresstes, eher an Blues- und Hardrock-Vorbildern orientiertes Organ im Vordergrund steht. Patrick Keeler und Jack Lawrence, zwei Drittel der Retro-Bluesrocker The Greenhornes, leisten höchst effektive, energisch rumpelnde Rhythmusarbeit.

„Broken Boy Soldiers“ klingt wie das imaginierte Best-Of-Album einiger der einflussreichsten Bands der Sechziger und Siebziger. „Steady, As She Goes“, die erste Single, hätte mit seinem schmissigen New-Wave-Riffs und hymnischen Wechselgesängen auch vor dreißig Jahren ein Hit sein können. Ein paar Schichten tiefer im Pop-Urschlamm schürft „Hands“, das an den Hardrock von Free und Cream erinnert. Im Prog-Rock-Pastiche „Store Bought Bones“ dröhnt eine Jon-Lord-Orgel, bevor ein entfesseltes Gitarrensolo ein paar Beschleunigungsspuren in den Song gräbt. Es gibt spätbeatleske Gesangssätze, verzerrte Fuzz-Gitarren, rückwärts laufende Rhythmusspuren. Und mit dem twangig-geisterhaften Swamp-Blues „Blue Veins“ eine wunderbare Hommage an Creedence Clearwater Revival. Die in Bensons Privatstudio eingespielten Aufnahmen bestechen schon durch ihre Kompaktheit: Kein Song dauert länger als vier Minuten.

Braucht man so eine Platte? Wer Avantgarde, Aufbruch, Innovation sucht, wird anderswo fündig werden. Doch als hypothetische, auf wenig mehr als eine halbe Stunde eingedampfte Quintessenz einer Ära, die als eine der fruchtbarsten der Pophistorie gilt, ist „Broken Boy Soldiers“ kaum zu schlagen. Und ein Besuch bei ihrem Berliner Konzert am 23. Juni sollte sich allein dafür lohnen, Jack White mal wieder in normalen Klamotten zu erleben.

„Broken Boy Soldiers“ von den Raconteurs ist bei XL/Beggars erschienen.

Jörg W, er

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