zum Hauptinhalt

Kultur: Leitbild Metallbaukasten

Heißes Eisen: Bei der Berliner S-Bahn über Denkmalschutz zu sprechen, ist inzwischen ein fast absurdes Unterfangen.In den letzten zehn, fünfzehn Jahren haben Senat und Bahn so gründlich aufgeräumt, daß aus dem einst für seine vielen aufregenden Geschichtsspuren gerühmten Verkehrsmittel ein x-beliebiges Transportsystem geworden ist.

Heißes Eisen: Bei der Berliner S-Bahn über Denkmalschutz zu sprechen, ist inzwischen ein fast absurdes Unterfangen.In den letzten zehn, fünfzehn Jahren haben Senat und Bahn so gründlich aufgeräumt, daß aus dem einst für seine vielen aufregenden Geschichtsspuren gerühmten Verkehrsmittel ein x-beliebiges Transportsystem geworden ist.Was die Bahn unter dem wohlklingenden Begriff "Denkmalschutz" versteht, zeigt sich eindrucksvoll am Bahnhof Friedrichstraße: Im Innern wurden alle Spuren beseitigt, von der Dachkante bis teils zum Untergeschoß.Zugleich aber baut man die Terrakottafassaden aus der Zeit um 1920 nach, die längst verschwunden waren.

Ein Blick auf die im vergangenen Jahr neueröffneten S-Bahnhöfe kann mit Denkmalperspektive nur am Rande noch zu tun haben.So tilgte man die Bahnhöfe SpandauWest und Spandau restlos - mit Ausnahme des Bürozwecken dienenden Empfangsgebäudes vom Bahnhof Spandau -, auch alle Brücken wurden abgerissen.In Heiligensee und Schulzendorf rekonstruierte man immerhin die aufwendigen hölzernen Tragkonstruktionen der Dächer wie sie bei der Berliner S-Bahn recht selten sind.Leider wurden sie dann jedoch in traurigem Braun gestrichen.Braun schimmern auch die kleinen rechteckigen Fliesen, mit denen die Bahnsteige bedeckt sind.Das traditionelle Kleinmosaikpflaster, ein Markenzeichen der Berliner S-Bahn-Perrons (Bahnsteigs), muß doch angeblich beseitigt werden, weil es so unfallträchtig ist, daß schon tausende Berliner darüber zu Tode gestürzt sind? Braun sind gleichwohl auch die Geländer der Treppen.Die Treppenhäuser selbst wurden, wie die Zugangstunnel, die mit ihren Gewölben und Relieffeldern vom Expressionismus der frühen zwanziger Jahre zeugen, in unappetitlichem Olivgrün getüncht.

Am anderen Ende der S 25 verfiel man zumindest farblich in das entgegengesetzte Extrem: Der karge Bahnhof Osdorfer Straße wirkt noch ärmlicher, weil sich die spärliche Bahnsteigmöblierung in einem Einerlei von Grau und Weiß darbietet.Farbige oder dunkle Lampenmasten hätten Abwechslung auf dem unüberdachten Bahnsteig gebracht.Stattdessen ließ man die Masten so bearbeiten, daß ihr nacktes Metall von vornherein fleckig aussieht.

Blankes Metall ist große Mode: Was jedem x-beliebigen Einkaufszentrum recht ist, ist der Bahn, die so gern zum von Kaufhaus zu Kaufhaus verkehrenden Flugzeug mutieren würde, bei kleinen wie großen Stationen billig.Vor allem gebürsteter Stahl taucht allerorten auf, auch bei der BVG und in anderen Städten, selbst bei der sonst ästhetisch vorbildlichen Münchner U-Bahn.Womöglich handelt es sich um eine Spätwirkung postmoderner Verachtung für jeglichen Gedanken an Funktionalität: Ob gebürstet oder poliert - blanker Stahl wirkt nur nobel, wenn man ihn unablässig putzt.Diesen Pflegeaufwand können Bahnbetreiber aber nicht leisten, schon gar nicht in einer Stadt, in der die Verwahrlosung des öffentlichen Raums so fortgeschritten ist wie in Berlin.Also bleiben Flecken, Spuren herabgelaufener Flüssigkeiten und von Fußsohlen, Kratzer oder auch Schmierstreifen von nachlässiger Reinigung auf dem schönen Metall - und fallen mehr ins Auge, als wenn man es lackiert oder eingefärbt hätte.Schnell schlägt so das Ergebnis in das Gegenteil des Beabsichtigten um: Statt besonders edel und rein sieht das Blech besonders schäbig und schmuddelig aus.Man kann dies überall an den als Blechkisten gestalteten neuen Aufsichtshäusern sehen, ob in Pichelsberg, Spandau oder Lichterfelde Süd.

