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Kultur: Lesung: Idylle mit Leichen

Wie Hühner auf der Stange sitzen wir auf dem Mäuerchen und lauschen den Ausführungen von Frank Wagner. Er ist "Kunstvermittler" und versucht, die artig Lauschenden auf eine Videoinstallation einzustimmen.

Wie Hühner auf der Stange sitzen wir auf dem Mäuerchen und lauschen den Ausführungen von Frank Wagner. Er ist "Kunstvermittler" und versucht, die artig Lauschenden auf eine Videoinstallation einzustimmen. Über uns Zweige eines Apfelbaums, dazu der strahlend blaue Augusthimmel. Linkerhand wuchert eine Kürbispflanze auf dem Misthaufen. Während Wagner über Freud und Jacques Lacan und die "Verletzlichkeit des Realen" doziert, trottet der Schlosshund Alice ungerührt zwischen unseren Beinen umher und sucht sich ein schattiges Plätzchen auf dem Kiesweg. Aus einer Lagerhalle schallt plötzlich eindringlich "You-you-you" und "I-I-I" (Du, Ich). Die ehemalige "Tankhalle" gehört zum Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf im idyllischen Landkreis Teltow-Fläming.

An diesem Sonntagnachmittag hat Wiepersdorf zu einer Ausstellung von Candice Breitz eingeladen. Die südafrikanische Künstlerin skelettiert Popsongs, trennt die Ich- von den Du-Stellen und setzt sie zu neuen Blöcken zusammen. Schon komisch, wie Whitney Houston in der Endlosschleife auf dem einen Bildschirm "I,I,I" stammelt und auf dem anderen "You, you, you." Oder Annie Lennox, die dabei wild umherfuchtelt. Aber ist nicht schon Man Ray auf die Idee gekommen, die Popikonen zu verfremden - seinerzeit noch mit Pinsel und Leinwand?

"Ja, das ist die neue Generation", erklärt die Direktorin Doris Sossenheimer dem Staatssekretär, der eigens für den Nachmittag gekommen ist. "Die Stipendiaten reisen hier an mit einem Haufen Technik, basteln wochenlang vor sich hin und am Ende kommt was heraus." Dass nicht jedermann oder jedefrau die Idylle in Wiepersdorf zu jeder Zeit erträgt, kann man in einem schönen Sammelband über das Schloss nachlesen. Schon die einstige Schlossherrin Bettine von Arnim hatte festgestellt, dass die äußere Ruhe nicht unbedingt die innere nach sich zieht. Davon ist an diesem heißen Sommertag aber nichts zu spüren. Die Stipendiaten - sechzig pro Jahr und aus allen Kunstsparten - sind ausgeflogen oder lassen am Fuß der hohen Linden und Eichen die Seele baumeln.

Oder sie hören Thea Dorn, Doris Gercke und Edith Kneifl zu, deren Krimiheldinnen Männern den Kopf abreißen, sie mit der Bohrmaschine erschlagen oder durchbohren. Die Männer, denen so übel mitgespielt wird, sind nicht ganz unschuldig an ihrem Schicksal. Sie haben die Mörderinnen in der Regel bedrängt, sie unter Druck gesetzt, sich wie Schweine benommen. Auch wenn nicht alle Mörderinnen in den Frauenkrimis von der Justiz belangt werden, so sind sie doch bestraft, weil der Mord ihnen nicht die ersehnte Freiheit bringt. Die drei "Ladies in Crime" brechen die traditionellen Regeln der Krimikunst. Doris Gercke, indem sie in ihren Bella Block-Krimis weniger die Aufklärung des Mordes in den Mittelpunkt rückt, sondern die Psychologie der Täterin und der Detektivin. "Als Frau kann man das bestehende Recht am Ende nicht wieder herstellen, wenn man über die Wahrheit schreibt", erklärt Gercke. Und dass es ihr unerträglich wäre, "wenn der Leser am Ende denkt, jetzt ist ja wieder alles in Ordnung".

Wieder was dazugelernt an diesem bezaubernden Nachmittag. Noch ein Tässchen Kaffee vor der Orangerie einnehmen, noch ein bisschen lustwandeln in den weitläufigen Alleen desSchlossgartens, den steinernen Apollo mit seinem süßen, kleinen Hintern grüßen, jene Skulptur, an deren Fuß der Hund nun so besessen wühlt, als müsse er eine Leiche ausgraben. Und schon donnert es. Die Kutsche wartet.

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