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Die 1986 in London geborene Autorin Laurie Penny.

© Jon Cartwright

Laurie Pennys neues Buch: Rebellinnen wie wir

Weg mit der Gender-Zwangsjacke: Die britische Feministin Laurie Penny und ihre Polemik „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“.

„Seid ihr eigentlich Feministinnen?“, fragt die junge Frau am Bühnenrand. Die Antwort der elfköpfigen Frauengruppe hinter ihr besteht in einer hektischen Rückzugsbewegung, die von kollektivem Zischen begleitet wird – deutlicher kann man ein „Nein!“ kaum zum Ausdruck bringen.

Ein „Ja, jetzt schon“ hätte man eher erwartet. Denn in den vorausgegangenen Minuten haben die Aktionistinnen des Gorki-Theater-Jugendclubs in prägnanten, teils sehr persönlichen Spielszenen und Choreografien gezeigt, wie einengend und schmerzhaft die geltenden Genderkonzepte für sie sind. Eigentlich kann ihr ganzes zusammen mit Suna Gürler entwickeltes und im letzten Sommer uraufgeführtes Stück „Kritische Masse“ als Protest gegen Schönheits- und Verhaltensvorgaben an Frauen gesehen werden. Klar, dass da irgendwann auch mal das F-Wort fällt. Klar aber auch, dass es erstmal Panik auslöst – das ist ehrlich und lebensnah erzählt.

Ein ganzes Kapitel richtet sich gegen Cybersexismus

Da können Pop-Stars wie Beyoncé oder Lorde noch so viel Feminismuswerbung betreiben, für viele junge Frauen bleibt das Thema erst mal suspekt und tabubeladen. Lautstark Rechte einzufordern, widerspricht den weiblichen Genderregeln schließlich fundamental. Wer sich derart exponiert, hat mit Ablehnung und Sanktionen zu rechnen, zu denen heute an erster Stelle digital verbreitete Hasstiraden gehören. Das Spektrum reicht von üblen Beschimpfungen bis hin zu Vergewaltigungs- und Mordfantasien. Feministinnen müssen viel aushalten können.

Die 1986 in London geborene Autorin Laurie Penny weiß, wie sich das anfühlt. Ihr wurde im Netz schon alles mögliche angedroht. Erst Anfang dieser Woche berichtete sie auf Twitter von einem Mann, der ihr gemailt hatte, dass man Leuten wie ihr so lange eins mit dem Ziegelstein überziehen müsse, bis sie kapierten, dass Frauen nicht unterdrückt werden. Dem „Cybersexismus“ hat Penny, die von sich sagt, sie sei „im Internet aufgewachsen“, ein ganzes Kapitel ihres gerade erschienenen Buchs „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ (aus dem Englischen von Anne Emmert, Edition Nautilus 2015, 283 S. 16,90 €) gewidmet.

Obwohl sie das Selbstermächtigungspotenzial und die digitalen Vernetzungsmöglichkeiten für Frauen schätzt, sieht sie, dass sich im Netz misogyne Muster wiederholen, die aus der Offline-Welt nur zu bekannt sind. Frauen und Mädchen werde – zu ihrem eigenen Schutz – geraten, sich vom gefährlichen, pornoverseuchten World Wide Web fernzuhalten. Treten Frauen dort dennoch meinungsstark in Erscheinung, werde versucht, sie „durch öffentliche Bloßstellung und Einschüchterung von ihren Internet-Aktivitäten abzuhalten“. Sich eben nicht den Mund verbieten zu lassen und schweigend zu leiden, sondern im Netz deutlich vernehmbar aufzutreten, steht hoch auf der Agenda einer neuen Feministinnengeneration, zu der in Deutschland beispielsweise Anne Wizorek (#aufschrei) zählt.

Laurie Penny ist einer der bekanntesten und klügsten Köpfen dieser Generation. Sie schreibt für englische Zeitungen, hat einen viel beachteten Blog und über 100 000 Twitter-Follower. Vor vier Jahren erschien ihr Buch „Fleischmarkt“, in dem sie kurz und trefflich beschrieb, wie „Frauenkörper im Spätkapitalismus entmachtet und kontrolliert werden.“ Mit ihrem neuen Werk schließt sie an diese Analyse an, vertieft sie und deutet Wege aus der Misere an. Sie hat wieder die Form einer Polemik gewählt, die sich auf Studien und persönliche Erfahrungen stützt. Einige Abschnitte des Buches speisen sich zudem aus bereits auf ihrem Blog oder in Artikeln veröffentlichtem Material, was eine gewisse Sprunghaftigkeit zur Folge hat. Penny ist besser darin, kurze prägnante Absätze zu formulieren, als darin, große sorgfältig strukturierte Bögen zu entwerfen. Der Substanz und Gedankenklarheit des Textes tut das aber keinen Abbruch – und der kurzen Aufmerksamkeitsspanne eines jungen Publikums dürfte es entgegenkommen.

