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Kultur: Leerstand der Dinge

Wo die Hauptstadt verödet: eine Topografie des Scheiterns im Kreuzberger GSW-Hochhaus

Irgendwann konnte Hannes Wanderer die vielen Schilder nicht mehr übersehen, auf denen „Zu vermieten“ stand. Auf seinem Weg zum U-Bahnhof kam er jeden Tag an ihnen vorbei: Aufgegebene Geschäfte, leere Läden, für immer geschlossene Kneipen. Wanderer ist Profi in der Beobachtung der Waren- und Konsumwelten. Seit acht Jahren ist der Berliner Fotograf Mitinhaber einer kleinen Werbeagentur. Der Leerstand, die aus allen wirtschaftlichen Verwertungszusammenhängen herausgefallenen Räume mitten in der Stadt, fing an, ihn zu faszinieren.

„Diese leer stehenden Geschäfte überall, auch in gutbürgerlichen Gegenden, sind wie eine Art Schattenwelt, eine Parallelexistenz im wirtschaftlichen Getriebe der Stadt“, sagt er über diese blinden Flecken der Ökonomie. Gemeinsam mit Andreas Göx, einem befreundeten Fotografen, hat Wanderer diese „Schattenwelt“ exzessiv dokumentiert. Von April 2003 bis Juni 2004 sind Göx und Wanderer auf hunderten von Recherche-Spaziergängen durch Berlin gestreift und haben verwaiste Geschäfte aufgenommen. Über zweieinhalbtausend leere Läden in allen Bezirken, Größen und Preislagen – eine monomanische Ethnografie des Stadtraums, die mehr über Berlin erzählt als alle Erfolgsmeldungen aus der Wirtschaftsverwaltung und Machbarkeitsstudien von Stadtentwicklern. Entstanden sind über 12000 Bilder, einige davon sind jetzt im Foyer des GSW-Hochhauses in der Kochstraße zu sehen.

Die Langzeitrecherche der beiden Fotografen ist keine Schrulle. Das Ladensterben verändert Berlin. Allein rund um Kurfürstendamm und Tauentzienstraße müssen jeden Monat 30 Läden schließen, hat der Immobilienfachmann Gottfried Kupsch ausgerechnet – Folge schrumpfender Kaufkraft und eines rabiaten Verdrängungswettbewerbs. Keine andere deutsche Stadt hat so viele Einkaufszentren wie Berlin: 50 Shopping-Center mit insgesamt 915000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Allein im größten Einkaufszentrum Berlins, den Neuköllner Gropius-Passagen, werden auf 85000 Quadratmetern Waren und Dienstleistungen angeboten. Nach Berechnungen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin hat die Stadt damit die größte zentral gelegene Einzelhandelsfläche im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Für kleine Läden ist diese erdrückende Konkurrenz existenzbedrohend. Verschärft wird sie von der trägen Nachfrage. Für 2004 rechnet der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) wegen der anhaltenden Konsumflaute bundesweit mit mindestens 4500 Firmenpleiten und noch mehr stillen Firmenschließungen. In den Bildern von Wanderer und Göx sind die Spuren der Verlierer im Verdrängungswettbewerb zu besichtigen: Momentaufnahmen aus der Rezession, Reste gefloppter Geschäftsideen, Endmoränen bankrott gegangener Kleinstunternehmen.

Der Reiz der Fotoserie liegt in ihrem stur dokumentarischen Charakter: Kein Kommentar, keine Inszenierung, kein künstliches Licht. Auch keine Auswahl, die sich auf apart vergammelte Ruinen- Romantik kaprizieren und etwa die sterile Glätte unrentabel gewordener Kaufhäuser, geschlossener Bankfilialen oder einer abgewickelten McDonalds-Filiale verschmähen würde. Wanderer und Göx haben alles fotografiert, immer auf dieselbe Weise: Durch Glastüren oder Fenster hindurch, in der frontalen Draufsicht. Lauter menschenleere Räume, in denen ab und zu ein stehen gelassener Besen, eine Hängelampe, verloren herumstehende Stühle, ein übrig gebliebener Tresen, sinnlos aus der Wand hängende Kabelbündel oder ein halbes Dutzend verstaubter Spielautomaten Spuren menschlichen Lebens und Wirtschaftens andeuten.

Ein opulenter Bildband, der begleitend zur Ausstellung erschienen ist, dokumentiert hunderte dieser Aufnahmen aus verlassenen Soziobiotopen. Viele von ihnen erzählen Geschichten von improvisierten Inneneinrichtungen, die auf nicht minder abenteuerliche Geschäftsideen und ein bestenfalls semiprofessionelles Wirtschaftsgebaren schließen lassen – eine sehr berlintypische Ökonomie des Durchwurstelns. Daneben finden sich luxuriös ausgestattete Räume, sauber gekachelte Wände, Parkettböden, helle, klar designte Innenräume mit glatten, weißen Oberflächen oder einfach anonym effiziente Funktionsarchitektur. Lauter nicht mehr zu verwendende Geschäftsräume, die von fehlgeschlagenen Investments, nicht aufgegangenen Businessplänen, unterschrittenen Umsatzzielen, zu hohen Nebenkosten erzählen.

Es gibt auch Räume, die sehen aus, wie nach einem Bombeneinschlag: Marode, einstürzende Decken, abbröckelnde Wände, Trümmerberge in den Ecken, unidentifizierbarer Müll – aufgegebene Orte, an denen nur noch Tauben und Ratten hausen. „Wir haben Orte gesehen, die man in einer Großstadt der ersten Welt, in einem reichen Land wie Deutschland, nicht vermuten würde“, sagt Andreas Göx über diese Begegnungen mit zu Müllhalden mutierten Geschäftswohnungen. „Wenn in ganzen Straßenzügen ein Geschäft nach dem anderen schließt, beschleunigt das sicher den Absturz der Gegend.“

Für die beiden obsessiven Stadtforscher zerfällt Berlin seit ihrer Fotorecherche in viele Städte, Segmente, Ökonomien. Neben den Konzernzentralen am Potsdamer Platz und den Hauptquartieren der Unterhaltungsindustrie existieren ausgedehnte Parallelwelten, in denen die Rede von der Boomtown Berlin wie ein bizarrer Witz klingen muss.

GSW-Haus (Kochstr. 22, Kreuzberg), werktags 10–19 Uhr. Katalog: H. Wanderer, A.Göx: Time Out. Leere Läden in Berlin. 260 Seiten, Verlag Peperoni Books, 35.- €

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