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Kultur: Leben aus der Socke Gottes - Romeo Castellucci mit seiner Socìetas Raffaello Sanzios im Hebbel-Theater

Vielleicht hat alles so angefangen. Mit einer Predigt, mit Lust und Qual, mit Musik und schmerztollen Geräuschen, mit Gott und Lucifer.

Vielleicht hat alles so angefangen. Mit einer Predigt, mit Lust und Qual, mit Musik und schmerztollen Geräuschen, mit Gott und Lucifer. Romeo Castellucci kostet mit seiner Soc¡¤etas Raffaello Sanzio die konvulsivischen Zuckungen des Gebärens aus. Drähte, Schläuche, Stricke spenden Leben, vor Spiegeln und hinter Gläsern regt und bewegt es sich, klapperdürre und wonnig hochgepolsterte Gestalten ernähren sich von tropfendem Feuer, ein glühendes Schwert schwebt über der Bühne, Hitze und Kälte schaffen und regulieren mehlige Substanzen, die vom Himmel fallen oder mit Schaufeln in Käfige hineingeworfen werden. Ein Drahtmännchen am Proszenium spendet rasselnd Beifall, und im Bühnenhimmel hängt ein kleiner Wagen, von weißlich-nebligem Feuer ergriffen. Es ist die Welt mechanischer Kunststücke und hydraulischer Effekte, die man von der italienischen Kompagnie kennt, hochgeladen mit einer kindlichen Phantasie, die das Erhabene und das Lächerliche unbedenklich zusammenzwingt. So kommt das Leben aus einer Socke, der Socke Gottes, geheimnisvoll gefüllt mit einer mehrzinkigen Wurzel. Adam und Eva treten vorsichtig aus verschwimmendem Halbdunkel - nicht ins Licht, sondern in eine immer wieder verfremdete, unsichere, rätselhafte Existenz der Aquarien und Reagenzien. Castellucci macht Theater, stachelt seine Maschinen zu Höchstleistungen an, lädt den Zuschauer mit einer Spur Spott dazu ein, sich seine Geschichte zu bauen aus der Geschichte aller Geschichten - der Schöpfung.

Aber das Kind, das sich da mit überreichem Spielzeug vergnügt und wie nebenbei den Fundus von bildender Kunst, Literatur, Theater dieses und vergangener Jahrhunderte plündert, ist auch ein Philosoph: "Gott wird ständig geboren. Ich sage das als Künstler, und es ist nichts Mystisches daran." Oder: Warum wählt sich Lucifer, das Licht bringend, Madame Curie und das Radium? "Jenes Radium strahlt und kauterisiert zugleich meine Kunsterfahrung." Um solche Erläuterungen (auf einem leider schwer lesbaren rot-weißen Programmzettel), orgiastisch wildernd in erkenntnistheoretischen Dschungeln, ist Castellucci nicht verlegen. Zur Entschlüsselung seiner wuchernden Bilderwelten helfen sie wenig. Denn die sind zugleich, auf eine durchschlagende Weise, materiell. Wer kann diesen Bühnenapparaten mit ihren verschlungenen Leitungen widerstehen? Und die fallenden und steigenden Wurzeln, die wandernden Innereien, die festgesteckten Möhren und phantastischen sexuellen Symbole sollten ganz unbedenklich, heiter aufgenommen werden - das bewahrt davor, den raunenden, nicht wenig eitlen Texten des Regisseurs analytisch beikommen zu wollen. Was man annimmt von der Zauberei, dem Museum der Träume, muss jeder Zuschauer ohnehin für sich entscheiden.

Aber hier war bisher nur vom ersten Teil des Abends im Hebbel-Theater die Rede. Der zweite, "Auschwitz" genannt, bringt weißgekleidete Kinder auf die Bühne, die in verlangsamten choreographischen Abläufen ihre Vernichtung in den Gaskammern träumen, spielen, erleben, aus dem schon Jenseitigen in ein fahles Bühnen-Diesseits zurückholen. Der kleine Bub, der in einem Spielzeug-Zug Organe wegfährt, der mordende "Horror" im Schaffell, all die sich überkreuzenden Abläufe zwischen Angst, Flucht, Zuneigung, Widerstand, Ergebung muteten, sehr vorsichtig formuliert, seltsam an. Castellucci: "Du, oh Zuschauer, solltest nicht wissen, was du denken, was du sagen sollst." Ich sage, dieser Versuch, Auschwitz als End- und Gegenpunkt der Schöpfung von Kindern "spielen" zu lassen, hätte unterbleiben sollen. Dann, dritter Akt, Abel, Kain und zwei Hunde auf leerer, sandfarbener Bühne. Kain hat einen verkrüppelten Arm, erdrosselt den Bruder, geht auf Wanderschaft, hinein in die Geschichte der Menschheit. So offenbart sich der Brudermörder als Held. Kain ist, noch einmal der interpretationsselige Castellucci, "der erste aus Einsamkeit bestehende Mann". Und steckt dann die befruchteten Eier in die Uterus-Socke, den Strumpf Gottes, mit dem so vieles an diesem Theaterabend begann. In einem ersten Teil, dessen Frische und schöpferische Besessenheit dann in der vielstündigen Aufführung leider verlorenging.Wieder am 4., 5. und 6. 9., 20 Uhr.

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