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Kultur: Leerstelle Gegenwart

Museumschef Martin Roth über die Moderne in Dresden – und den Berliner Kunststreit

Herr Roth, ab heute ist Gerhard Richters Bild „Tante Marianne“ in der Dresdner Gemäldegalerie zu sehen, als Dauerleihgabe eines asiatischen Sammlers, der es 2006 in London ersteigert hat. Hat sich Richter in die Verhandlungen eingeschaltet?

Ich habe den Eindruck, dass das Thema „Tante Marianne“ für Gerhard Richter abgeschlossen ist. Ungeachtet dessen hat er, ob bewusst oder nicht, mit „Onkel Rudi“, „Tante Marianne“ und dem „RAF-Zyklus“ Zeitgeschichte geschrieben. Natürlich ist es für Dresden, wo diese Zeit fast völlig ausgeblendet wird, besonders wichtig, dass so ein Gemälde hier hängt.

Sie haben sich persönlich sehr um Gerhard Richter und das Bild „Tante Marianne“ bemüht. Auch, um eine gewisse Lücke bei der Nachkriegskunst in den Kunstsammlungen zu schließen?

Vor allen Dingen ging es mir um den Maler Gerhard Richter. Aber tatsächlich gab es die Hoffnung, dass durch Richters Präsenz in Dresden hier eine Debatte ausgelöst wird. Es gibt aus nachvollziehbaren Gründen, die mit der Situation der DDR zu tun haben, Lücken in den Sammlungen, was die Zeit nach 1945 betrifft. Wir haben ganz gute Werke der DDR-Kunst aus dieser Zeit, aber mehr nicht. Im neuen Albertinum, das wir 2009 eröffnen werden, wird dieser Sachverhalt gleichsam zur Diskussion gestellt.

Wollen Sie, wie in Berlin geschehen, mit Privatsammlern zusammenarbeiten, um die Lücken in der Sammlung zu schließen?

Zunächst einmal: Wir können Ausstellungen in Dresden noch Jahrzehnte aus den Beständen bestreiten. Wenn wir beginnen, Tiefenbohrungen in den Depots und Archiven vorzunehmen, wird man sich wundern, was da alles zum Vorschein kommt. Ich bin also nicht so sehr darauf angewiesen, auf Sammler zuzugehen. In Dresden arbeitet man traditionell lieber mit Künstlern zusammen. Max Hollein wurde neulich bei einem Vortrag in Dresden gefragt: „Was tun Sie für die Mäzene?“ Hollein antwortete: „Ihnen die Ewigkeit geben.“ Das stimmt. Wir können den Sammlern nichts bieten außer Räumlichkeiten, um ihre Kunst zu zeigen, und vor allem Ruhm und Ehre. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, Abhängigkeiten zu schaffen. Aber Dresden und Berlin sind auch nicht zu vergleichen.

Es gab im Rahmen der Diskussion um den Hamburger Bahnhof Kritik am Generaldirektor der Staatlichen Museen. Nun haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine ähnliche Struktur wie die Berliner Museen. Wie sehen Sie die Rolle eines Generaldirektors?

Ich wiederhole nochmals, dass Dresden und Berlin nicht zu vergleichen sind. Für den Dresdner Museumsverbund gilt, dass der Generaldirektor die Selbstständigkeit der einzelnen Museen stärken muss. Er muss moderierend wirken und sollte sich nicht von oben einmischen. Klar ist: Er verantwortet den Gesamtbetrieb und vertritt nach außen manchmal auch Planungen, die als Mehrheitsentscheidung zustande gekommen sind. Wir fällen in Dresden Entscheidungen allerdings möglichst im Konsens, auf einer Konferenz aller Museumsdirektoren. Schwierig ist es vor allem, wenn die Geschäftsverteilung nicht genau geklärt ist, ein Problem, das meiner Vorgängerin sehr zu schaffen gemacht hat.

Die Bilanz der Dresdner Museen ist hervorragend: 2006 konnten die Kunstsammlungen ihre Eigeneinnahmen um 58 Prozent steigern. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Dresden ist unglaublich erfolgreich, damit hatte keiner von uns gerechnet. Zuletzt gab es sogar Stimmen, die forderten, dass man aufhören solle, für Dresden zu werben, weil die Stadt den Ansturm nicht mehr verkraften könne. Das gilt auch für die Kunstsammlungen: Wir hatten vor zwei Jahren etwa 2,5 Millionen Besucher. Das lässt sich auf 2,7, vielleicht sogar drei Millionen steigern,wenn 2009 das Albertinum, der Mathematisch-Physikalische Salon und die Türckische Cammer und 2010 die Rüstkammer wiedereröffnet werden. Aber dann ist Schluss, allein aus Kapazitätsgründen. Ein besonders gutes Zeichen ist, dass auch die Luxusindustrie in Dresden wieder erstarkt ist, es gibt ein geradezu euphorisches Interesse an der Region, das über den normalen Kunstbesuch hinausgeht – man will die Gesamtatmosphäre, die etwas mit Qualität und Tradition zu tun hat. Die Besucher kommen wegen des Gesamtkunstwerks Dresden, weniger wegen einzelner Ausstellungen.

Sie beklagen ein gewisses Desinteresse an der Moderne in Dresden. Besteht nicht die Gefahr, dass die Stadt sich jetzt, wo mit der Frauenkirche und dem Grünen Gewölbe Touristenmagnete hinzugekommen sind, ganz auf Tradition und Geschichte fixiert?

