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Haci-Halil Uslucan:Dabei und doch nicht mittendrin. Die Integration türkeistämmiger Zuwanderer.

Haci-Halil Uslucan:

Dabei und doch nicht mittendrin. Die Integration türkeistämmiger Zuwanderer. Wagenbach, Berlin 2011. 112 Seiten, 14,90 Euro.

Dieses Buch kostet den Preis eines Mittagessens bei der Deutschen Bahn, die Lektüre ist auf einer Zugfahrt, sagen wir, von Berlin an den Rhein zu schaffen, und hinterher ist man wirklich klüger. Haci-Halil Uslucan, Chef des Essener Zentrums für Integration und Türkeistudien und Professor an der Uni Duisburg-Essen, bürstet die wichtigsten Kampfbegriffe der Debatte gegen den Strich: Integrationsverweigerer? Gegenfrage: Wer sollten die sein? Schließlich bedeutet Integration den Zugang zu Ressourcen, zur besseren Wohnung, zu Arbeit, Bildung, politischer Teilhabe – wer wollte das ernsthaft ablehnen. Parallelgesellschaften: Ethnische Communities, schreibt Uslucan, werden dann zum Problem, wenn sie die Fenster zur Welt draußen schließen, wenn sie soziale Kontrolle bedeuten und uniform werden. Im Regelfall mindert ein vertrautes Umfeld den Stress, den das Leben in der Fremde bedeutet, das heißt, sie können geradezu die Bodenstation dafür abgeben, sich aufs Neue draußen einzulassen. Und werden entsprechend in Ländern mit schwachem Sozialstaat – wie den USA – auch nie als Problem gesehen. Rückschrittlicher Islam versus aufgeklärtes Christentum? Man dürfe nicht, schreibt Uslucan, die Vorschriften einer Religion, nämlich des Islam, mit der gelebten Realität einer anderen, des Christentums, vergleichen. Die Religion als Rückschritt? Man könne sie auch als Zeichen erreichten Fortschritts sehen: Nur wer weiß, wie weit er sich schon von den Riten, dem Denken, den Formen seiner Herkunft entfernt hat, bemüht sich, Teile zu retten – aus Angst, die Wurzeln ganz zu kappen. Das Bändchen ist voll von solchen Experimenten, die vermeintliche Gewissheiten abklopfen. Und sie sind meist gut argumentiert, denn der studierte Psychologe Uslucan verschweigt weder, noch beschönigt er, dass türkische Jugendliche Gewalt eher für akzeptabel halten. Spannend ist auch seine Analyse der spezifischen Stärken von Migranten: Das Leben zwischen mindestens zwei Kulturen mache sie zu „Doppelagenten“ mit einer beweglichen Intelligenz, die nicht nur Widersprüchlichkeiten aushalten, sondern auch beiden Seiten kritische Fragen stellen. Sagen wir’s mal so: Deutschlands Einwanderer sind demografisch ohnehin seine Zukunft. Vielleicht ließe sich anfügen: Zum Glück.Andrea Dernbach

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