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LESESTOFF: LESESTOFF

Der Untergang, besser das plötzliche Verschwinden der kommunistischen Regime in Europa in den Monaten von 1989/90 erschien damals durchaus als rätselhaft. Denn nichts daran war zwangsläufig, angesichts der materiellen Stärke einiger der betreffenden Staaten.

Der Untergang, besser das plötzliche Verschwinden der kommunistischen Regime in Europa in den Monaten von 1989/90 erschien damals durchaus als rätselhaft. Denn nichts daran war zwangsläufig, angesichts der materiellen Stärke einiger der betreffenden Staaten. Anders sah es mit der Ideologie aus. „In der Retrospektive wird es immer schwieriger zu verstehen, woraus die kommunistische Idee in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch ihre Attraktivität schöpfte“, heißt es im Editorial der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Osteuropa“ mit dem Titel „Durchschaut. Der Kommunismus in seiner Epoche“ (5–6/2013, 396 S., 24 €). Gerd Koenen, intimer Kenner der deutsch-sowjetischen Beziehungen insbesondere auf der Parteiebene, hält in seinem Einleitungsaufsatz fest, nirgends hätten Kommunisten „auf der Grundlage von Klassenkämpfen industrieller Arbeiterschaften gegen die kapitalistische Ausbeutung … die politische Macht errungen“. Vielmehr waren „die wirklichen Sternstunden der Kommunisten aller Länder die beiden Weltkriege“, wobei sich der Erste nach 1917/18 in einen „universellen Bürgerkrieg“ verwandelte. Der Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede blickt auf die vermeintliche Renaissance marxistischer Ideologeme im Westen der Studentenrevolte: „Als kritisches Potenzial in der eigenen Gesellschaft hatten die Rebellen von 1968 einen Innovationseffekt – kommunistische Ideen in der kapitalistischen Welt, wo sie der Theorie nach hingehörten, vermochten sie nicht wieder zu beleben.“ Felix Schnell beschäftigt sich im Beitrag „Gewaltkultur und Kommunismus“ mit der „Ideologie der Modernisierungsdiktatur“ stalinistischer Prägung, „mit den wesentlichen Inhalten der Vernichtung von Feinden und der Industrialisierung des Landes“. Eine Vielzahl von Länderstudien nimmt so die Ausprägungen des Kommunismus in einzelnen Staaten in den Blick. Und auch die postkommunistische Ära, die, wie der in Russland heftig diskutierte Internet-„Brief an Stalin“ des Schriftstellers Zachar Prilepin vom Juli 2012 zeigt, bis heute nicht mit der Vergangenheit ins Reine kommt: „So sehr wir uns auch bemühen, wir werden es nie schaffen, dein Erbe, deinen Ruhm restlos zu verschleudern und in alle Winde zu zerstreuen, das lichte Andenken an deine großen Taten zu verdrängen durch die düstere Erinnerung an deine – ja, realen, und ja, ungeheuerlichen – Verbrechen.“ Unbedingt lesen! Bernhard Schulz

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