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Szene aus "Le Prophète".

© imago/Martin Müller

"Le Prophète" an der Deutschen Oper Berlin: Machtkrampf in Münster

Die Deutsche Oper möchte Giacomo Meyerbeer als genuinen Herzblut-Musikdramatiker rehabilitieren. Regisseur Olivier Py scheitert im letzten Stück des Zyklus, „Le Prophète“,

Es ist vollbracht, die Deutsche Oper hat ihren über drei Spielzeiten angelegten Meyerbeer-Zyklus auf die Bühnenbretter gewuchtet. Die Führungssängerin geht in eine sehr tiefe Verbeugung, der Dirigent lächelt erleichtert, verdutzte Tänzer kassieren den Unmut des Publikums und der Regisseur tänzelt mit einem Strasskreuz um den Hals seinen Buh-Rufern entgegen. An Ende sieht alles aus wie ein ganz normaler Opernabend. Dabei ging es doch um viel mehr. Giacomo Meyerbeer, Kind dieser Stadt und in Paris zum Star der Grand opéra avanciert, sollte dem Theater wiedergegeben werden. Ein europäischer Komponist, der unter antisemitischer Hetze und den Neidattacken charakterlich schwacher Kollegen wie Richard Wagner zu leiden hatte, der als veraltet vom Olymp gestürzt, dessen Musik gefleddert und schließlich aus den deutschen Spielplänen entfernt wurde.

Nur, wie rehabilitiert man einen Künstler, an den praktisch keine Erinnerung mehr besteht, dessen Platz eingenommen wurde von Verdi und Wagner, zwischen denen Dutzende andere Komponisten untergegangen sind wie die mythischen Seefahrer zwischen Skylla und Charybdis? Das kann nur durch fesselnde Musiktheaterabende geschehen, in denen aus der Wucht, der Wut und dem Pulverdampf, der Meyerbeers Opern durchzieht, wieder Feuer wird auf der Bühne. Mit Aufwand hat die Deutsche Oper bei ihren drei Neuinszenierungen von „Vasco da Gama“, den „Hugenotten“ und jetzt „Le Prophète“ nicht gegeizt, nachdem die Produktionsetats durch kluges Anzapfen von Fördertöpfen nach oben geschnellt sind. Die Wiedergutmachung an Meyerbeer wird so zum Kulturpolitikum, bei dem das Publikum aus dem Blick gerät. Denn ohne die Zusage, die Werke in vermeintlicher Gänze zu präsentierten, wären die Anträge weniger erfolgreich gewesen.

Meyerbeer liebte, anders als Wagner, die Bühne und ihre Möglichkeiten

Wenn aber nur die „revidierte Fassung der historisch-kritischen Ausgabe“ zur Premiere kommt, bleibt als Ergebnis einfach zu wenig übrig: zu wenig Theater, zu wenig Heute, zu wenig Mut. Meyerbeers Musikdrama war noch weit von dem absoluten Werkgedanken entfernt, mit dem Wagner sein Schaffen versiegeln wollte, als Schutz vor den Zumutungen eines Theaters, das sich um seiner Lebendigkeit willen nicht in Gottesdiensten erschöpfen kann. Meyerbeer liebte die Bühne, auch wenn sie ihn zwang, radikal zu kürzen.

Dabei kann Packendes entstehen, wie der Beginn von „Le Prophète“ erahnen lässt. Kein ausgedehntes Vorspiel reißt den Horizont auf, nur ganz sparsam setzt die Musik Akzente: Verrinnen der Zeit im dunklen Raum. Kalter Hauch umfängt die Szene, in der das Glück des Einzelnen wie eine Kerze im Wind erscheint. Wenn die monotonen Gesänge der Wiedertäufer versuchen, diese Leere mit ihrer unerklärlichen Strenge zu füllen, wenn sich das geknechtete Volk von ihnen entzünden lässt wie Spreu, wenn die Gewalt der Masse aufwallt: Das ist große dramatische Kunst, unmittelbare Theaterwirkung.

Wer prägt die Szene - und wer steht nur daneben?

Szene aus "Le Prophète".
Szene aus "Le Prophète".

