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Kultur: Leben in Blumenau

In die neue Welt: Simone Blaschka-Eick zeichnet die Wege deutscher Auswanderer nach

Wenn beim Tango das Bandoneon erklingt, weiß jeder Tänzer, woher die Musik kommt: aus Argentinien. Doch nicht jeder weiß, woher das Instrument kommt: aus Krefeld. Dort ist es erfunden worden, und von dort bezogen Generationen argentinischer Musiker ihre Instrumente – bis der Krieg kam und selbst die Lieferung von Ersatzteilen aus Europa blockiert war. Doch zum Glück gab es deutsche Immigranten der zweiten Generation, die diese Marktlücke erkannten und alsbald eine Reparaturwerkstatt eröffneten wie die Handwerker Lebin und Jorge Weckesser.

Die Geschichte ihrer Familie erzählt – neben anderen typischen Lebensläufen deutscher Auswanderer – die Autorin Simone Blaschka-Eick in einem Buch mit dem verheißungsvollen Titel „In die Neue Welt!“ Mit diesem Sehnsuchtsruf waren zwar vor allem die Vereinigten Staaten gemeint, aber eine neue Heimat haben Deutsche im Lauf der Jahrhunderte auf allen Erdteilen gesucht und gefunden. Über 60 Millionen US-Bürger und Kanadier haben deutsche Wurzeln, fünf Millionen Brasilianer, eine Million Argentinier und fast ebenso viele Australier. Selbst an die Wolga und von dort bis Sibirien zogen zehntausende Deutsche, die „in Russlands unbewohnten Gegenden einen Garten Eden dachten“. Allerdings: Eine „Torheit“ sei das gewesen, schreibt ein enttäuschter Rückwanderer, der er im Vertrauen auf die Verheißungen der Zarin Katharina II. seiner Heimat einst den Rücken gekehrt hatte.

Land, Kredite und Freiheit vom Militärdienst waren den Deutschen versprochen worden, weniges davon wurde gehalten. Trotzdem blieben viele, und noch im 19. Jahrhundert entstanden weitere deutsche Siedlungen an der Wolga, auf der Krim, im Kaukasus und in Bessarabien. Nach der Revolution von 1917 regierte sogar ein deutscher Kriegsgefangener die deutsche Wolgarepublik – Ernst Reuter, der spätere Berliner Bürgermeister, der sich den Sowjets angeschlossen hatte. Diese Episode fehlt in dem an Episoden reichen Buch, das die Geschichte der deutschen Auswanderung nach Himmelsrichtungen sortiert – nach Westen, Süden, Osten – und sowohl summarisch wie in Einzelschicksalen nacherzählt. Das liest sich unterhaltsam, bleibt aber hinter umfassenderen Studien wie Knaufs und Morenos „Aufbruch in die Fremde“ (Edition Temmen, 2009) zurück.

Am eindrucksvollsten sind die Schilderungen von Anwerbung, Überfahrten und Anfangsschwierigkeiten der Auswanderer in die beiden Amerikas im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert. Damals war Auswanderung eine Reise ins Ungewisse, zumal auf Kontinente mit unerschlossenen Territorien und oft feindseligen Ureinwohnern. Manche Deutsche kamen auch unfreiwillig nach Amerika wie die 19 000 hessischen Söldner, die ihr Kurfürst an die britische Krone verkauft hatte. Über 4000 von ihnen starben im Kampf oder an Krankheiten, etwa 3000 liefen zu den Amerikanern über, die ihrerseits vier „German Battalions“ deutscher Ausgewanderter unter dem Kommando des ehemals preußischen Oberleutnants Steuben gegen die Briten aufboten. Damals gab es bereits 280 000 Deutsche in den Staaten, die meisten in Pennsylvania, wo ihre erste Siedlung Germantown schon 1689 Stadtrecht erhielt. Steuben, berichtet Blaschka-Eick, habe als Absolvent einer Militärschule Friedrich des Großen „den Amerikanern das schnelle Schießen beigebracht“. So schnell schossen die Preußen eben doch!

Vom „Tellerwäscher zum Millionär“ konnte man in USA allerdings erst im 19. Jahrhundert werden, als deutsche Auswanderer wie Johann Jakob Astor, der Ketchup-König Heinz, der Bierbrauer Anheuser oder der Klavierbauer Steinweg (Steinway) ihre Unternehmen schufen. So weit haben es nur wenige Deutsche in aller Welt gebracht, am ehesten noch in Südamerika, dem zweithäufigsten Traumziel deutscher Auswanderer. Auch hier siedelten früh – auf Wilhelm von Humboldts Empfehlung – deutsche Kolonisten, die ihrer Siedlung den heimatlichen Namen „Blumenau“ gaben. Den meisten dieser frühen Auswanderer ging es nämlich nicht um Integration, sondern um eine neue Heimat nach alten kulturellen und religiösen Mustern – nach heutigem Sprachgebrauch Parallelgesellschaften. Noch im 20. Jahrhundert verärgerten deutschstämmige Argentinier ihre Landsleute mit Hitlerpropaganda und einer NSDAP-Auslandsorganisation. Manche von ihnen kehrten sogar „heim ins Reich“, um schon kurz nach dem Krieg wieder in die alte neue Heimat zu remigrieren. So kurz waren die Wege zwischen alter und neuer Welt geworden.



Simone Blaschka-Eick
:

In die Neue Welt! Deutsche

Auswanderer

in drei Jahrhunderten,

Rowohlt Verlag,

Reinbek 2010.

220 Seiten, 24,90 Euro.

Hannes Schwenger

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