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Kultur: Leasen lernen

Es kann gebaut werden: Heute wird die Machbarkeitsstudie zum Berliner Stadtschloss vorgestellt

Der Beschluss liegt drei Jahre zurück – jetzt kommt der politische Durchbruch. Am 4. Juli 2002 votierte der Deutsche Bundestag dafür, in der Mitte Berlins, auf dem Areal des 1950 gesprengten Hohenzollernschlosses, ein „Humboldt-Forum“ genanntes Gebäude überwiegend öffentlicher Nutzung zu errichten. Zur Finanzierung äußerten sich die – mit Ausnahme der PDS fraktionsübergeifend – zustimmenden Abgeordneten „angesichts der angespannten Haushaltslage“ lieber nicht.

Seither herrscht Stille. Doch damit hat es ein Ende. Am heutigen Mittwoch werden Kulturstaatsministerin Weiss und Bundesbauminister Stolpe das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie vorstellen, das eine überraschend solide Grundlage zur Umsetzung des Bundestagsbeschlusses darstellt.

Damit war zuletzt beinahe nicht mehr gerechnet worden. Die Zeiten sind nicht danach, teure öffentliche Gebäude zu errichten, wurden doch für das Schloss bislang Summen von um die 670 Millionen Euro geschätzt. Zudem ist der Bund in Berlin ohnehin stark engagiert. Wenige hundert Meter vom Schlossplatz entfernt beginnt die Museumsinsel, in deren Sanierung der Bund bis 2015 rund anderthalb Milliarden Euro stecken wird.

Andererseits harrt gerade die Museumsinsel der Ergänzung durch das Humboldt-Forum. Es soll, so der Bundestag, die Bestände des Ethnologischen Museums der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Sammlungen der nahen Humboldt-Universität sowie die Zentral- und Landesbibliothek vereinen und dazu als „Agora“ bezeichnete Veranstaltungsräume umfassen. Damit folgte der Bundestag den Empfehlungen der Schlossplatz-Kommission, die sich ein reichliches Jahr lang mit den verschiedensten Optionen für dieses Herzstück Berlins befasst – und am Ende eine rein privatwirtschaftliche Nutzung verworfen hatte.

Der Bundestag folgte zudem der in der Kommission am heftigsten umstrittenen Vorgabe, nicht einfach irgendein Gebäude zu errichten oder gar das Gerippe des DDR-„Palastes der Republik“ neuerlich zu füllen, wie es zuletzt wieder ins Spiel gebracht wurde. Nein, das alte Schloss soll es sein – freilich nur in Gestalt der drei barocken Fassaden, die einst das riesige Gebäude schmückten, und des nach dem herausragenden Schloss-Baumeister benannten Schlüter-Hofs als der Hauptleistung dieser hochbarocken Repräsenentationsarchitektur. Was hinter den Fassaden vor sich geht, soll ein Architektenwettbewerb klären; ebenso, wie das Gebäude an seiner vierten, gen Osten gerichteten Seite aussehen könnte. Zu Schlosszeiten war diese ein unübersichtliches Gemisch aus verschiedenen Bauphasen und Stilen.

Die Fassadenfrage entzweite die Öffentlichkeit. Die Nutzung wurde demgegenüber begrüßt. Den Gedanken einer öffentlichen, ja weltöffentlichen Nutzung durch die Verzahnung der unendlich reichen außereuropäischen Bestände der Staatlichen Museen mit der Wissenschaft der Humboldt-Universität sowie dem alltäglich nachgefragten Angebot der Landesbibliothek gab der städtebaulichen Frage, wie das Schloss-Areal am sinnvollsten gestaltet werden könne, endlich ein sicheres Fundament. Schon gar vor der Alternative einer privatwirtschaftlichen Renditenutzung, mit Bürorepräsentanzen, Shopping Mall und dem unvermeidlichen Allerlei-Eventprogramm.

Doch so einvernehmlich die Zustimmung zu diesem weltoffenen Nutzungskonzept auch ausfiel – ein entschiedenes Drängen gab es nicht und nicht einmal in den politischen Parteien, die sich für die Schloss-Rekonstruktion ausgesprochen hatten. Im kulturgesättigten Berlin rief die kühne Vision, buchstäblich die Welt in die Mitte der Stadt zu holen, keine überschäumende Begeisterung hervor.

