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Kultur: Last & Altlast

Firmengeschichte: Was wusste Degussa vom Judenmord?

Steht man in der Kantine der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin, schaut man auf das graue Panorama des HolocaustMahnmals, das immer sichtbarer Gestalt annimmt. Die angekündigte Wellenbewegung der Betonstelen will sich vorerst allerdings nicht einstellen.

Ebenso unsichtbar ist der Graffitischutz, mit dem die Stelen überzogen sind. Er wird von der Firma Degussa hergestellt, die in der NS-Zeit am Gold und Silber ermordeter Juden verdiente, außerdem Zwangs- und Sklavenarbeiter in ihren Fabriken einsetzte. Ihre Schwesterfirma Degescha lieferte das Gas Zyklon B. Als kürzlich die Beteiligung der Firma am Mahnmal bekannt wurde, stoppte man die Bauarbeiten. Es gab jedoch nur eine kurze Diskussion, dann wurde weitergearbeitet. Degussa, so ein Argument, habe sich ihrer Geschichte gestellt.

Peter Hayes, Professor für Holocaust-Studien in Chicago, liefert nun einen weiteren Grund: „Man findet keine Firma, die nicht in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt war. Aber die Leute der Degussa waren 1933 keine Nazis, sondern liberale Großbürger. Ihr Vergehen bestand in der kreativen Anpassungsbereitschaft an das Regime.“ Hayes hat fünf Jahre in den Archiven der Degussa geforscht. Jetzt präsentierte er sein 700 Seiten starkes Manuskript bei der Vortragsreihe „Deutsche Unternehmen und ihre Verstrickung in das NS-System“ in der niedersächsischen Landesvertretung auf Einladung der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.

Was hat Hayes herausgefunden? Dass die engagierte Unterstützung des Großkapitals für Hitler ein Mythos sei: „Geht man in die Firmenarchive, gelangt man zu einer differenzierteren Sicht.“ Zwang sei unter moralischen Gesichtspunkten immer eine Ausrede, so Hayes. Doch habe sich die Degussa gezwungen gesehen, mit der Dynamik Hitlers Schritt zu halten, um im Geschäft zu bleiben. Hayes nennt es den allmählichen Verfall der Geschäftssitten. Was die Degussa vom Judenmord wusste, ist weiterhin unbekannt. Und Zwangsarbeiter habe die Firma nicht zu Profitzwecken beschäftigt, sondern um dem Regime zu gefallen. „Sie kosteten mehr als normale Arbeiter, weil man für Baracken und Wachmannschaften aufkommen musste.“

Auf die Frage, warum die Degussa eine Firmengeschichte schreiben ließ, antwortet der Historiker: „Wenn ich Zyniker wäre, würde ich sagen: Nichts ist toter als das, was in einem Buch liegt. Es ist eine Art Entsorgung der Geschichte.“

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