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Leipzig, Stadt der Buchkunst: Noch ein Viertel für die Grafik

Leipzig war lange die Stadt der Buchkunst. Heute profiliert sie sich als Zentrum für Druckereien und Restaurierung

Stolz reckt das putzige Männchen auf der großen Neonreklame aus den beschwingten Fünzigerjahren ein Buch in die Höhe: „Mehr lesen wissen können“. Doch das riesige Gebäude des Leipziger Komissions- und Großbuchhandels steht leer, ebenso wie die ruinöse Messehalle „BUGRA“ (Buchgrafik) aus dem 19. Jahrhundert schräg gegenüber. Genau dazwischen sitzt Birgit Peter in einem langgestreckten Klinkerneubau, der den Namen „Haus des Buches“ trägt. „Im Juni erwarten wir den 100000. Besucher“, sagt sie stolz. 15 Jahre nach dem Fall der Mauer gibt es in der einstigen „Buchstadt“ nicht nur die Reste einer großen Vergangenheit. Zwischen den Ruinen regt sich der Optimismus.

Birgit Peter organisiert im „Haus des Buches“ Lesungen, Ausstellungen, Diskussionen. „Im Sommer treten wir dem Verbund der Literaturhäuser bei,“ freut sich die zierliche rothaarige Frau, die bei Reclam Leipzig arbeitete und nach der Wende den Kiepenheuer Verlag leitete. Im nächsten Jahr wird sie vermehrt Sponsoren finden müssen, weil das Stiftungskapital des „Kuratoriums Haus des Buches“ zu drastisch gesunkenen Zinsen neu angelegt werden muss. 30 Millionen Mark hatte die Modrow-Regierung einst spendiert – zu wenig für ein eigenes Haus. Daher steuerte das Kuratorium acht Millionen Mark als Mietvorauszahlung zum „Haus des Buches“ bei, das der Börsenverein des Deutschen Buchhandels von 1994 bis 1996 auf den Trümmern des 1943 zerstörten Buchhändlerhauses erbaute. Dessen Büros sind zwar an Verlage, literarische Vereine sowie einige buchhandelsfremde Unternehmen vermietet, doch die Mieteinnahmen blieben hinter den Erwartungen zurück, so dass der Börsenverein einspringen muss.

Der „Treff für Bücherfreunde und Büchermacher“ ist auch ästhetisch ein Lichtblick im Grafischen Viertel, wo die meisten der einst 300 Verlage und über 100 Druckereien saßen. Seit das Quartier 1943 in einem Bombenangriff zu 80 Prozent zerstört wurde, prägen Brachen das Bild. Der Sozialismus riss großflächig für Plattenbauten ab, der Kapitalismus dann für Glaskästen. Lediglich in Zentrumsnähe wurden Stadtvillen restauriert.

Der Stadt schlottert die Vergangenheit als Zentrum erst des reichsdeutschen, dann des DDR-Buchhandels wie ein zu groß gewordenes Kleid um den Leib. Vergleichsweise gut haben sich nach der Wende die einst 50, jetzt knapp 80 Druckereien behauptet, darunter die traditionsreiche Offizin Andersen Nexö. Sie profitierten von den bis zu 90-prozentigen Investitionszuschüssen und sind wie der Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel an den Stadtrand gezogen. Auch das Zentrum für Bucherhaltung, das die beschädigten Kostbarkeiten der Anna Amalia Bibliothek in Weimar restauriert, überstand den Systemwechsel gut – anders als viele Verlage. Viele gingen bankrott, manche wurden an bundesdeutsche Eigentümer rückübertragen und dann geschlossen oder wie „Insel“ zu einer kleinen Repräsentanz.

Dank einer Gründungswelle ist Leipzig der größte Verlagsstandort in den fünf neuen Bundesländern. 82 Verlage, doppelt so viele wie vor 1989, brachten 2003 495 Titel heraus (München: 8527, Berlin: 6605, Frankfurt am Main: 3927). Das ist für Regine Lemke vom Landesverband des Börsenvereins ein Zeichen der Hoffnung, auch wenn es sich in der Regel um Kleinstverlage handelt.

Die größeren Unternehmen sind schnell aufgezählt. 125 Angestellte arbeiten bei dem seit 1995 in Leipzig ansässigen Klett-Schulbuchverlag. Das Bibliografische Institut beschäftigt derzeit 72 Menschen, die in zwei Obergeschossen eines Neubaus auf dem restituierten Brockhaus-Block die neue Brockhaus Enzyklopädie erarbeiten. Sechs Angestellte hat Reclam Leipzig, das dem schwäbischen Reclam rückübertragen wurde, jedoch weiterhin selbstständig Bücher produziert. Das Unternehmen sitzt in einer Etage des „Reclam Carree“, einem Neubau neben dem alten Verlagshaus, an dessen Gründerzeitschmuck sich nun mehrere Film- und Fernsehproduktionen erfreuen – für Brigitte Brück ein erfreulicher Wandlungsprozess. Die Stadt, sagt die für Wirtschaftsförderung zuständige Juristin, habe die traditionellen Branchen nach Kräften unterstützt – und seit 1994 verstärkt neue Medienunternehmen gefördert. „Leipzig lohnt sich!“ verspricht ein Plakat an ihrer Tür.

Seit jeher wurde in Leipzig in Lehrangebote für Berufe rund ums Buch investiert. Schriftsteller bildet das Deutsche Literatur Institut aus (früher Johannes R. Becher-Institut), Buchhändler, Verlagskaufleute, Buchbinder, Drucker lernen an der Buchhändlerschule. Hersteller und Buchwirte besuchen die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK), und an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) studieren Maler, Grafiker, Fotografen. Nirgendwo sonst gibt es so viele werdende Buchkünstler, -handwerker und -kaufleute. Die Verlage nutzen diesen Fundus gern. Ulrich Krämer, Generalbevollmächtigter Bildung bei Klett, lobt die Kontakte zur HTWK, Michael Faber vom Verlag Faber & Faber, der 1992 von Berlin nach Leipzig zog, die zu Künstlern der HGB und zu Druckereien. „Leipzig prosperiert – trotz einer Arbeitslosenquote von 20 Prozent“, sagt der Sohn des früheren Aufbau-Verlegers Elmar Faber. Die Investitionen in Ausbildung und Studium begünstigen Neugründungen von Verlagen, Grafikagenturen und Druckereien. Die Buchstadt wird dennoch Vergangenheit bleiben. Aber als Stadt der Buchkünste, als Kompetenzzentrum ist Leipzig auf dem besten Weg.

Jörg Plath

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