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Kultur: Leben, ein Ritual

Regisseur Pablo Stoll über die Lust am Stativ, über Punkrock und die Angst vorm Älterwerden

Señor Stoll, wie kamen Sie darauf, „Whisky“ großenteils in einer Strumpffabrik anzusiedeln?

Unser Produzent arbeitete als Student in der Strumpffabrik seines Vaters, wo wir ihn oft abholten. Wir mochten die Absurdität des Orts, die Zeit war dort stehen geblieben. Es gab da unglaublich komplizierte Maschinen mit Unmengen von Nadeln, die einen Riesenlärm machten und unglaublich altmodische Strümpfe ausspuckten. Wir machten uns Gedanken darüber, wie es sein müsste, ein Leben lang in so einer Fabrik zuzubringen.

Und wie kommt man als junger Mensch auf die Idee, einen Film über alte, verhärmte Leute zu drehen?

Zunächst dachte ich an meinen eigenen Vater. Er war Ire, ging nach Ost-Berlin, das Leben hat ihm übel mitgespielt, er war ein unglücklicher Mensch. Jacobo, der Fabrikbesitzer, und Marta, seine Assistentin, haben in ihrem Unglück etwas sehr Rührendes. Sie tun jeden Tag dasselbe, ihr Leben ist ein Ritual. Sie würden sich jedoch nie eingestehen, wie sehr sie diese Rituale und vor allem einander brauchen. Und auch Jacobos Bruder Herman aus Brasilien ist einsam. Wir beiden Regisseure sind keine Brüder, wir sind nicht jüdisch und noch lange keine 60. Trotzdem verbindet uns etwas mit unseren drei Protagonisten, nämlich die Furcht, in 30 Jahren genauso einsam zu werden wie sie.

Die drei machen immerhin einen Kurzurlaub zusammen, im Badeort Piriapolis.

Piriapolis liegt 100 Kilometer südlich von Montevideo, die jüdischen Emigranten machten dort früher gerne Ferien. Es ist sehr französisch, gewissermaßen das Nizza Uruguays, seine Blütezeit erlebte es von 1910 –1930, jetzt ist der Ort ziemlich heruntergekommen. Die alten Leute fahren dorthin, und alle tun so, als seien sie immer noch in den Dreißigerjahren. Der Ort besteht nur aus Erinnerung, das passt zu unseren Filmhelden.

Die Kamera bewegt sich nie in „Whisky“.

Anfangs wussten wir nicht, wie wir die Geschichte drehen sollten. Juan Pablo Rebella und ich sind große Comic-Fans. Wir lieben dieses Geschichtenerzählen von Bild zu Bild. Was dazwischen geschieht, muss man sich selbst ausdenken: In einem Comic gibt es keine Kamerabewegung. Also bremsten wir unsere Kamerafrau Bárbara Álvarez aus, und später wurde es ein Sport des gesamten Teams. Selbst der Beleuchter schrie: Nein, bloß nicht bewegen! Für die Kamerafrau war das eine echte Herausforderung, denn Jacobo ist sehr groß und Marta sehr klein: Wie sollte sie die beiden etwa im Fahrstuhl gemeinsam aufnehmen?

Wir Europäer denken bei wortkargen Filmhelden und einer lakonischen Kamera sofort an Kaurismäki.

Wir in Uruguay auch. Es macht uns sehr stolz, wenn wir mit ihm verglichen werden. Er ist unser Idol. Aber wir selbst würden es nie wagen, uns mit ihm zu vergleichen! „Whisky“ ist eine sehr kleine, minimalistische Fabel. Also baten wir die Schauspieler, so gut wie nichts zu zeigen. Sie sind Theaterschauspieler und große Gesten gewohnt. Aber ich muss mich doch in meine Rolle hineinfühlen, beklagte sich der Darsteller von Herman anfangs. Okay, sagten wir, fühle so viel wie du willst, aber tu es bitte leise! Es war nicht einfach für uns Anfänger, den Profis Vorschriften zu machen. Wobei Mirella Pascual, die Darstellerin der Marta, die lange als Hausfrau und Mutter gelebt hatte, zum heimlichen Mittelpunkt wurde. Wir hatten eine Geschichte über zwei Brüder und eine Frau geschrieben, und sie machte einen Film über eine Frau und zwei Brüder daraus.

Wie sehr ist „Whisky“ eine Gemeinschaftsarbeit?

Juan Pablo und ich sind eher eine Rockband als ein Filmteam. Die Band, diese Gruppe von Freunden, mit denen wir auch unseren ersten Spielfilm „25 Watts“ drehten, gibt es seit zehn Jahren. Es ist wie Punkrock, jeder kann nur zwei, drei Akkorde. Aber man kann auch mit sehr einfachen Mitteln viele verschiedene Songs über die Liebe erfinden.

Wie finanziert man Filme in Uruguay? Wie sind die Produktionsbedingungen?

Die so genannte Filmindustrie ist bei uns eine kleine Familie. Es gibt allerdings eine große, avancierte Werbeindustrie, die für Amerika und Europa produziert. Wir haben dort alle viel gelernt. Es gibt kaum öffentliche Filmförderung in Uruguay, in einem guten Filmjahr entstehen gerade mal zwei Produktionen. Das hat einen Riesenvorteil, denn die öffentliche Aufmerksamkeit ist uns sicher. Jeder uruguayische Film ist in Uruguay ein echtes Ereignis. „Whisky“ hatte 50 000 Zuschauer, halb so viel wie „Harry Potter“!

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

PABLO STOLL , 30,

stammt wie Juan

Pablo Rebella, sein Regie-Partner, aus Montevideo, Uruguay. Gemeinsam drehten sie 2001 „25 Watts“. „Whisky“ ist ihr

zweiter Spielfilm.

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