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Kultur: Lesen ist Bürgerpflicht

Wie Spaniens sozialistische Regierung die Kulturpolitik umkrempelt – und aufwertet

In Deutschland träumt man von Ministern in Spendierhosen. In Spanien gibt es Carmen Calvo. Die 47-jährige Andalusierin aus Cordoba ist seit dem Amtsantritt des Sozialisten José Luis Zapatero Ministerin für Kultur. Kein Nebenposten, sondern eine Schlüsselposition: Kultur und Soziales haben bei Zapatero Priorität.

Für Aufsehen hatte der Regierungschef schon gesorgt, als er sein Kabinett paritätisch mit acht Frauen und acht Männern besetzte. Das gibt es sonst nur in Schweden. Der Schritt wurde als Signal an eine im Kern immer noch machistische Gesellschaft gewertet – jede Woche stirbt eine Spanierin an den Folgen häuslicher Gewalt. Zapatero plant ein neues Abtreibungsgesetz, plädiert für die Legalisierung der Homo-Ehe und ein liberales Scheidungsrecht, will die Teilnahme am Religionsunterricht auf freiwillige Basis stellen und den spanischen Königsthron auch Frauen zugänglich zu machen.

All das mag man als überfällige Modernisierung verbuchen. Dass Carmen Calvo den spanischen Kulturetat um satte zehn Prozent auf rund 608 Millionen Euro aufstockt, lässt aber auch hierzulande aufhorchen. Kulturpolitik wird so zum wichtigen Eckpfeiler im Projekt Zapateros, Spanien in ein modernes Land nach zentraleuropäischem Vorbild umzubauen.

Sein konservativer Vorgänger, der autoritäre José María Aznar, hatte zwar über ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum präsidiert, den Künstrn stand seine Regierung aber misstrauisch bis feindselig gegenüber. Aznar versuchte sogar, die Aufführung politisch unliebsamer Filme zu verhindern. Und seine letzte Kulturministerin bekannte öffentlich, dass sie keine Bücher lese. Zapatero hingegen umgibt sich demonstrativ mit Intellektuellen und Künstlern, und schon im Wahlkampf hatten der Regisseur Pedro Almodóvar, der Schauspieler Javier Bardem und der Liedermacher Joaquín Sabina sich für ihn stark gemacht. Seine Politik bedeutet aber mehr als nur einen Wandel im Stil, sie ist substantiell. Ihre Etaterhöhung begründete Carmen Calvo mit den Worten: „Wir dürfen die Kultur nicht dem Markt und privaten Initiativen überlassen. Sie ist kein bloßes Konsumprodukt, sondern unabdingbar für den friedlichen Zusammenhalt dieses Landes, seine Pluralität und Freiheit. Der Staat hat die Pflicht, ein kulturelles Angebot zu garantieren.“

Calvos wichtigstes Projekt ist ein ehrgeiziges Leseförderprogramm: Mit 31 Millionen Euro sollen vor allem Immigranten, Jugendliche, Alte, Frauen und Gefängnisinsassen zum Lesen gebracht werden. Für das Vorhaben konnte die Ministerin neben Nichtregierungsorganisationen fünf weitere Ministerien hinzugewinnen. Außerdem feiert die Nation das 400-jährige Jubiläum der Erstausgabe von Miguel Cervantes’ „Don Quijote“. Ein Grund mehr, Lesen in Spanien zur ersten Bürgerpflicht zu erklären. Den Literaturbetrieb bedenkt Calvo allein mit 121 Millionen Euro, unter anderem für den Bau neuer Bibliotheken: auch das ein Anstieg um zehn Prozent – für den zweitgrößten Posten des Kulturetats. Die Konservativen hatten dafür gerade mal 135000 Euro übrig. Darüber hinaus wird die Mehrwertsteuer für Bücher auf ein Prozent gesenkt (in Deutschland sind es sieben Prozent).

Der größte Etatposten, rund 240 Millionen Euro, wird jedoch für Museen und die Pflege des kulturellen Erbes aufgewendet. Das überrascht nicht,da Spanien die Weltkulturerbeliste der Unesco anführt. Eine gewisse Ironie steckt trotzdem darin, denn das Geld fließt vor allem in den Erhalt von Gebäuden der katholischen Kirche. Diese liegt mit der Regierung im Clinch; die Kirchenoberen geißeln Zapateros Liberalismus sogar als „Nationallaizimus“: Der Begriff spielt auf den Nationalkatholizismus unter Franco an.

Eine Kuriosität der spanischen Kulturfinanzierung ist das so genannte Kulturprozent. Ein Prozent jeder öffentlichen Investition, die 600000 Euro übersteigt, muss in Spanien für kulturelle Zwecke abgeführt werden. „Wir haben feste Vereinbarungen mit dem Bauministerium und werden diese Praxis einhalten“, verspricht Calvo und weist so auf die Versäumnisse der Vorgängerregierung hin. Diese hatte laut Rechnungshof 84 Millionen Euro aus dem Fonds zweckentfremdet.

Aufgestockt wird auch die spanische Filmförderung. „Kino ist für mich zuerst Kultur und dann Industrie“, rechtfertigt Calvo rund 80 Millionen Euro Subventionen: ein Plus von 64 Prozent. Regisseure wie Almodóvar, David und Fernando Trueba, Julio Medem oder Alejandro Amenábar machen das spanische Kino zu einem der spannendsten Europas. „Das soll weiter so sein“, sagt Calvo – und mobilisiert auch dafür staatliche Gelder.

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