zum Hauptinhalt

Kultur: Lesen geht durch den Magen

Bekanntlich ist die französische Küche längst nicht mehr das Maß aller Dinge – genauso wenig wie die französische Literatur. Ausnahmen aber bestätigen die Regel.

Bekanntlich ist die französische Küche längst nicht mehr das Maß aller Dinge – genauso wenig wie die französische Literatur. Ausnahmen aber bestätigen die Regel. Sie heißen Jean Echenoz, Cécile Wajsbrot oder Jean-Philippe Toussaint . Bei Letzterem gehen Literatur und Essen sogar eine produktive Allianz ein.

Angefangen hatte es damit, dass zwei Künstler, anstatt die Küche zu streichen, ein halbes Dutzend Tintenfische häuteten. Das absurde Arrangement passte zur Geschichte eines jungen Mannes, der seinen Lebensmittelpunkt in „Das Badezimmer“ verlegt hatte. Im „Photoapparat“ sollte die Realität durch „wiederholtes Anstürmen“ zermürbt werden, wie man „eine Olive mürbe machen kann, bevor man sie erfolgreich auf seine Gabel spießt“. Keine Frage, einst war Toussaint ein großartiger Autor von experimentell-spielerischen, zum Schießen komischen Büchern, ein Klassiker des Übergangs zwischen dem Nouveau Roman und dem neuen Erzählen der achtziger Jahre. Schon beim letzten Buch „Sich lieben“ aber hatte sich ein Wechsel angekündigt: der ins eher realistische (und etwas pathetische) Fach. Toussaints neuestes Werk „Fliehen“ (Frankfurter Verlagsanstalt) ist ein Roman über die Liebe. Oder besser: über die Trennung. Der Erzähler ist in Geschäften in China unterwegs und möchte gern der schönen Li Qi an die Wäsche, doch sein Mobiltelefon mahnt ihn an die heimische Geliebte Marie. Entenzungen erinern den Erzähler an Zungenküsse. Toussaint stellt das Buch heute (20 Uhr) im Literarischen Colloquium vor (Am Sandwerder 5, Zehlendorf) .

Die Verbindung von Essen und Literatur ist komplex. In beiden Fällen handelt es sich um kommunikative Angelegenheiten, die mit sinnlichem Genuss und intellektuellem Kalkül zu tun haben. Die theoretische Fundierung des Themas liefert Jean-Claude Kaufmann . Der französische Soziologe ist ein Fachmann, der sich schon wissenschaftlich mit Bügeln, Putzen, Fegen und andere Alltagsverrichtungen beschäftigt hat. Wenn er am 19.4. (19 Uhr 30) am Institut Français (Kurfürstendamm 211 ) seine „Kochende Leidenschaft“ (UVK Verlagsgesellschaft) vorstellt, dreht sich alles ums Essen. Es geht um Männerrollen wie Pascha, Handlanger und moderner Held. Und es geht um die gemeinsame Mahlzeit als „Architekt des Familienlebens“ – aber auch als Mittel der Sozialdisziplinierung („Was auf den Tisch kommt, wird gegessen!“). Ihr Gegenstück wäre die Freiheit der neuen Selbstbedienungs-„Kühlschrankkultur“. Es soll tatsächlich „Alleinesser“ geben, die Tiefkühlpizza mit Mayonnaise bespritzen. Igitt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false