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Treppauf, treppab. Die Glashalle der Neuen Leipziger Messe im Buchdesign. Foto: dpa

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Leipziger Buchmesse: Verdammt, ich les’ noch

Bascha Mika, Walter Kohl und das E-Book: Zum Abschluss der Leipziger Buchmesse.

Ganz kurz fuhr der Schreck in die Glieder der Mitarbeiter des Deutschen Taschenbuchverlags (dtv), als Verlagsleiter Wolfgang Balk nach seiner Ansprache bei der dtv-Lesenacht den ersten Gast ankündigte: Wolf Wondratschek. Denn es blieb zunächst leer auf der Bühne des „academixer-Kellers“ in Leipzigs Kupfergasse. Hinter dem Vorhang war zwar Bewegung, aber irgend etwas hakte. Es dauerte, bis der Vorhang sich zur Seite schieben ließ und Wondratschek erschien.

Der Grund für den kleinen Schreck der Verlagsangestellten: Ein paar Tage zuvor erst hatte Wolf Wondratschek eine ihm und seinem Roman „Das Geschenk“ gewidmete einstündige Radiosendung des Bayrischen Rundfunks kurz nach der Begrüßung einfach sausen lassen, weil er nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als „Literaturrebell“ angekündigt worden war. Das Rebellische in Wondratschek, der Hang zur Verweigerung, all das steckt also weiterhin tief in ihm drin. Doch Wondratschek absolvierte seinen Auftritt im „academixer-Keller“ freundlich, souverän und routiniert, letztendlich so, wie er es an diesem Messefreitag sowieso schon mehrmals getan hatte – und eben nicht anders als seine weniger rebellischen, aber ähnlich professionellen Kollegen und Kolleginnen in den vier Tagen dieser Leipziger Buchmesse 2011.

So fühlte man sich manchmal an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erinnert. Wenn etwa Bascha Mika am Freitag erst im „Leipzig liest“-Forum, dann auf dem Blauen Sofa und schließlich am „taz“-Stand Erläuterungen zu ihrer Streitschrift „Die Feigheit der Frauen“ abgab – und auch einen Abend später noch frohgemut bei der „Langen Buchnacht“ des MDR die immer gleichen Fragen immer gleich beantwortete.

In dieser Runde saß auch Arno Geiger, sprach zum x-ten Mal über die Demenz seines Vaters und wirkte in seinem stets grünen Hemd genauso frisch wie am Buchmessendonnerstag, als er sich erstmals präsentieren musste als einer der Nominierten des Leipziger Buchpreises. Gerade aus Wien angekommen, hatte Geiger da schon seine Strategie parat, wie er am besten den vielen Interview- und Fotowünschen nachkommen würde: „Stehen bleiben, freundlich sein. Und gar nicht lange diskutieren, warum etwa dieses Foto wieder gemacht werden muss. Das Diskutieren und Begründen, warum man jetzt gerade nicht will, ist nämlich ist viel anstrengender und zeitraubender.“

So wie Arno Geiger dürften sich viele Schriftsteller vorher gewappnet haben, wohlwissend, dass es nicht zuletzt um den Verkauf ihrer Bücher geht und eine Buchmesse ein idealer Schaulauf-Parcours ist. Und genau das will die Leipziger Buchmesse sein: eine Messe fürs Publikum, für die Schriftsteller und ihre Bücher. Ein Event, der zwar als Branchentreff taugt, der Trends sichtbar macht, der auch das Rauschen der japanischen und der Welt-Wirklichkeit zumindest von fern vernimmt, dem es aber auch um Besucherrekorde geht (163 000 dieses Jahr, 6000 mehr als im Vorjahr). Und der sich immer in sein eigenes Recht setzt. Ein Matthias Reim („Verdammt ich leb noch“), eine Veronika Ferres („Kinder sind unser Leben“), ein Walter Kohl oder ein Clemens J. Setz, der eine Obertongesangseinlage gibt, sorgen am Ende doch für mehr Aufsehen als der Preis der Literaturhäuser an die Dichterin Elke Erb, der Leipziger Buchpreis an Setz oder die täglichen Auftritte serbischer und kroatischer Autoren weit draußen im Forum Südosteuropa in Halle 5.

