zum Hauptinhalt

Kultur: Lebewohl, meine Bühne

Die Pekingoper und ihr größter Star: „Mei Lanfang“ gastiert an der Komischen Oper Berlin

Das düsterste Kapitel der jüngeren chinesischen Geschichte hat er nicht mehr erlebt. Mei Lanfang, ein Star der Peking-Oper in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, starb 1961, vor der Kulturrevolution. Diese machte auch der Kunstform, der Mei Lanfang sein Leben gewidmet hatte, fast den Garaus. Noch ärger erging es den zahlreichen regionalen Opernstilen; die Peking-Oper als gehobenes Unterhaltungstheater, bunt, beweglich, amüsant, war zu populär, als dass man auf ihre Möglichkeiten bei der Umerziehung des Volks verzichten mochte. Ein paar Modellstücke trugen diese weitgehend ohne Partitur gelehrte Kunstform weiter und zeigten auch, wie sich die traditionellen Stoffe aktualisieren ließen. Mittlerweile ist die Peking-Oper eine Kunstform, die vom klassischen Repertoire bis zur fernsehtauglichen Trivialisierung in allen Spielarten gepflegt wird, und deren Geschichte selbst zum Gegenstand ihrer Kunst werden kann.

„Mei Lanfang“ heißt das 2004 in Peking uraufgeführte Stück, das das Leben des chinesischen Sängerdarstellers verklärend in Szene setzt. Das Jingju Theater aus der chinesischen Hauptstadt gastierte damit nun zwei Tage in Berlin, in Zusammenarbeit mit der Komischen Oper und dem Haus der Kulturen der Welt. Die Inszenierung stammt von Chen Xinyi, Chinas bekanntester Theaterregisseurin, die Titelrolle spielt der Pekingopern-Star Yu Guizhi. Schon die Entstehungsgeschichte von „Mei Lanfang“ besitzt bewegendes Potenzial. Dessen Grab war während der Kulturrevolution zerstört worden, erst vier Jahrzehnte später wurde in Peking eine neue Grabstätte angelegt. Bei einer seiner zahllosen Wanderungen zu diesem Grab kam dem Leiter des Pekinger Kulturamts die Idee, die Gestalt des Sängers auf die Bühne zu bringen. Das Aufwachsen in einer der Darstellerdynastien, die frühe Spezialisierung auf die traditionell von Männern gespielten Frauenrollen, in denen er gerade auch von Frauen geliebt wurde, Auslandsreisen, Begegnungen mit internationalen Größen von Stanislawski über Brecht bis zu Chaplin, der Krieg und eine hoch dotierte Existenz in der jungen Volksrepublik – das ist reichlich Stoff.

Die Autoren des Stücks interessiert jedoch fast ausschließlich der Lobpreis und der Kampf gegen die Vereinnahmung durch die japanischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg. Der Konflikt ist interessant, wird aber für westliche Augen nicht bis ins Letzte verständlich: Mei Lanfang verdankte einen Großteil seines Ruhms der Bewunderung, die er auf Gastspielen in Japan erfuhr, erkennt jedoch im Krieg, dass die Bewunderer jetzt seine Feinde sind. Er weigert sich, vor den Besatzern aufzutreten. Die Frage, ob dieser Widerstand bis zum Ende anhielt, wird allerdings umgangen. Nachdem ihn auch ein Bart, der Frauendarstellungen unmöglich macht, nicht mehr vor den Zudringlichkeiten der Japaner schützt, flüchtet sich das Stück in eine nebulöse Apotheose, die fast wie die Folge eines sich aufopfernden Selbstmords anmutet, jedoch als Alkoholrausch verstanden werden will.

Zwei Szenen thematisieren die Verfremdungskunst, sie gehören zu den interessantesten des Stücks. Der Abschied von der Geliebten aus der RepertoireOper „Lebewohl, meine Konkubine“, Meis Lieblingsrolle, wird einmal zitiert als monströse, blutrünstige TravestieSchau, in der der als Sänger dilettierende japanische Oberkommandierende in Frauenkleidern seine moralische Unterlegenheit offenbart. Ein anderes Mal jedoch, wie in einem Spiegel der Erinnerung, ist es ein Zitat aus der klassischen PekingOper aus Mei Lanfangs besten Zeiten. In der Reflexion der eigenen Geschichte, die musikalisch und darstellerisch eine Tür in eine andere Welt öffnet, erreicht das Stück seinen Höhepunkt. Sonst dominiert die schlichte Sentimentalität eines guten Herzens in einer bösen Welt.

Musikalisch erscheint das mit heftigem Beifall aufgenommene Werk wie die sinfonisch aufgeplusterte Version einer Peking-Oper. Nach der Maxime „aus jeder Kultur das Beste“ greift Zhu Shaoyus Partitur westliche Filmmusik auf oder Puccini. Musik wie Stimmen erklingen mikrofonverstärkt, was unter anderem den absurden Effekt hat, dass die chinesische Kniegeige ständig über das Blech der Komischen Oper triumphiert. Vor allem aber verliert die Kunst der Sänger dadurch, dass die mittelmäßige Verstärkung die Feinheiten in der Modulierung des Tons zerstört und die Stimme gleichsam vom Körper trennt. Eine merkwürdige Praxis in einer Opernkunst, die mehr als die unsrige auf der Einheit von stimmlicher und körperlicher Darstellung basiert.

Martin Wilkening

Zur Startseite