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L'Aquila: Der Papst, die Schafe und die Millionen

Viele Kulturschätze von L’Aquila und den Abruzzen haben das Erdbeben nicht überstanden. Eine Schadensmeldung.

Die gute Nachricht: Der heilige Cölestin lebt. Weil die mit viel gläubiger Folklore garnierte Heiligenverehrung eine immense Bedeutung für die Menschen in Italien hat, gilt die Rettung von Cölestins Gebeinen als eine Art Wiederauferstehung für das verwüstete L’Aquila.

Cölestin V., gestorben vor 713 Jahren, mit bürgerlichem Namen Pietro von Morrone, ist der einzige Papst, der aus freien Stücken zurücktrat – nach fünf Monaten im Amt. Cölestins Reliquien ruhten dort, wo der Einsiedlermönch im Juli 1294 zum Kirchenoberhaupt gekrönt worden war, in der Collemaggio-Basilika von L’Aquila. Die Kirche auf dem Maienhügel gilt mit ihrer bunten, von drei Torbögen und drei Fensterrosetten geschmückten Fassade als eins der größten Kunstwerke des abruzzesischen Mittelalters. Die Fassade hat das Erdbeben überstanden, dahinter ist die Hälfte des Baus eingestürzt.

Immerhin: Cölestins Sarg – aus Panzerglas, weil Unbekannte den Heiligen 1988 gestohlen hatten – hat im Tumult nur wenige Kratzer abbekommen; Feuerwehrleute haben ihn geborgen. L’Aquila hat wieder ein Ziel vor Augen, das traditionelle Stadtfest am 28. August, die Erinnerung an Cölestins Papstweihe, verbunden mit einem Sündenerlass. „Wir hoffen, die Basilika bis dahin provisorisch sichern zu können“, sagt Maurizio Galletti, oberster Denkmalschützer der Stadt. An den Wiederaufbau mag er noch gar nicht denken. Zehn, fünfzehn Jahre mindestens, sagt er. Vorausgesetzt, die Millionen fließen.

Doch Millionen werden für die Abruzzen nicht reichen, und das ausgerechnet in Zeiten, in denen Italien seinen ohnehin schon geringen Kulturetat um annähernd die Hälfte zusammensparen will. Neun Tage nach dem großen Beben sehen Denkmalschützer und Kulturminister Sandro Bondi nur „eine gigantische Aufgabe“ vor sich. Nahezu alle Kulturdenkmäler der mittelitalienischen Bergregion sind beschädigt, viele zerstört. Kirchen und Klöster hat es besonders schlimm getroffen. L’Aquila gilt als „Stadt der 99 Kirchen“.

Am Domplatz, aus der barock-neoklassizistischen Kirche zu den „Heiligen Seelen“, ragt keine Kuppel mehr in die Höhe, sondern ein hohler Stumpf. Um die Schäden einzuschätzen, mussten sich Experten von einem Feuerwehrkran aus in die knapp 300 Jahre alte Kirche abseilen; die Schuttberge sind unüberwindlich, die Gefahren weiterer Einstürze groß. Die Schäden am Bau – entworfen im prächtigen „römischen“ Stil von einem Fontanas- Schüler – sind von besonderer Ironie: Die Kirche war eigens für die Opfer des Bebens von 1703 errichtet worden.

Die Abruzzen sind keine Region der spektakulären Kunstwerke wie etwa die Toskana. In der Berggegend finden sich stille Dörfer, einsame Klöster, atemberaubende Burgen, wilde, schwer zugängliche Täler: ein Land der Romanik, seit dem frühen Mittelalter von Benediktinermönchen bestellt. In den Kapellen am Wegesrand haben auch Millionen von Schafen ihre Spuren hinterlassen. Über Jahrhunderte trieben Hirten riesige Herden durch die Gegend, von der Winterweide in Apulien hinauf in die Hochebenen der Abruzzen, im Herbst wieder zurück, zweihundert, dreihundert Kilometer. Die Kapellen sollten für sicheres Geleit sorgen.

Weitaus zahlreicher als zusammenhängende Ensembles sind in den Abruzzen kostbare Einzelgegenstände: mittelalterliche Leuchter, figurengeschmückte Kanzeln, prachtvolle Fassaden, Fresken, dazu die typischen Fensterrosetten, an denen die Baumeister noch lange nach Ende der Gotik festgehalten haben. Vieles haben die Beben im Lauf der Jahrhunderte zerstört; alles ist unerschütterlich immer wieder aufgebaut worden, die Mischung der Stile zeigt an, wie oft.

Im 755 Jahre alten L’Aquila ist noch mehr zerstört. Die Stadtmauer aus der Gründungszeit. Der erzbischöfliche Palast, aus dem der Domschatz gerettet und nach Rom evakuiert wurde. Auch staatliche Gebäude hat es erwischt; es bröckelt die Präfektur, deren Bausicherheit schon 2008 „gleich null“ eingestuft worden war. Die Gerichtsgebäude – mit allen Akten – liegen im Schutt. Schwer beschädigt sind die Theater, das spanische Kastell aus der Zeit Karls V., das den Aquilanern zur Strafe für diverse Eigenwilligkeiten aufgebrummt worden war. Die Festung beherbergt heute das Nationalmuseum der Abruzzen mit dem Riesenskelett eines urzeitlichen Elefanten. Die Schäden an den Exponaten sind noch nicht quantifiziert.

Die Diskussion um den Wiederaufbau hat zaghaft begonnen. Wird angesichts der Vielzahl zerstörter Gebäude das Geld für eine Wiederherstellung reichen? Ist es nicht besser, manche Ruinen als Mahnmal stehen zu lassen? Was wird die Lücken füllen, die barocke Wohnpaläste in L’Aquila hinterlassen? Wie viele überhaupt zu sichern sind, weiß noch niemand. Die Bagger rücken bereits vor.

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