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„Murmeln hinter der Maske bedarf der schlussfolgernden Klugheit des Verstehenden.“

© Jan Woitas/dpa

Leben mit dem Mundschutz: Murmel, Murmel

Immer mehr Menschen tragen jetzt Schutzmasken. Gar nicht so einfach, sich noch zu verstehen. Anmerkungen zur pandemischen Ausbreitung des Nuschelns.

Testosterongeplagte männliche Jugendliche sind oft schlecht zu verstehen. Sie murmeln und maulen, sie achten nicht auf Artikulation, sie schauen einen ja auch nicht an, es ist ihnen auch egal, ob man sie versteht. 

Sie haben, zumindest untereinander, andere Mittel der Kommunikation als die Sprache: Sie klatschen ihre Hände aneinander, schubsen sich, knuffen sich, zeigen den Stinkefinger, lachen und schnauben Einsilbiges. Ihren Vätern und Müttern oder sonstigen Alten brummeln sie etwas entgegen, das diese dann irgendwie zu deuten versuchen.

Ebenso verhält sich das Fernsehen, jedenfalls bei vielen heimischen Krimis. Die Schauspieler artikulieren – wohl wegen des angestrebten Naturalismus? – undeutlich, sie sprechen ganz offensichtlich in großer Entfernung von Mikrofonen, und auf das Gemurmel wird zumeist noch ein ziemlich lauter Soundtrack gelegt.

Hintergründe zum Coronavirus:

Der Fernsehzuschauer muss sich im Wesentlichen mit den Bewegungen und Gesten der Darsteller begnügen, was der Interpretation des Gesehenen einen weiten Spielraum lässt. 

Wer war noch mal diese junge Frau, wieso weint sie so bitterlich, und welchen Verrat hat der böse alte Mann (das ist normalerweise Hanns Zischler) denn nun geübt?

Im Deuten jugendlichen und medialen Gemurmels sind wir also durchaus geübt. Jetzt aber fallen auch noch die letzten Reservate klar artikulierter mündlicher Rede im Alltag. Das Murmeln breitet sich aus. Der Mundschutz soll uns und unsere Mitmenschen vor möglichen Corona-Auswürfen schützen.

Mund-Schutz ist kein Schutz für den Mund, sondern vor dem Mund - lebensrettend und löblich. Aber er errichtet gleichzeitig eine nicht so leicht zu überwindende Schallmauer. 

Von hinter den Mundschützen (was ist der Plural von Mundschutz?) dringt oft Schwer- oder Unverständliches an unser Ohr. Durch Lautstärke lässt sich der akustische Verlust ein bisschen ausgleichen. Aber oft wird nur das Murmeln lauter, nicht das Gesagte verständlicher.

Gänzlich entfällt die Information, die beim normalen Sprechen die Intonation beisteuert: Ist das Gegenüber freundlich oder feindlich, traurig oder fröhlich? Die Stunde des Mundschutzes ist daher die Stunde der Gebärden, die das Gemurmel begleiten. 

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Von denen gibt es verschiedene Sorten, vor allem indexikalische und ikonische, zeigende oder nachahmende. Ich deute auf die Sorte Wurst, die ich erwerben möchte (Index). Mit zwei Fingern bilde ich die Zahl zwei ab (Ikon), weil ich zweihundert Gramm haben möchte. 

Dass es nicht zwei Scheiben oder zwei Kilo sind, ergänzt die Verkäuferin aus dem Kontext. Es ist ja eher unwahrscheinlich, dass der Kunde nur zwei Scheiben erwerben möchte, oder gleich zwei Kilo Fleischwurst braucht. 

Klar, dass der Interpretationsaufwand doch erheblicher ist, als wenn mein Satz „Zweihundert Gramm Fleischwurst“ klar und deutlich geäußert und verstanden worden wäre.

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Murmeln hinter der Maske bedarf also der schlussfolgernden Klugheit des Verstehenden. Schwieriger ist es, längeren sprachlichen Ausführungen zu folgen, zum Beispiel der Erklärung, warum ich diese Woche nur zweihundert Gramm brauche (weil meine Tochter mit ihrer Familie abgereist ist). 

