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Kultur: Leinwand, Grill und blonde Haare

LITERATUR

Unter Lesern gilt Kiel als Ort von Flüchen und Ganovengeschichten. Dafür hat Feridun Zaimoglu gesorgt, der die Bewohner des Stadtteils Gaarden zu Protagonisten seiner Bücher „Kanak Sprak“, „Abschaum“ und „Koppstoff“ gemacht hat. Die Kanaks, wie sich die Figuren selbstbewusst nennen, fordern darin wortgewaltig einen Platz am Rand der deutschen Gesellschaft.

Würden sie in Zaimoglus neuer Kriminalkomödie „Leinwand“ auftauchen, hätten sie für jemanden wie Kommisar Seyfeddin Karasu wenig übrig. Seyfeddin beschreitet als „der erste eingedeutschte Türke“ die höhere Beamtenlaufbahn bei der Kieler Polizei. Er hat sich gut eingelebt. Selbst den latenten Rassismus seiner Kollegen hat er angenommen und bezeichnet Schwarze während des Verhörs gerne mal als „Wulstlippen“. Der Kommissar soll den Fund einer toten Frau in einem Waldsee aufklären. Der Körper ist in drei Leinwände gehüllt. Als ihn jedoch das fällige kunsthistorische Gutachten langweilt, beschäftigt er sich lieber mit dem Holzkohlengrill und seiner blonden Praktikantin.

Zaimoglus Buch ist in einer Drehbuchsprache geschrieben, die sich selbst vor der renitenten Wiederholung von Regiephrasen nicht scheut. Selbst die Sprache der in dem neuen Buch sehr wohl vorkommenden Jungdealer erinnert eher an die der Komiker Erkan&Stefan als an Zaimoglus frühere Sprachkunstwerke. Allein in dem Monolog eines Obdachlosen blitzt die politische Sprengkraft seiner Sprache auf. „Leinwand“ befriedigt deshalb weder die Hoffnung auf echte Ghetto-Literatur noch die auf einen richtig ausgewachsenen Krimi.

Feridun Zaimoglu, Leinwand. Rotbuch Verlag, Hamburg 2003, 149 S., 13,80 €.

Steffen Kraft

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