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Kultur: Lange Nacht der Lederjacken

weiß, warum Rocker schlechte Laune haben Manchmal wäre man gerne Klassikfan. Es wäre alles so einfach: einen Logenplatz im Vorverkauf reservieren, im weichen Polstersitz versinken, Beine übereinanderschlagen.

weiß, warum Rocker schlechte Laune haben Manchmal wäre man gerne Klassikfan. Es wäre alles so einfach: einen Logenplatz im Vorverkauf reservieren, im weichen Polstersitz versinken, Beine übereinanderschlagen. Dann der Dinge lauschen, die da kommen mögen. In der Pause parliert man kennerhaft beim Rotwein. Beneidenwert! Wie anstrengend haben wir Rockfans es dagegen. Ständig sind wir auf der Jagd. In akribischer Detektivarbeit werden Lokalitäten observiert, dubiose Fanzines ausgewertet, Flyer gesammelt, so genannte Insider interviewt. All dies natürlich nachts. Hat man dann endlich ein Konzert seiner Wahl gefunden, geht das Bangen schon los: Komme ich zu früh? Oder zu spät? Fällt der Frontmann wieder aus, weil er meinte, auf irgendeiner Droge hängen bleiben zu müssen? Wer sich jemals gefragt hat, warum Rockfans über ihren Lederjacken so grimmige Minen ziehen: Es sind diese Sorgen, die sie quälen. Insgeheim würden sie viel lieber bequem in die Oper gehen.

Aber dann treibt es sie doch wieder in schlecht gelüftete Räume zwischen schlecht rasierte Menschen. Zum Beispiel am 26.5., wenn die finnischen Backenbärte Flaming Sideburns ihren tiefergelegten Bombastsound im Magnet aufführen: ein Pflichttermin in Sachen Rock (Greifswalder Str. 212, Prenzlauer Berg). Wer nicht warten will, geht schon heute abend ins Lovelite (Simplonstr. 38, Friedrichshain). Dort haben viele der stets zahlreich versammelten jungen Menschen zwar noch keinen Bartwuchs und die schicken Quader an der Wand sehen aus wie Kunst. Man kann aber auch prima sein Bier darauf abstellen. Wenn dann die Nervous Shakes um 23 Uhr in die Saiten greifen, deren bluesiger Garagenrock sich ganz frei bei den New York Dolls bedient, wird man verstehen, warum diese dänische Band in der ehemaligen KfZ-Garage genau am richtigen Ort ist – und warum wir doch wieder nicht in der Oper sind. Und wenn alles gut geht, werden wir es nicht einmal bereuen.

Arno Kansen

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