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In der Glashalle der Leipziger Buchmesse am vergangenen Samstag.

© Jan Woitas/dpa

Leipziger Buchmesse: Diskutieren geht vor inszenieren

Die politischste Messe seit langem - und eine mit einem riesigen Manga-Wimmelbild: Zum Abschluss der Leipziger Buchmesse.

Am Ende dieser fünf Leipziger Tage lässt sich nur schwer sagen, welches eigentlich das stärkste Bild dieser Buchmesse war. Das von der Eröffnung am Mittwochabend? Als das Publikum aufgefordert wurde, die schwarze Pappe auf jedem Sitz mit der Parole „Für das Wort und die Freiheit“ hochzuhalten, und dem sehr brav und fast geschlossen nachkam.

Oder eben das Bild, das die Hallen zeigten, bestimmt von den phantasievollen, oft aber einfach nur trashigen Verkleidungen der Manga-Jugend? Letzteres betont den Eventcharakter dieser Messe. Der aus Japan stammende Manga-Comic mitsamt seiner Marketingstruktur scheint ihr Wesen zunehmend auszumachen, vom Publikumszuspruch bis zu der inzwischen aus allen Nähten platzenden Halle 1. Was die Leipziger Buchmesse wohl für eine Veranstaltung wäre ohne die Manga Comic Convention und nur mit jungen Leuten, die sich für, sagen wir: Literatur oder gern auch digitales Lesen und Schreiben interessieren? Eine überschaubarere, trubelfreiere, ja, authentischere.

Neben dem Ungarn-Stand präsentierte sich Turkish Airlines...

Old-school-mäßig entscheidet man sich lieber für das erste Bild. Zumindest für das, was es unter anderem ausdrücken soll, nämlich dass diese Messe eine der politischsten seit langem war. Ob es so ein Bild wirklich braucht, so eine primär symbolische Aktion wie bei der Eröffnung, darüber lässt sich streiten. Sie weist ja überdies darauf hin, dass die gutgemeinten, wahren Worte, die bei Buchmesseneröffnungsreden Jahr für Jahr gesprochen werden, nicht mehr ausreichen. Nein, dass sich das Politische quasi von selbst einstellte, dafür reichte ein Spaziergang durch Halle 4, die vorher noch knapp 2000 Flüchtlinge beherbergt hatte. Hier präsentierten sich unter anderen die Österreicher mit einer großen Bühne und die Staaten aus Osteuropa mit ihren oft ungleich kleineren Ständen.

...und Ulrike Guérot sprach von "Anbiederung an die Türkei" und "Protofaschismus in Osteuropa

Da blickte einem das gute, mit Viktor Orbán sicher nicht sympathisierende Ungarn entgegen, auf einer Installation aus Holz mit den meist deutschen Übersetzungen von Imre Kertész, György Dragomán oder Filip Florian – und da wunderte man sich wieder einmal, dass Turkish Airlines Jahr für Jahr einen Stand bei dieser Messe bucht. Und genau gegenüber wurde im „Café Europa“ die aktuelle politische Lage vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise diskutiert.

Von „erbärmlicher Menschenchieberei“ sprach hier die Direktorin des European Democracy Lab in Berlin, Ulrike Guérot, von einer schrecklichen „Anbiederung an die Türkei“ nach dem EU-Abkommen mit dem Land wegen der Flüchtlinge, von „protofaschistischen Verhältnissen in Osteuropa“. Die bei der Eröffnung vielbeschworene Zivilgesellschaft dagegen sieht Guérot gerade von der EU hintergangen. 60 Prozent der Europäer seien für einen europäischen Humanismus, sagte sie, für ein zivilsatorisches Projekt zugunsten der Flüchtlinge, und diese Mehrheit würden die Institutionen der EU eben nicht mehr abbilden.

Winkler redete sich um alles mehr oder weniger herum

Man hätte Guérot gern mit Heinrich August Winkler diskutieren sehen, der sich in seiner Preis-Dankesrede gewissermaßen aus allen Affären geredet hatte (Flüchtlinge ja, aber bitte mit politischem Rückhalt in der Bevölkerung – die etwa in Sachsen-Anhalt gerade zu einem Viertel der flüchtlingsfeindlichen AfD ihre Stimme gegeben hat). Aber schon eine Diskussionsrunde bezeichnete die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Migration Christine Langenfeld den Türkei-Deal als die „momentan einzige Möglichkeit“, in der Flüchtlingsfrage voranzukommen. So ging es hin und her - so passte es sogar in dieses Bild der politischen Buchmesse, dass kaum Politiker von Rang Erinnerungsbücher vorstellten, dass überhaupt der Glam-, Promi- und Halbpromi-Faktor außergewöhnlich niedrig war und "nur" die Literaturstars des Bücherfrühlings wie Juli Zeh, Thomas Glavinic oder, ganz neu in dieser Szene, obwohl schon ewig dabei, Guntram Vesper, wegen seines mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Romans "Frohburg", ihre Bücher vorstellten. Die Messe hatte dieses Mal ihren selbstgewählten Auftrag viel besser erfüllt als bloß mit dem Manga-Schaulauf in den Gängen. Diskutieren ist doch besser als inszenieren.

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