Es ist leider so: In der Außenwahrnehmung werden Dresdner Künstler Leipziger, sobald sie mit der Karriere beginnen, und wenn sie Erfolg haben, werden sie Berliner. Das ist bei Eberhard Havekost so, auch bei Thomas Scheibitz. Das muss man akzeptieren. Es funktioniert nicht, dem Grünen Gewölbe einfach eine moderne Kunstausstellung entgegenzusetzen. Wer sich nur für Gegenwartskunst interessiert, soll in Gottes Namen nach Leipzig oder Berlin fahren. Ich möchte eine Zielgruppe ansprechen, die sich auch für größere Zusammenhänge interessiert. Das unterscheidet uns auch von der Diskussion, wie sie in Berlin derzeit um den Hamburger Bahnhof und die Kunsthalle geführt wird.

Apropos Tiefenbohrungen: Sie haben derzeit genug Anlass, tief in Ihre Archive zu steigen. Gerade haben die Wettiner, die 1999 eigentlich abgefunden werden sollten, weitere Ansprüche angemeldet …

Glücklicherweise haben wir relativ früh angefangen, externe Gelder für Forschungsprojekte über die eigene Sammlungsgeschichte zu akquirieren. Ich habe den Vertrag mit den Wettinern von 1999 bei meinem Amtsantritt gelesen und war schon damals so beunruhigt, dass wir mit Provenienzrecherchearbeiten begonnen haben. Ich verstehe nicht ganz, wie dieser Vertrag 1999 überhaupt zustande kam. Das war kein Vergleich damals, sondern eher ein Kaufvertrag. Und es herrschte ein unglaublicher Zeitdruck, das schnell über die Bühne zu bringen. Aber die Auseinandersetzung mit den Wettinern ist nur der eine Punkt. Auch im Bereich Beutekunst und bei Restitutionsforderungen jüdischer Alteigentümer war klar, dass wir dringend unsere Institutionsgeschichte erforschen müssen. Im 19. und 20. Jahrhundert haben die Dresdner Kunstsammlungen ein hartes Schicksal erlebt, da gibt es Forschungsstoff für Generationen. Provenzienzrecherche bedeutet jahrelange mühevolle Arbeit. Aber das Thema ist extrem wichtig, und wir sind dran.

Diese Recherchen haben gravierende Folgen: Gerade mussten Sie die Porzellansammlung, die im Herbst neu eröffnet wurde, für zwei Wochen schließen.

Es ist tatsächlich dramatisch. Wir haben die Porzellansammlung ein Jahr lang lahmgelegt. Wir haben den gesamten Leihverkehr abgesagt, aus Sorge, verklagt zu werden, weil wir angeblich Wettiner Eigentum außer Landes bringen würden. Und wir haben in manchen Häusern – wie dem Kunstgewerbemuseum – noch nicht einmal angefangen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin überzeugt, dass es unsere historische Verpflichtung ist, uns intensiv um die Frage privates Eigentum und/oder nationales Kulturerbe zu kümmern. Natürlich ist das Ausstellungsmachen, Sammeln und Publizieren wichtig. Aber wenn man einen Museumskomplex leitet, der demnächst 450 Jahre alt wird, dann ist es eher die Aufgabe, zu garantieren, dass unsere Urenkel noch das sehen können, was unsere Urgroßeltern gesehen haben.

Sie sind gerade als Kandidat für die Nachfolge von Klaus-Dieter Lehmann als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ins Gespräch gebracht worden. Was würde Sie an Berlin locken, was Sie nicht auch in Dresden haben?

Die Frage stellt sich für mich gar nicht, weil es eine rein mediale Debatte ist. Natürlich schmeichelt es der Eitelkeit, für so eine Stelle ins Gespräch gebracht zu werden. Diese Anerkennung tut gut nach den Anstrengungen der letzten Jahre. Aber Dresden ist absolut reizvoll. Es war und ist hier nie leicht, aber wir haben bei den Kunstsammlungen viel bewegt. Es ist wie beim Fliegen: Nur mit Gegenwind kommt man hoch. Ich kann in Dresden immer mit sehr viel Herzblut und sehr viel Ehrlichkeit arbeiten. Ich weiß, wofür ich mich so heftig engagiere, deshalb fühle ich mich hier äußerst wohl.

- Das Gespräch führten Christina Tilmann und Bernhard Schulz.

MARTIN ROTH,

geboren 1955 in Stuttgart, studierte und promovierte in Tübingen über die Geschichte des kulturhistorischen Museums. 1989 bis 2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am DHM in Berlin und u.a. zuständig für die Ausstellung „Bismarck – Preußen, Deutschland und Europa“.

1991 bis 2000 war er Direktor des HygieneMuseums in Dresden sowie 1995 bis 2003 Präsident des Deutschen Museumsbunds. Ab 1996 leitete er den Themenpark der EXPO 2000 in Hannover.

Seit 2001 ist Martin Roth Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden . Seit 2003 ist er außerdem Professor für Kulturpolitik und Kulturmanagement an der TU Dresden, seit 2005 Mitglied des Unesco-Kuratoriums „Welterbe Dresdner Elbtal“ .

Martin Roth lebt in

Berlin und Dresden.

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