Da nun wirft die Studie einen Köder aus, der selbst die berufsmäßig knauserigen Haushaltspolitiker des Bundes aus der Reserve locken dürfte. Zunächst einmal wird die Option einer Privatnutzung verworfen – wie sie zuletzt noch einmal das hartnäckige Bundesfinanzministerium ins Spiel gebracht hatte. Hinter den barocken Fassaden, so die Zusammenfassung der von den Beratungsfirmen BulwienGesa AG und Berendes und Partner gemeinsam mit dem Architekturbüro Hemprich Tophof erstellten, als Ganzes bislang streng gehüteten 150-Seiten-Studie, finden Büronutzungen buchstäblich keinen Platz. Die Räume sind zu hoch, andererseits zu kleinteilig, sie lassen sich nicht variabel gestalten und sind ungünstig belichtet. Die einzige private Nutzung, die die Studie gelten lässt, ist die eines Hotels der oberen Kategorie – trotz des knallharten Wettbewerbs, der gerade in der Berliner Hotellerie herrscht und durch weitere Neubauten in der Nähe befeuert wird. Doch die Synergieeffekte insbesondere im Hinblick auf die Agora, also das Veranstaltungsforum, lassen eine derartige Nutzung sinnvoll und vor allem auch rentabel erscheinen.

Den Hauptanteil indessen müssen die Staatskassen aufbringen. Die Studie schlägt für Bund und Berlin ein Beteiligungsverhältnis von drei zu eins vor. Die Baukosten schätzten die Berater auf 533 bis 780 Millionen Euro – und zwar einschließlich der historischen Fassaden, deren Wiederherstellung eben die Ursache für die Beschränkung auf die überwiegend öffentliche Nutzung bilden. Die Kosten variieren, je nach der Bemessung nach Grundfläche oder aber Rauminhalt. Die Differenz ergibt sich aus den enormen Raumhöhen, wie sie sich für ein Schloss geziemen und im heutigen Bauen völlig undenkbar sind.

Keine Differenz kennt die Studie beim Vorschlag des besten Finanzierungsmodells. Die Berater haben ermittelt, dass angesichts der „auf einem historischen Tiefstand“ befindlichen Kapitalmarktzinsen und der „ebenfalls auf sehr niedrigem Niveau“ sich bewegenden Baukosten ein „kreditfinanzierter Neuaufbau des Schlossareals insbesondere in den Jahren 2005 bis 2007 als sehr günstig anzusehen“ sei. Der Köder für die Haushälter besteht darin, dass der Bund zwar als Bauherr, nicht aber als herkömmlicher Sofort-Finanzier auftreten soll, sondern als Leasingnehmer. Bei dem in die Studienzusammenfassung eingeflossenen Kürzel „PPP“ für public-private partnership mag den ein oder anderen Politiker Skepsis beschleichen. Doch die nüchterne, jeweils von best case bis worst case abwägende Studie macht glaubhaft, dass eine jährliche Haushaltsbelastung zwischen 17 und 30 Millionen Euro realistisch ist, je nach privater Zusatznutzung und daraufhin punktgenau ermittelten Baukosten. Sie fällt „allerdings für einen Zeitraum von 30 Jahren“ an: ein Pferdefuß für in Legislaturperioden denkende Abgeordnete. Derart langfristig mögen Politiker sich ungern festlegen.

Doch warum sollte eine derart singuläre Kulturinstitution nicht ausnahmsweise per Leasing gemeistert werden? Über die Realisierungschancen, zumal in entschiedener Schnelligkeit, darf man spekulieren. Es wäre jedoch billig, die Vorstellung der Machbarkeitsstudie als Wahlkampfmanöver abzutun. Zum einen war ihre Ausarbeitung seit langem versprochen, zum anderen gewinnt die amtierende Regierungskoalition mit einem derart ambitionierten Vorhaben gewiss keine nennenswerten Wählerstimmen. Doch gerade weil der Bundestagsbeschluss fraktionsübergreifend gefallen ist, darf seine Umsetzung als koalitionsunabhängige Angelegenheit erwartet werden. Bauminister Stolpe, der im Interview mit dem Tagesspiegel am 31. Juli erstmals konkrete Hinweise auf Inhalt und Entscheidungsreife des Schloss-Projekts gegeben hatte und dieser Tage nochmals in deutlichen Worten zur desolaten Situation des Schloss-Areals befand, es sei „an der Zeit, diesen Schandfleck endlich zu beseitigen“, wird die rote Einweihungskordel kaum mehr durchschneiden. Aber er könnte seine Amtszeit würdig damit beschließen, den Weg aufzuzeigen, wie die historische Mitte Berlins wieder zum Herzstück der Hauptstadt heranwachsen kann. Und das nicht irgendwann, sondern, wie es die Machbarkeitsstudie unmissverständlich sagt, ab sofort: mit dem Beginn von Ausführungsplanung und Finanzierung noch in diesem Jahr 2005.

Das wäre endlich einmal ein öffentliches Vorhaben, dem die derzeit bescheidene Wirtschaftslage zum finanziellen Vorteil gereichte.

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