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Kultur: Leben heißt Schweben

WETTBEWERB Christian Petzolds Film „Yella“ spielt zwischen Wahn und Wirklichkeit

Es ist schwer, über Christian Petzolds Filme zu reden, ohne an ihr Geheimnis zu rühren. Bei Krimis zu verraten, wer der Mörder ist, ist nicht so schlimm, die meisten sind harmlos. Christian-Petzold-Filme sind nie harmlos. Und „Yella“ erst recht nicht. Petzolds Germanistik-Magisterarbeit über den Dichter Rolf-Dieter Brinkmann trug den Titel: „Erkennen, Wiederholen, Auslöschen“. Irgendwie schreibt dieser Regisseur mit jedem Film seine Magisterarbeit weiter. Und es werden lauter dunkel strahlende Kristalle daraus. „Yella“ ist ein kongenialer Petzold-Film.

Im vorletzten Jahr waren seine „Gespenster“ der dritte deutsche Beitrag, und nicht wenige Kritiker hätten ihm den Goldenen Bären gegeben. Das Kino schafft Räume, die nicht ganz von dieser Welt sind – fiktive Räume also. Was aber, wenn wir alle in solchen Räumen leben und selber nur Halbwirkliche sind? Bei wohl keinem Gegenwartsregisseur schlägt diese Ahnung so durch wie bei ihm. Im Jahr 2005 schauten wir zu, wie zwei seltsam ortlose Mädchen in Berlin sich ihre eigene Welt schufen, in ihrer eigenen Wirklichkeitsblase wohnten.

„Yella“ variiert das auf wahrhaft gespenstische Weise, aber man sieht es ihm nicht gleich an. Auch Yella ist ein Gespenst, eine Halbwirkliche, eine Wiedergängerin ihrer selbst, aber ganz versteht man das erst am Schluss. Erst einmal scheint alles sehr real. Wittenberge zum Beispiel. Dort wohnt die junge Frau, in dieser längst gestorbenen kleinen Industrustriestadt an der Elbe. Wir sehen sie überaus real aus dem Zug steigen. Aber sie kommt anders an, als sie weggefahren ist. Denn sie hat jetzt einen Job in Hannover. Die bauen da Steuerungsmodule für Airbusse, und sie kommt in die Buchhaltung. Eben noch im Abteil hat sie das rote Hemd ausgezogen und den schwarzen Pullover übergestreift, denn es gibt keinen Grund, in Wittenberge in triumphalem Rot aufzufallen. Überhaupt ist Yellas Gang nicht der einer Frau, die einen neuen Job hat. Wenige Regisseure nehmen sich so viel Zeit wie Petzold, ihren Figuren beim Laufen oder beim Autofahren zuzusehen, und es wird jedesmal eine Aussage daraus.

Das Zentralste im Leben sind die Beiläufigkeiten. Nina Hoss läuft wie eine Verfolgte, die Schultern leicht angezogen, die Tasche vor den Körper gepresst. Diese Stadt und ihr altes Leben verfolgen sie. Und Ben. Ihr Mann hat auf sie gewartet und ruft von der anderen Straßenseite, dass er jetzt rüberkommen müsse wegen der Baustelle auf seiner Straßenseite. Man kann von Christian Petzold nicht erwarten, dass er uns erklärt, was zwischen diesen zwei Menschen passiert ist. Und von Hoss nicht, dass sie es uns sagt. Die beiden reden nicht viel. Hier haben sich – schon zum dritten Mal – zwei Minimalisten gefunden. Kein Zweifel, dieser Ben (Hinnerk Schönemann) hat den Gedanken nicht aufgegeben, auch künftig mit seiner Frau auf derselben Straßenseite zu gehen. Und noch etwas erfahren wir: dass Bens kleine Firma, Heizungstechnik, für die sie wohl die Buchhaltung machte, pleite ist. Aber Ben hat außer Schulden auch neue Pläne. Bens „Yella, ich liebe dich!“, gerufen auf offener Straße, ist nicht ohne Charme – aber in ihren Augen steht nur noch Angst. Darum zögert sie auch, in sein Auto einzusteigen, das am Morgen der Abfahrt nach Hannover statt des Taxis vor der Tür steht. Und wirklich, Ben fährt nicht zum Bahnhof, er biegt ab. Wenig später durchbricht ein Wagen das Geländer der Elbbrücke.

Und was macht Yella? Taucht auf, schwimmt zum Ufer, liegt kurz wie schlafend da – Ben neben ihr –, dann nimmt sie Koffer und Tasche und geht zum Bahnhof, klatschnass. Koffer und Tasche sind genau neben ihr angeschwemmt worden. Sollten die nicht im Auto auf dem Grunde der Elbe liegen? Bei anderen dürfte man Dilettantismus vermuten, bei Petzold sollte man solche Indizien im Auge behalten. Genau wie den Krähenschrei und das Rauschen der Weiden in den wenigen Ewigkeitsaugenblicken, als Ben und Yella am Elbufer liegen. Kein Mensch sollte sich durch einen Unfall sein neues Leben ruinieren lassen.

Dann trifft Yella eher zufällig diesen jungen Mann von einer Private- Equity-Firma. Eine buchhalterische Begleitung wie sie kann nicht schaden bei Geschäftsterminen. Die junge Frau aus dem Osten entdeckt die Welt des Venture-Kapitals. Die Situationen spielen ohne Übergang vom Glaublichen ins Unglaubliche hinüber. Philipp und Yella werden ein gutes Team, auch wenn er ein Betrüger sein sollte. Schließlich versucht auch sie, ihn zu hintergehen. Nur wenn Yella ihren Mann vorm Fenster stehen sieht oder im Flur ihres Hotelzimmers, fällt sie zurück in eine kreatürliche Weichheit und Beklemmung. Merkt sie nicht, wie ähnlich brutal dieser Philipp (Devid Striesow) reagiert, wenn sie seine Erwartung durchkreuzt? Aber Kontrollierbarkeit ist das erste Grundgesetz der modernen Welt. Nervosität und Rationalität. Oder ist der Traum eine Fortsetzung des Lebens oder das Leben nur eine Fortsetzung des Traums?

Ganz zum Schluss sind wir zurück in Wittenberge. Es ist nicht Petzolds erster Wittenberge-Film. In „Toter Mann“, seinem ersten Film nach der „Inneren Sicherheit“, war er auch schon hier. Wittenberge scheint ihm die richtige Besetzung zu sein für die postindustrielle Tristesse, das inwendige Reich aller Einsamkeiten.

Ich schreibe immer kleine Schwebezustände auf, und manchmal entsteht ein Film daraus, hat Christian Petzold gesagt. „Yella“ ist ein beklemmend real-irrealer Schwebezustand geworden. Nicht nur ein individueller, auch einer unserer Venture-Kapital-Welt.

Heute 12 und 23.30 Uhr (Urania), 18. 2., 19.30 (Berlinale-Palast)

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