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Laurence Stern: Neue Übersetzung von "Sentimental Journey"

Laurence Stern gilt als literarischer Großmeister. Jetzt wurde sein unfertig gebliebenes Reisebuch, "Sentimental Journey", neu übersetzt. Michael Walter kommt zur Lesung nach Berlin.

Ein englischer Gentleman fährt mit der Kutsche von Calais nach Paris und von Paris Richtung Italien. Unterwegs tauscht er eine Schnupftabakdose mit einem Bettelmönch, schlüpft schlüpfrig in die von einer Dame hingehaltenen – Handschuhe, gabelt einen praktisch untauglichen, aber menschlich bezaubernden Diener auf, geht einer Wäscherin sittsam nicht an die Wäsche und erlebt sonst noch einige sentimentale Abenteuerchen, die Gelegenheit geben, Herzensgüte zu beweisen und Tränen zu vergießen.

Die „Sentimental Journey“ von Laurence Sterne ist manchmal wirklich sentimental, auch im negativen Sinn des Wortes. Am Beispiel des Mitleids führt der Text sich selbst vor und zeigt, wie Sentimentalität funktioniert, wie das Denken seinen Platz dem Fühlen räumt, wie Solidarität durch die bequemer rührende Teilnahme am Einzelschicksal ersetzt wird: „Ich begann eben mit den Millionen meiner Mitmenschen, denen kein anderes Erbteil bestimmt ist als die Sklaverei; da ich aber merkte, dass ich mir das Bild, wie ergreifend es auch sein mochte, nicht nahe genug bringen konnte, und dass die Masse trister Gruppen darin mich bloß verstörte – nahm ich einen einzigen Gefangenen, und nachdem ich ihn zuerst in ein Verließ gesperrt hatte, spähte ich durch das Zwielicht seiner vergitterten Tür hinein zu ihm, um mir sein Bild vor’s Auge zu stellen.“

So funktioniert die Herzensrührung bis zum heutigen Tag. Die „Masse trister Gruppen“ verstört bloß, ein hübsch abfotografierter leidender Einzelmensch macht besser Reklame für Mitleid.

Im Deutschland des letzten Drittel des 18. Jahrhunderts (die „Sentimental Journey“ erschien 1768, wenige Wochen vor dem Tod des Autors) kursierte dieses Geistes-, besser gesagt: Gefühlshaltung unter dem Titel „Empfindsamkeit“. Lessing hatte „Empfindsame Reise“ als adäquate deutsche Übersetzung von „Sentimental Journey“ vorgeschlagen.

Die Rückbesinnung auf Herz und Gefühl war eine Reaktion auf den mitunter bis zur Kaltschnäuzigkeit nüchternen Rationalismus der Aufklärung. Aber wie so oft, wenn das Pendel der menschlichen Gestimmtheit von einem Extrem ins andere schlägt, wurde aus der Empfindsamkeit schnell die Empfindelei, die bald verspottet und befehdet wurde wie vormals die kalte Vernunft.

Sterne selbst ist zu sehr Geistesschalk, um die beiden Extreme nicht immer wieder gegeneinander auszuspielen. Wenn dem Icherzähler die Herzenswärme die Augen schmelzen lässt, liegt immer schon sarkastisch ein Schnupftuch bereit. Und wenn kalkulierende Vernunft das Handeln bestimmt, macht ihr das Gefühl einen Strich durch die Rechnung.

Sterne ist ein literarischer Großmeister, weil er mit dem „Tristram Shandy“ einen Roman an den Beginn der Gattung gesetzt hat, der die Gattung des Romans ganz unsentimental in seine Einzelteile zerlegt. Die Übersetzung des „Tristram“ durch Michael Walter war selbst eine Meisterleistung. Sie wurde jetzt durch eine Neuübersetzung von Sternes unfertig gebliebenem Reisebuch ergänzt. Nach Italien kommen wir mit dem sehr hübsch gemachten Band trotz des Titels nicht. Dafür dürfen wir am Ende des zweiten der ursprünglich geplanten vier Bände Zeuge sein, wie der Erzähler im Dunkel Hand – ja, an was eigentlich legt.

Am kommenden Mittwoch, den 11.8., im LCB, 20 Uhr, liest Sterne-Übersetzer Michael Walter aus dem Buch. Das Gespräch mit ihm führt Wolfgang Hörner.

Laurence Sterne: Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien.

Von Mr. Yorick. Neu aus dem Englischen übersetzt von Michael Walter. Verlag Galia, 357 Seiten, 24,95 €

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