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Kultur: Lesben-Filmfestival: Guten Morgen, du Schöne

Das homosexuelle Kino wird immer vielfältiger und anspruchsvoller. Vorbei die Zeiten, in denen das Lesben-Filmfestival eine bescheidene Auswahl aus amerikanischen Independents und Amateurvideos zusammenklaubte.

Das homosexuelle Kino wird immer vielfältiger und anspruchsvoller. Vorbei die Zeiten, in denen das Lesben-Filmfestival eine bescheidene Auswahl aus amerikanischen Independents und Amateurvideos zusammenklaubte. Längst nehmen Regisseurinnen die Liebe unter Frauen auch kinematografisch ernst - Filmemacherinnen aus Europa, den USA, aus Kanada und aus Asien. Und vom Klischee der gepiercten Butch mit Kurzhaarschnitt in Ledermontur sind sie mittlerweile so weit entfernt wie nie zuvor. Kesse Väter sind im jungen lesbischen Kino - fast - passé; stattdessen erobern zunehmend feminine, modisch elegante Frauen die Leinwand. Ja, bei den schwindenden Unterscheidungsmerkmale zwischen homosexuellen und heterosexuellen Frauen mag das Publikum sich fragen: Was ist eine Lesbe überhaupt? Etwa auch eine Familienmutter, die im Traum einen Orgasmus mit ihrer besten Freundin hat?

Die Kurzfilme des bevorstehenden Festivals im Berliner Arsenal-Kino verzichten auf eindeutige Antworten. In "Entrevue" zum Beispiel bleibt es offen, wie ernst es der adretten Verführerin mit ihrer Liebsten ist. Allein wichtig ist die spontane Orgie im Café, die sich in ihren Gedanken ausgerechnet während eines Bewerbungsgespräches abspielt. Küssen, Umarmen, Begehren: Ob aus dem Flirt der beiden Schönen, die sich später zufällig auf dem Flur wiedersehen, mehr wird? Ähnlich frei arbeitet Stephanie Abramovich in ihrer israelischen Produktion "Watching You": Anhand dreier Lebensläufe demonstriert sie, wie fließend die Grenzen zwischen Homo- und Heterosexualität sind.

Sharon, Mutter eines Sohnes, hatte ihr Coming Out offenbar erst während oder nach einer gescheiterten Ehe. Bei ihrer Freundin dagegen deutet nichts darauf hin, dass Sex mit Männern je ein Thema war. Genervt von deren Besitzanspruch sucht Sharon mit der Kamera ein neues Objekt der Begierde. Ihre Nachbarin, eine zerbrechliche Schönheit mit blonden Korkenzieherlocken, hat es ihr angetan. Dass Michal mit einem Mann zusammenlebt, scheint sie in ihren Absichten nicht zu stören. Und tatsächlich überwirft sich Michal in einer magischen Nacht mit ihrem Freund und entdeckt ihre Lust für das eigene Geschlecht.

Ganz auf das formal Experimentelle setzt Michelle Citron: In "Cocktails & Appetizers" montiert sie Momentaufnahmen begehrlicher Blicke und Posen im flotten MTV-Stil. Und doch ist das keine selbstverliebte Spielerei - schließlich entstehen die Schnappschüsse bei der ausgiebigen Fotosession zweier Freundinnen, deren exhibitionistischer Flirt auch die Sinne der Zuschauerin weckt. Optisch beeindruckt auch der nur dreiminütige deutsche Stummfilm "Mit Mir" von Kerstin Cmelka. Sie zeigt eine Frau beim Liebesakt mit ihrem Spiegelbild. Ihre Bilder sind mit Unschärfen und doppelter Belichtung von großer Suggestionskraft.

Dennoch: Auch in Zeiten wachsender Toleranz bleibt das Coming Out ein langwieriger Prozess, zumal der gesellschaftliche Druck in anderen Kulturen nicht nachlässt. So erzählt etwa "Petals" von der wahren Begebenheit zweier Inderinnen, die sich 1999 vor einen Zug stürzten, weil sie keine Kraft fanden, weiter für ihre Liebe zu kämpfen. Suresh Natarajan mag seine Geschichte konventionell und linear erzählen - wichtiger für das konservative Indien ist, dass seine Sympathie von Anfang an den Mädchen gehört, die sich vor der Kamera sogar küssen dürfen. Seine Kritik gilt unmissverständlich den unerbittlichen Eltern, die auf standesgemäße Heirat drängen.

Als vor 17 Jahren eine kleine Gruppe von Frauen das Lesben-Filmfestival gründete, waren solch traurige Geschichten noch die Regel. "La répétition", Abschlussfilm und zugleich einer der stärksten in der Geschichte des Festivals, endet nicht gerade heiter, aber immerhin sterben muss die Heldin nicht. Catherine Corsinis subtiles Psychodrama ist großes Gefühlskino frei nach Wedekinds "Lulu": Der femme fatale, hier Frankreichs Kino-Schönheit Emmanuelle Béart, ist in diesem Film Pascale Buissières verfallen, aktiv als leidenschaftliche Verführerin. Ein faszinierender Film - und spannend wie ein Thriller von Chabrol.

Kirsten Liese

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