Wenn es denn überhaupt noch Aufsichtshäuser gibt: Wo noch vor wenigen Jahren, insbesondere als noch die Senatsbauverwaltung zuständig war, überzogener Aufwand getrieben und kurzfristigen Moden gefolgt wurde, hat nun eine nahezu primitiv wirkende Askese Einzug gehalten.Beim ganz neuen Bahnhof Osdorfer Straße beispielsweise ist der Zugang ein in den Bahndamm geschnittenes, nicht weiter gestaltetes Loch, dahinter ein simpler Gang, der zu einer Treppe führt, auf dem Bahnsteig nur ein paar Drahtstühle, Automaten, Infotafeln.In Hennigsdorf wurde das im klassisch-modernen Stil gehaltene Empfangsgebäude abgerissen.Vom Bahnsteigtunnel aus scheint es, als endete dieser im Nichts.Erst wenn man aus der Röhre heraustritt, sieht man die Geschäftsbauten, die links und rechts des Zuganges errichtet wurden, miteinander verbunden durch ein Dach.Da dieses sich jedoch über dem zweiten Stockwerk befindet, bietet es keinerlei Schutz vor Wind und Wetter.Von Service der Bahn ist wenig zu erkennen, auch nicht von durchdachter Bahnhofsarchitektur.

Wo sie ausgemacht werden kann, scheinen sich am neuen Südende der S 25 Dekonstruktivismus und die Klobigkeit der siebziger Jahre zu vereinen.Kaum zu glauben, zu welch filigraner "Gewächshausarchitektur" man vor rund hundert Jahren fähig war: Die rekonstruierten Treppenschutzhäuser auf den benachbarten Stationen Lankwitz oder Südende bezeugen es noch.Ihre heutigen Nachfolger in Osdorfer Straße und Lichterfelde Süd hingegen sind wuchtig aus breiten Stahlprofilen zusammengesetzt, Schrauben und Muttern ragen hervor, als neckische Spielerei haben sie Pultdächer erhalten, die sich mal nach links, mal nach rechts neigen.Die Querträger des Daches am Bahnhof Lichterfelde Süd weisen große runde Löcher auf.Das ästhetische Leitbild für diese Stationen scheint der Metallbaukasten gewesen zu sein.Wirken die Handläufe in Schulzendorf und Heiligensee auch schwer und klobig, so haben sie doch immerhin den Vorteil, daß sie auch die Beleuchtung aufnehmen.In Lichterfelde Süd und Osdorfer Straße dagegen installierte man eine Lichtröhre über die Treppen und befestigte sie so an mal breite, mal schmale, Dreiecke bildende Schnüre, daß der gesamte Raum zugehängt wird.

Immerhin: Nicht noch mehr Muttern und Schrauben wie schon bei der Installation von Uhren, Zugzielanzeigern oder Schildern.Bei letzteren bleibt übrigens ein Geheimnis der Bahn, warum sie einerseits geradezu zwanghaft alle historischen Bahnhofsschilder auf den Müll wirft, andererseits aber zwei verschiedene Systeme installiert: Auf dem neuen Bahnhof Spandau findet man das violette (eine Farbe, die man eher mit der Frauenbewegung oder der evangelischen Kirche assoziiert als mit der Bahn) in der Schalterhalle und auf den Fernbahnsteigen.Auf dem S-Bahn-Perron hingegen - wie auf den neuen Bahnhöfen der S 25 - weiße Schilder mit blauem Rand.Auf der Stadtbahn wiederum wurde auch bei der S-Bahn das violette, sehr neckisch und sehr modisch wirkende System angewandt.

JAN GYMPEL

Zur Startseite