Wiewohl gerade Walter Kohl tatsächlich eine Klasse für sich ist: physiognomisch sehr an seinen Vater Helmut erinnernd, begab sich der 48-Jährige ebenfalls von Sofa zu Sofa und in jede Arena und stand aufgeräumt Rede und Antwort zu seinem therapeutischen Lebensaufarbeitungs- und Sachbuchbestseller „Leben oder gelebt werden“, mithin zu Vater Helmut und Mutter Hannelore. Diese Aufgeräumtheit aber verdankt sich vermutlich nicht nur dem Buch, sondern jahrelanger Psychotherapie. Kohl benutzt ein Vokabular, das sehr an gesprächs- oder verhaltenstherapeutische Sitzungen erinnert. „Auf dem Weg der Versöhnung“ befinde er sich, von einer Abrechnung mit dem Vater könne keine Rede sein. Er hätte seinen „inneren Frieden“ machen und „Kraft finden wollen, denn Kraft ist immer die Quelle von Lebensfreude“. Wie „ein offenes Buch“ sei sein Vater für ihn gewesen – eindrücklich offen aber präsentierte sich auch Kohl junior.

Nicht weniger eindrücklich zeigte sich wieder einmal der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer, der dieses Jahr für diverse Medien im Berichterstattungseinsatz war und überdies als Laudator für die Alfred-Kerr-Preisträgerin Ina Hartwig glänzte. Seine schöne, emphatische Rede auf die Preisträgerin, die viel von einer Erzählung hatte (einer wie Meyer kann eben nicht aus seiner Haut), war nicht nur eine Liebeserklärung an die Literaturkritikerin Hartwig. Vielmehr entpuppte sie sich als Liebeserklärung an die Literatur, an Jean Genet, Marcel Proust, Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald. Über all diese wollte Meyer mit Hartwig bei ihrer Erstbegegnung auf der Leipziger Buchmesse 2005 lange und intensiv gesprochen haben, was man ihm aber angesichts des Trubels und der üblichen, an das Zappen vor dem Fernseher oder Computer erinnernden Messerundgänge kaum abnehmen mochte.

Insofern war während der Messetage auch mehr von der leider schlecht besuchten FVA-Verlagsparty in Plagwitz die Rede als etwa von den Büchern der Buchpreisgewinner Setz oder Henning Ritter. Oder vom vermeintlichen Siegeszug des E-Books. Auf 0,5 Prozent Umsatz am deutschen Gesamtbuchmarkt hat es das E-Book 2010 gebracht, verkündete der Börsenverein des Deutschen Buchhandels kurz vor der Messe in einer Mitteilung. Er weiß aber auch: „2011 wird auf dem Markt der eigentliche Durchbruch für das E-Book kommen.“ Und: „35 Prozent der Verlage sind bereits mit E-Books aufgestellt, und 80 Prozent werden nach eigenen Angaben in den kommenden Jahren E-Books anbieten.“

Zu sehen war davon in Leipzig naturgemäß nichts. Genau so wenig aber auch von vielen Menschen, die ihr Kindle oder iPad benutzten oder offensichtlich mit sich herumtrugen. Trotzdem sind sich alle einig: Die Digitalisierung schreitet voran, und in vier, fünf Jahren soll der E-Book-Umsatz 15 Prozent auf dem Gesamtbuchmarkt betragen. Das hat schon jetzt einschneidende Auswirkungen auf den Buchhandel, und das wird bald Auswirkungen auf die Verlage, ihre Vertriebsstruktur und mit Abstrichen auch auf ihre inhaltliche Arbeit haben. Die Digitalisierung der Branche dürfte aber die Beliebtheit einer rundum analogen Veranstaltung wie der Leipziger Buchmesse kaum negativ beeinflussen. Denn auch im E-Book-Zeitalter wollen Dichter noch angefasst, gehört, um Autogramme gebeten und bewundert werden, und Promis und Semipromis sowieso.

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