Normalerweise würde ich das der Verkäuferin sagen, weil sie mich gut kennt und vielleicht verwundert schaut (aber da sie auch einen Mundschutz trägt, sehe ich die Verwunderung nicht).

Wir Lautsprachensprecher verfügen ja nicht über konventionelle gestuelle Zeichen wie die Gehörlosensprache. Aber auch diese ist mit Mundschutz schwer zu verstehen, vermutlich noch weniger als das Gemurmel der Hörenden, weil ja das Gesicht, das einen Teil der Gebärden trägt, nun großen Teils verdeckt ist.

Die Maske verdeckt das Lächeln, das Bitte und Danke

Zum Glück haben wir die Schrift. Bei klaren Anweisungen ist es nützlich, wenn wir die lesen können. „Liebe Mitmenschen, bitte bleiben Sie zu Ostern zu Hause, verreisen sie nicht und behalten Sie Ihren Mundschutz an.“ 

An dem Beispielsatz wird auch gleich klar, was der Mundschutz noch schmerzlicher verdeckt als die deutliche Sprache: das „Bitte“, also die emotionale Gebärde, die vor allem dem Mienenspiel vorbehalten ist. Die Maske verdeckt unser Lächeln, das die Bitte oder den Dank unterstreicht (auch den Zorn sieht niemand unter der Maske).

Es gibt nur wenige Gesten, die das freundliche Lächeln effektiv ersetzen. Wir können unsere Hände aufs Herz legen, sie bittend falten, aber es ist kein Ersatz für den lächelnden Mund. Auch die beim Lächeln hochgezogenen Augenbrauen taugen nur als schwache Andeutung.

Trägt das Modell „schimmernd bis an die Nasenwurzel“: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).
Trägt das Modell „schimmernd bis an die Nasenwurzel“: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).

© Ronny Hartmann/dpa

Der Mundschutz ist also nicht nur ein Tonverderber, sondern auch ein radikaler Gefühlsverberger. Vielleicht waren uns Europäern die mundgeschützten Asiaten auch deshalb etwas unheimlich, wenn sie hier – vor der Krise - in größeren Mengen mit Mundschutz auftraten. 

Welche Gefühle und Absichten hegen sie? Wir wussten ja nicht einmal, ob sie sich gegen uns schützten (was irgendwie beleidigend wirkte) oder umgekehrt uns vor sich.

Die Kostbarkeit ungeschützten Miteinander-Sprechen

Was geschieht nun, wenn wir den Mundschutz wieder abnehmen können? Viele Analysen weisen ja optimistisch auf das hin, was wir aus der Krise lernen können. Wir haben die Dienste all der Menschen besser schätzen gelernt, die unser Weiter- und Zusammenleben ermöglichen. 

Denen werden wir auch in Zukunft Dank und Wertschätzung entgegenbringen, sie hoffentlich auch besser bezahlen. Wir werden künftig auch besser auf den Nachbarn achten. Wieso wusste ich bis gestern nicht, was mein Nachbar von Beruf ist? Ich hatte ihn in all den Jahren nie danach gefragt. Jetzt haben wir endlich – in gebotener Distanz – ein kleines Schwätzchen gehalten.

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Und was sollten wir tun, wenn wir den Mund von seinem Schutz befreien? Auf jeden Fall klar und deutlich sprechen und dem Anderen entgegenlächeln. 

Vielleicht wird sich sogar der junge Mann um Artikulation bemühen, vielleicht wird auch das Fernsehen den musikalischen und artikulatorischen Mundschutz entfernen. 

Durch den Mundschutz erkennen wir, wie kostbar ungeschütztes Miteinander-Sprechen ist: An-Sprache und Ant-Wort. Antlitz ist etymologisch das Entgegenleuchtende. Das fehlt uns hinter der Maske. Es wird ein Glück sein, wenn Klarheit und Helligkeit wieder zurückkehren.
Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant lehrte von 1980 bis 2008 Romanistik an der FU Berlin.

Jürgen Trabant

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