Der neoliberale Kapitalismus forciert Genderkonfromität

Die 1986 in London geborene Autorin Laurie Penny.
Die 1986 in London geborene Autorin Laurie Penny.

© Jon Cartwright

Zunächst betont Penny in „Unsagbare Dinge“ noch einmal, dass es der neoliberale Kapitalismus ist, der sowohl Frauen als auch Männer in die Genderkonformität drängt. Das Selbst muss mittels harter Arbeit und der Hilfe von Konsumprodukten zu einer Marke optimiert werden. Frauen haben sich dabei um „erotisches Kapital“ zu bemühen, das ihnen eine gewisse Macht in der patriarchalen Gesellschaft verschafft.

Diese „Gender-Zwangsjacke“, wie Penny sie nennt, ist natürlich auch für Männer einschränkend, zumal, wenn sie vom Standard abweichen, vielleicht schwul sind oder vorgeblich „weibliche“ Interessen haben. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass für Frauen deutlich strengere Verhaltensregeln gelten als für Männer. Mädchen und Frauen werden Aussehen, Ernährung und Interaktionsmuster viel genauer vorgeschrieben, das Perfektionismusgebot ist härter. Doch es zu befolgen ist wahnsinnig anstrengend, produziert Leid – und wird niemals von Erfolg gekrönt. Dieser Punkt ist Penny besonders wichtig, sie wiederholt und variiert ihn mehrere Male. „Du kannst nicht gewinnen, weil niemand gewinnt. Wenn du keine Diät machst, dir nicht die Haare stylst, nicht dein letztes Geld in Kosmetik und modische Kleidung investierst, giltst du als unzulänglich, unprofessionell – aber wenn du all das tust, bist du ein dummes Flittchen“, fasst sie das unauflösbare Dilemma zusammen, mit dem sich vor allem junge Frauen herumschlagen.

Laurie Penny war magersüchtig und erkannte, dass das Private politisch ist

Dass das „Perfekte-Mädchen-Spiel“ nur Verliererinnen produziert, hat Laurie Penny in einer Klinik begriffen, in die sie mit 17 Jahren wegen ihrer Anorexie eingeliefert wurde. Schon in „Fleischmarkt“ schrieb sie dazu lange Passagen, aus denen die jungen Gorki-Schauspielerinnen in „Kritische Masse“ übrigens ausgiebig zitieren. Für Pennys Denken sind das Verständnis und die Überwindung der Krankheit zentral, spiegeln sich darin die Zumutungen der Genderkonformität doch auf vielfältige Weise. Körper werden zum Kampfplatz bei der Übererfüllung der Schönheitsnormen oder – wie in Pennys Fall – bei dem Versuch, dem Frauwerden gleich ganz zu entgehen. Die Magersucht hat Penny geholfen, das Private als politisch zu begreifen. Sie sieht den Fehler im neoliberalen System, dessen Logik des „Alle-sind-an-ihrem-Leid-selber- Schuld“ sie ablehnt.

Hoffnung macht der Autorin, die als Journalistin über Occupy-Camps berichtete, die aktuelle Wirtschaftskrise. Sie hat junge Männer massenhaft marginalisiert und ihnen die Augen dafür geöffnet, dass das Patriarchat auch für sie schlecht ist. Wirklich mächtig sind darin schließlich nur wenige Herren an der Spitze, die Spielräume darunter dramatisch geschrumpft. „Der Mythos geht einfach nicht mehr für genügend Leute auf,“ schreibt Penny, die an eine feministische Revolution glaubt, bei der sich alle Deprivierten – die Frauen, die Schwarzen, die Queers und eben auch die desillusionierten weißen Hetero-Männer – zusammenschließen. Der Feminismus als gesellschaftsverändernde Kraft, das ist Pennys Vision. Vom feministischen Mainstream, den sie als lau und feige bezeichnet, hält sie nichts, weil es ihm nur um die Aufstiegschancen von Mittelschichtsfrauen gehe. Mehr weibliche Konzernvorstände – das ist ihr zu wenig.

Wie sie sich das mit der Revolution genau vorstellt, schreibt Penny zwar nicht. Doch „Unsagbare Dinge“ ist auch keine Anleitung zum Umsturz, sondern vor allem der Versuch, Unterdrückungsstrukturen zu beschreiben und eine Ermutigung an Frauen (und Männer), sie zu überwinden, die Gender-Zwangsjacke abzustreifen, feministisch zu denken.

Auf der Gorki-Studio-Bühne wird gegen Ende noch ein zweites Mal die F-Frage gestellt. Wieder weicht die Gruppe zischend zurück. Die Frau am Mikro versucht es diesmal mit dem Verlesen des Wikipedia-Eintrags zu „Feminismus“. Die Gruppe hört aufmerksam zu, murrt ein bisschen. Dann sagt eine: „Hatte ich mir schlimmer vorgestellt. “

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