© imago/Martin Müller

Wer diese Momente aufspürt, ihnen vertraut und weglässt, was der Konvention geschuldet war, bringt Meyerbeer zurück auf unsere Bühne. Leider ist Olivier Py, Dramatiker, Leiter des Festivals von Avignon und Gelegenheits-Drag-Queen, kein solcher Destillateur. Seine szenischen Forderungen erschöpfen sich in aufwendigen Bühnenbildern, die prekäre Räume schaffen sollen, in denen dann aber nichts geschieht. Wer sich kurz an Frank Castorf erinnert fühlt, an die Werbetafeln in seinem „Ring“ oder den „Faust“ in seinem verkommenen Paris, der merkt auch schnell, wer wirklich die Szene prägen kann und wer nur danebensteht. Py hat der alten Volksbühne in Avignon einen berührenden Abschied geschenkt, vom Theatersinn seines Freundes Castorf aber ist er meilenweit entfernt. Überall nur abgestelltes Personal, Chöre, die nie gewichtig werden dürfen – und zu allem Überfluss noch eine ungekürzte Balletteinlage, die eine Viertelstunde gymnastisch die Gräuel von Folter und Vergewaltigung zeigen will. Irgendwie. Meyerbeers Walzer sind entbehrlich, Pys Zurichtungen aber eine Zumutung.

„Le Prophète“ wählt, wie auch „Vasco da Gama“ und „Die Hugenotten“, einen historischen Kulturbruch zum Sujet. Meyerbeer lässt jene religiöse Schreckensherrschaft auf der Bühne aufleben, mit der die Wiedertäufer in Münster ihr apokalyptisches Reich errichteten, bis die Stadt 1535 gestürmt und das Regime blutig zerschlagen wurde. Wie aus dem Wirt Jean der Prophet und schließlich König der Wiedertäufer wird, dafür erfindet er Motive: die Vergewaltigung seiner Braut durch einen Adeligen. Die sollen alle hängen, versprechen die Wiedertäufer. Jean schließt sich ihnen widerstrebend an – und wird als Sprachrohr missbraucht.

Die Sänger müssen sich oft in Zwischenreiche begeben

Seine Ähnlichkeit mit einer Darstellung von König David macht ihn zum Anführer, der doch nur Handlanger bleibt. Meyerbeer schneidet hier ganz modern die Reproduzierbarkeit von Bildern gegen die verführbar machende Erfahrung von Wut, Trauer und Verzweiflung. Und er tut es mit einer in der Oper seltenen Mischung aus Empathie und Skeptizismus. Einer Haltung, die uns nah sein könnte.

Zugleich verlangt Meyerbeers Musik viel von ihren Darstellern, die sich stimmlich oft in Zwischenreiche begeben müssen, wo klassische Einteilungen versagen, Lyrisches immer, Heldisches nicht selten gefragt ist. Gregory Kundes Jean tut sich damit schwer, erreicht Höhe nur mit Not, markiert im Laufe des Abends mehr, als dass er tatsächlich singt. Da auch die stets präsenten Wiedertäufer-Mönche (Derek Welton, Andrew Dickinson und Noel Bouley) stimmlich wenig Eigenleben entwickeln und der schurkische Graf Oberthal von Seth Carico recht zahm bleibt, verschiebt sich das Gewicht zu den Frauen. Elena Tsallagova singt die geschundene Braut Berthe mit staunenswerter Selbstbehauptung. Eigentlicher Star des Abends ist aber die sich verströmende Clémentine Margaine in der Rolle von Jeans Mutter Fidès. Meyerbeer hatte für sie ebenso viel Extramusik geschrieben wie seinerzeit für die legendäre Pauline Viardot-García. Ein Liebesbeweis wider alle Dramaturgie. Diese Musik wurde aus dem geboren, was das Theater zu bieten hatte. Und will immer wieder neu geboren sein.

Enrique Mazzola hat sich seit „Vasco da Gama“ tiefer in das Universum Meyerbeers eingehört und leitet den gut viereinhalbstündigen Abend mit gewachsener Sicherheit. Er weiß um die Kraft, die der Komponist mit nur wenigen Tönen entfachen kann, dirigiert auch einzelne Bläser mit pulsierender Aufmerksamkeit. Dass das große Orchestertutti letztlich am wenigsten aufregend klingt, geht auch auf das Konto des Komponisten. Jeremy Bines, der neue Chordirektor, stellt sein Kollektiv stimmlich brillant auf „Le Prophète“ ein. Ein Musiktheater, das die Grand opéra zum Zeitgenossen macht, will an der Deutschen Oper dennoch nicht entstehen. Barrie Kosky verlässt schnell und schweigsam den Zuschauerraum. Hier wurde eine Chance vertan, die er besser hätte nutzen können.

Nächste Vorstellungen am 30. November sowie am 3., 9. und 16. Dezember

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